Zu wenig Investitionen, riesige Probleme im laufenden Betrieb, verärgerte Kunden, das Personal demotiviert und überfallartige Streiks: Warum ist die Bahn so miserabel? Die Antwort ist: Der Murks beginnt ganz oben - im Aufsichtsrat.
Wer mit der Bahn eine Reise tut, kann viel erzählen: von Verspätungen, von fehlenden, defekten oder falsch gereihten Waggons und von Bistros oder Speisewagen, in denen man das meiste nicht bekommt. Das war nicht immer so, und in Nachbarländern wie der Schweiz ist es auch heute nicht so. Was ist passiert?
Die Bahn wurde 1993 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, in der die „paritätische Mitbestimmung“ gilt. Der Aufsichtsrat besteht aus 20 Mitgliedern: Zehn sind Vertreter der Arbeitnehmer, und zehn repräsentieren den Anteilseigner – den Bund. Die Vertreter des Bundes werden von der Bundesregierung benannt und stellen den Aufsichtsratsvorsitzenden. Er gibt bei Stimmengleichheit den Ausschlag.
In privaten Aktiengesellschaften sorgt diese Regelung dafür, dass die Kapitaleigner letztlich die Kontrolle behalten. Unter den Vertretern des Bundes im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn befinden sich aber nicht nur politische Manager, Ministerialbeamte und Wissenschaftler, sondern auch aktive und ehemalige Politiker, die – um keine Wählerstimmen aufs Spiel zu setzen – den Arbeitnehmervertretern in der Regel näher stehen als den Arbeitgeberinteressen.
Politikerinnen im Bahnaufsichtsrat sind zurzeit die Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann (SPD) und Susanne Knorre, die zwar keiner Partei angehört, aber niedersächsische Wirtschaftsministerin im SPD-Kabinett von Sigmar Gabriel war. Betrachtet man den Zeitraum von Ende 1998 bis Ende 2017, so gab es in 16 dieser 20 Jahre – ausgenommen nur die Zeit von 2010 bis 2013, als die SPD nicht an der Regierung beteiligt war – mindestens einen aktiven oder ehemaligen Politiker der SPD unter den Vertretern des Bundes im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn.
Wie eine Umfrage unter den Vertretern der Anteilseigner in den Aufsichtsräten öffentlicher Unternehmen zeigt, fühlen sich die SPD-Vertreter in der Tat den Gewerkschaften und der Belegschaft stärker verbunden als die CDU-Vertreter (J. Ehinger/W. Niopek, „Erfahrungen mit der Mitbestimmung in kommunalen Unternehmen“). Das ist nicht überraschend, hat doch die SPD ihre Wurzeln in der Gewerkschaftsbewegung. Die SPD-Vertreter gaben in der Umfrage sogar an, dass sie sich den Gewerkschaften stärker verpflichtet fühlen als den Bürgern. Bei den CDU-Vertretern war es umgekehrt.
Die Zusammensetzung der Anteils eignerseite in öffentlichen Unternehmen wird daher in der wissenschaftlichen Literatur häufig als „Überparität“ bezeichnet – insbesondere dann, wenn die SPD-Vertreter zugleich einer Gewerkschaft angehören, was in der Regel der Fall ist, so zum Beispiel auch bei Kirsten Lühmann.
Fast sechsmal so viel wie die Deutsche Bahn investieren die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB): Sie weisen unter den zehn von Allianz pro Schiene verglichenen europäischen Eisenbahnen die höchsten Pro-Kopf-Investitionen auf. Der Aufsichtsrat (Verwaltungsrat) der SBB besteht aus neun Personen. Sie werden von der schweizerischen Regierung, dem Bundesrat ernannt. In Paragraf 11 des Bundesgesetzes über die Schweizerischen Bundesbahnen heißt es: „Dem Personal der Unternehmung ist eine angemessene Vertretung im Verwaltungsrat zu gewähren.“
Tatsächlich befindet sich unter den neun Verwaltungsratsmitgliedern ein Vertreter des Personals. Er ist zugleich Vorsitzender der Gewerkschaft des Verkehrspersonals. Zwei Mitglieder des Verwaltungsrats sind Politiker – sie gehören der Sozialdemokratischen Partei (SP) an, die im Schweizer Konkordanzsystem stets an der Regierung beteiligt ist. Die übrigen sechs Verwaltungsräte sind oder waren hochrangige Manager in bekannten Unternehmen wie Credit Suisse, Schindler oder Unilever.
Während also zwei Drittel des SBB- Verwaltungsrats in der Wirtschaft Karriere gemacht haben, war es in den vergangenen 20 Jahren im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn noch nicht einmal ein Drittel (siehe Tabelle). Wer im Verwaltungsrat der SBB ganz fehlt, sind Ministerialbeamte. Im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn saßen im Durchschnitt zwei Beamte (meist des Verkehrs- und des Finanzministeriums), von 2006 bis 2013 sogar drei. Auch Beamte sind nicht unbedingt kundenorientiert.
Dass die Interessen der Arbeitnehmer über die Interessen der Kunden dominieren, ist vor allem dann zu erwarten, wenn der Wettbewerbsdruck im Produktmarkt, wie im Fall der Eisenbahn, ungewöhnlich schwach ist. Wie könnte man den Interessen der Kunden zum Durchbruch verhelfen? Die Schweiz macht es vor.
Roland Vaubel – Der Jurist und Ökonom war von 1984 bis 2016 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Eurokritiker.
