Ohne kontextuales Wissen sagen Prozentangaben fast nichts. Einen unschönen Beigeschmack hinterlässt es jedoch, wenn Prozente und Prozentpunkte absichtlich durcheinandergebracht werden, um genau einen solchen Kontext zu manipulieren und bestimmte Assoziationen zu erzeugen.
Der letzte Satz einer Twitter-Nachricht , die kürzlich in meinem Feed auftauchte, lautete „I am the CIEIO. Ein vollständiger Satz, den man zwar formal verstehen, aber beim besten Willen zunächst nur unzureichend interpretieren kann. Offensichtlich geht es um irgendeine verantwortungsvolle Führungsposition. Und offensichtlich fehlt der Kontext, um die Bedeutung des eindrucksvoll klingenden Akronyms vollständig erfassen zu können.
„Der Frauenanteil in den Vorständen steigt (um 0,7 Prozent)“, titelte das „Manager
Magazin“ vor wenigen Wochen. Hintergrund: die aktuelle Studie der Allbright-Stiftung über die „Macht der Monokultur“. Das Bemerkenswerte an der Schlagzeile ist, dass sie ohne Kontextwissen zwar ebenfalls formal verständlich ist – immerhin handelt es sich um einen korrekten deutschen Satz –, aber sie erwähnt nicht, wie hoch denn der Frauenanteil in deutschen Vorständen zuvor gewesen war. Müßig, mag man denken, das weiß man doch. So ungefähr wenigstens. Anhaltend nicht der Rede wert ist dieser Anteil – leider oder auch: zum Glück. Ein Leser aus einer fremden Kultur, sofern der deutschen Sprache mächtig, mag die Nachricht hingegen wahlweise als beunruhigend, erfreulich oder nicht der Rede wert interpretieren, je nach seiner Haltung zu Frauen in Führungspositionen – und je nach seiner Annahme, ob deren Anteil in Vorständen sich eher bei fünf Prozent, 50 Prozent oder 95 Prozent bewegt.
0,7 Prozentpunkte sind hier halt fast 10 Prozent
Dem typischen deutschen Leser des „Manager Magazins“ ist hinreichend bekannt, dass Frauen in Vorstandsrunden bislang eher eine Nebenrolle spielen, sodass die Bedeutung der Schlagzeile – scheinbar optimistisch, dann jedoch aufgelöst in Resignation oder auch Häme ob des geringen Nachhalls der lautstark gerührten Werbetrommeln – problemlos von ihm erfasst werden kann. Trotzdem lohnt es sich, einen Gedanken an das ungeschriebene, doch beim Leser vorausgesetzte Kontextwissen zu verschwenden, weil die scheinbar nebensächlich dahin geklammerten 0,7 Prozent genau dieses Kontextwissen triggern sollen. Seht her, ruft die Klammer, trotz aller Bemühungen von Frauenverbänden tut sich
so gut wie gar nichts (und die deutsche Wirtschaft funktioniert trotzdem immer noch).
0,7 Prozent, mehr Zahlen braucht es nicht, um die Emotionen hochkochen zu lassen, wie sich auf Twitter & Co. ausgezeichnet beobachten lässt. Wem das noch nicht reicht, der mag einen Blick in die Allbright-Studie selbst werfen. So viele Zahlen, möchte man da unwillkürlich rufen. Und so wenige Frauen! Während im Vorjahr gerade einmal 50 von 683 Vorständen der im DAX 30, MDAX, SDAX und TecDAX notierten Unternehmen weiblich waren, sind es nun 56 von 697. Wer ungern bruchrechnet, für den liefert die Studie auch gleich das Ergebnis: Diese Entwicklung entspricht einem Plus von 0,7 Prozent … Punkten!
Feinheiten? Mitnichten. Prozentpunkte sind Differenzen zwischen Anteilen, Prozente sind Verhältnisse. Steigt der Anteil von 50/683 auf 56/697, so sind das zwar tatsächlich 0,7 Prozentpunkte, aber 9,75 Prozent. Hätte das „Manager Magazin“ also korrekt getitelt, dann würde die Schlagzeile lauten: „Der Frauenanteil in den Vorständen steigt (innerhalb eines Jahres um knapp zehn Prozent).“ Was mutmaß- lich annähernd gegenteilige Assoziationen hervorrufen würde wie die gewählte – falsche – Formulierung. Dabei lässt sich die Suggestion, dass Frauen die Vorstandsetagen im Rekordtempo erobern, sogar noch steigern.
Statistisch korrekt ist schließlich auch die Feststellung, dass die Anzahl der Frauen um zwölf Prozent gestiegen ist. Elf von 92 Neubesetzungen waren Frauen, also ebenfalls zwölf Prozent. Wenn man so will, lag dieser Anteil um ganze 63 Prozent höher als der Anteil an Frauen im Bestand, was wiederum belegt, dass man mit exakt denselben Zahlen auch in die Gegenrichtung übertreiben kann. Im MDAX hat der Frauenanteil zwar nur um drei Prozentpunkte von 3,8 Prozent auf 6,8 Prozent zugenommen, das entspricht jedoch einer Zunahme um sagenhafte 79 Prozent!
Dabei stolpert nicht nur das „Manager Magazin“ über derartige Zahlenverwirrungen. Der Journalistinnen-Club „Pro Quote“ twitterte eine Woche zuvor: „Der Frauenanteil unter den Führungskräften in Deutschland hat in 20 Jahren um 2,6 Prozent zugelegt. Ohne Quote wird’s nicht gehen!“ Tut uns leid, die Forderung nach der Quote beruht auch hier auf einem Statistik-Irrtum.
Prozente von Prozenten, die sogenannten relativen Risiken, dienen oftmals eher der Verschleierung als der Offenlegung von Wahrheiten. Sie dramatisieren, weil Prozente häufig kleine Ausgangswerte bilden. Wenn man etwas Kleines durch etwas noch Kleineres teilt, kommt gern etwas Großes heraus; während in derselben Situation die Differenzen von Prozentwerten – absolute Risikoveränderungen – beachtliche Verän- derungen kleinmachen können. Der „Pro-Quote“-Tweet hat einen unschönen Beigeschmack; hier war es wohl Absicht und nicht Unkenntnis, und man ist verstimmt.
Wer nackte Zahlen neu einkleidet, indem er sie subtrahiert oder dividiert, der addiert unausweichlich (s)eine Bedeutung. Dies geschieht, weil Lumpen- oder Prunkgewänder beim Betrachter unterschiedliches Kontextwissen aktivieren und damit Assoziationen hervorrufen. Prozente und Prozentpunkte sind mehr als bloß Zahlen. Es sind Zahlen mit einer Interpretation, die nicht Teil der Zahlen selbst ist.
Und der CIEIO? Ist eine Verballhornung des Refrains aus dem Kinderlied „Old MacDonald had a farm“ – „EIEIO“. Als MacDonalds Farm groß wurde, berief sich der alte MacDonald selbst zum CEO seines Unternehmens, zum „CIEIO“.
1 Erwerbstätige in der ISCO-Hauptgruppe 1; 2 Erwerbstätige am Hauptwohnsitz in Privathaushalten; 3 Klassifikation der Wirtschaftszweige; Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2018
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Furchtbar dieses Frauenquotengedöns! Es muss doch ein tolles Gefühl sein, wenn man einen Posten bekommt, weil man, dank Papas Hilfe (da ist er wieder, der alte weiße Mann), dem weiblichen Geschlecht angehört! Es sollte einzig und allein auf die Qualifikation ankommen! Außerdem glaube ich mitnichten, dass durch Frauen irgendetwas besser wird! Unter den Frauen gibt es mindestens genauso viele Hyänen wie unter den Männern! Wenn ich so an den Presseclub vom letzten Sonntag denke, wo Bascha Mika und Andrea Dernbach eindrucksvoll vorführten, wie unerträglich und überheblich Frauen sein können, kommt mir das Grausen!
Das Problem ist, dass viele nicht richtig rechnen und können und so mit etws MAthematik hilflos überfordert sind.
Ich würde dies nicht geschlechtsspezifisch sondern politisch verorten. Wer links-grün eingestellt ist, hat mit Zahlen und vor allem Prozentrechnung Probleme. Ist ja alles so „kapitalistisch“ und „alte weiße Männer“ …
Kontextfreiheit ist eine Spezialität in den MSM.Es wird auch nicht weiter hinterfragt ob die Anzahl weiblicher Führungskräfte irgendeinen besonderen Wert darstellt oder nur eine fixe Idee ist.Wieviele Frauen wollen denn wirklich eine solche Position,wieviele bewerben sich,wieviele sind kompetent genug und warum ist dieser winzige Ausschnitt aus der Gesamtheit der Tätigkeiten so wichtig?
Ein komplexes Thema. Ich bin generell der Meinung, dass, wer eine 50-zu-50-Quote in Führungspositionen verlangt, auch eine 50-zu-50-Quote auf anderen Ebenen erwarten sollte. Wir sind doch sehr auf Führungs-Jobs fixiert, obwohl Gleichberechtigung weiter anzusetzen ist. Und selbstverständlich ist der Blick auf Quoten (künftig vielleicht auch mal Migrantenquoten?) sehr formal und unterstellt, dass alle Geschlechter gleichermaßen an allen Positionen und Hierarchie-Ebenen Interesse haben und gleiche Qualifikationen mitbringen. Tatsächlich gibt aber auch geschlechtsspezifische Karriereambitionen und Arbeitsverhältnisse, mit bedingt durch familiäre Lebenssituationen. Laut Statistischem Bundesamt waren 2015 rund 80 % aller Teilzeit¬erwerbstätigen Personen Frauen und war die Teilzeit-Quote mit 34 % insgesamt relativ… Mehr
Ich persönlich halte die Prozentsätze für vollkommen unerheblich. Frauen sind doch gleichberechtigt, dürfen sich somit den Job frei wählen. Wenn sie sich also weniger in Vorstandsetagen aufhalten, so ist das ihre Entscheidung und geht die Gesellschaft ebenso wenig etwas an, wie der Prozentsatz von Frauen als Dachdecker, Maurer oder Müllabfahrer.
Was dagegen wirklich von gesellschaftlichem Interesse wäre ist der Prozentsatz von Politikern (ehemaligen oder gegenwärtigen) in den Vorstandsetagen.
Stellen nach Quote anstatt nach Kompetenz zu besetzen heisst, sich mit weniger zufrieden zu geben. In Bereichen, wo dies unmittelbare Konsequenzen hätte, wäre ein solches Vorgehen gelinde ausgedrückt geschäftsschädigend. Haben die Grünen eigentlich schon die Quotenregelung für die Cheftrainer-Besetzung in der Fußball-Bundesliga gefordert?
Viele von uns werden sich daran erinnern, dass, als im Mathe-Unterricht die Prozentrechnung kam, sich die Spreu vom Weizen trennte. Von da an wurde der Teil jener, die den Matheunterricht nur noch dämmernd begleitet, immer größer. Der Lehre stand vor der Wahl, den Teil der nur noch Dämmernden durch stete repetitio an einem exponentiellen Anstieg zu hindern und damit die Handvoll an Mathefähigen wegen Langeweile einschlafen zu lassen … Er hatte keine Wahl. Heute kann man Mathe, glaube ich faktisch „abwählen“ ….
Gab es in den letzten 10 Jahren einen Präzedenzfall, wo man nachweisen konnte, daß eine weibliche Bewerberin nur wegen ihres Geschlechts nicht genommen wurde? Nie gehört… Und warum um Gottes Willen dann so eine konfuse Forderung?
Andersrum – reicht es den meisten immer noch nicht, daß der Frauenanteil in der Grundschule exorbitant hoch ist, was zur Folge entsprechend sozialisierte männliche Schüler hat? Wieso kämpft hier niemand für mehr Herrenanteil?
Warum überhaupt den Frauenanteil erhöhen?