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Mit dieser Erklärung macht es sich der Autor deutlich zu einfach. SPD-Leute im Aufsichtsrat – darum läuft’s nicht. Dann dürfte es die Situation, dass es großen Personalmangel gibt, doch gar nicht geben, oder? Denn die SPD ist doch so arbeitnehmerfreundlich???
Übrigens bin ich am Wochenende von hier nach Nürnberg gefahren, die Rückfahrt sogar mit der neuesten ICE-Generation. Freundliches Personal, funktionierende Toiletten, richtige Wagenreihung und beide Züge pünktlich. Das gibt es manchmal auch noch.
Deswegen: „IN NUR VIER JAHREN Bahn zahlt eine halbe Milliarde Euro für externe Berater. Von 2015 bis 2018 soll die Deutsche Bahn einem Bericht zufolge mehr als 500 Millionen Euro ausgegeben haben, um sich extern beraten zu lassen. Gegen die Defizite des Konzerns scheint das wenig geholfen zu haben. Daher zieht Bahn-Chef Lutz jetzt Konsequenzen.“ https://www.welt.de/wirtschaft/article185590660/Bahn-zahlt-eine-halbe-Milliarde-Euro-fuer-externe-Berater.html wer jemals in seinem Arbeitsleben die Roland Bergers, McKinseys, KPMGler, Deloitte, Accentures erleben mussten, weiß genau, dass all die externen Berater keine Lösungen für Probleme erarbeiten (können). Sie liefern Power Points an die Vorstände und befreien die Geschäftsführer, Entscheider teilweise von der Verantwortung. Mehr… Mehr
Das ist die fadenscheinigste Erklärung für die Probleme der Bahn , die ich jemals gelesen habe.
Die Bahn hätte beizeiten modernisiert werden müssen. Stattdessen wurde sie „mehdornisiert“.
Die Bahn ist so schlecht weil die politische Aufsicht und Einflussnahme so schlecht sind. Diese organisierte Verantwortungslosigkeit wird erleichtert weil wir zugelassen haben, dass der politische Wettbewerb über Leistung und Effektivität praktisch bedeutungslos geworden sind. Weder für die Bahn, noch die Bundeswehr, noch für öffentliche Grossprojekte gibt es auf der politischen Ebene genügend Kompetenz für Aufsicht, Auswahl der Geschäftsführung und das Erreichen von Zielen durch einen operativen Prozess. In London hat man vor wenigen Jahren alle öffentlichen Investitionen für die Olympischen Spiele ‚on time and on budget‘ auf die Beine gebracht. Bei uns wird nichts auf ein konkretes Ziel hin… Mehr
Hier muss ich an eine Kolumne von Harald Welzer (FuturZwei) denken. Da wurden die Vorzüge der schweizer Bahn dargestellt. Zusammengefasst wurde gesagt: – extreme Pünktlichkeit (+/- 2 Minuten). – weit ausgebautes Netz – GeneralAbo (=DB 100) und Halbtax (=DB 50) sind in dem hochpreisigen Land wesentlich günstiger als das entsprechende deutsche Pendant. – Wagenlänge wird der Nachfrage flexibel angepasst. (Man stelle sich doch bitte einfach mal jedes Wochenende inkl. Freitag unsere ICEs vor!) – saubere Züge, freundliches Personal. – viele Schweizer verzichten sogar gerne auf ein Auto, da sie mit der Bahn sehr zufrieden sind. Als ich noch dann mich… Mehr
Ich bezweifle, dass es in der Merkel-Ära noch substanzielle Unterschiede in der gesellschaftlichen Verortung von SPD- und CDU-Politikern gibt. Beide denken und handeln im Zweifel links.
Schon vergessen?
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/dividende-bund-und-laender-streiten-ueber-bahn-gewinn/3757528.html
Das Fazit des Autor ist also: Die Arbeitervertreter sind Schuld an der Verschlechterung der Bahn.
Das die Privatisierung keine Ursache ist, steht somit fest?
Dem Autor hätte nach der Beschäftigung und dem Vergleich mit der Schweizer Bahn aber ein Licht aufgehen können.
Hier eine andere Perpektive:
https://www.youtube.com/watch?v=NsA8GmrtvRk
Von welcher Privatisierung reden Sie? Die Deutsche Bahn ist zu 100 % in Staatsbesitz. Das ist kein Privatunternehmen (trotz Rechtsform als AG) , sondern faktisch immer noch eine Behörde.
@Lucius de Geer „Die Deutsche Bahn AG wurde im Zuge der Bahnreform im Januar 1994 in eine private Rechtsform überführt (privatisiert), blieb jedoch im Besitz des Staates. Der Plan war, später Anteile am Unternehmen an private Investoren zu veräußern. Parallel hierzu fand ab 1996 die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs durch das Regionalisierungsgesetz statt. Der Regionalverkehr wird seitdem durch die Aufgabenträger beauftragt.“ Auszug Wiki. Die kosten trächtige Infrastruktur blieb in Staatsbesitz. Erste Schnitte zum „Sahne abschöpfen“ für Private wurden im Streckenbetrieb mit den jetzt sichtbaren Folgen begonnen. Der im Artikel oben nachzulesende Investitionsstau ergibt sich daraus, das die Braut Bahn auf profitable… Mehr
Sie haben es immer noch nicht verstanden: Eine formale Überführung in eine AG macht noch kein eigenständig am Markt agierendes Privatunternehmen aus. Die Bude ist faktisch eine Behörde und genauso verhält sie sich auch. Wenn die Verantwortlichen als private Unternehmer agieren würden, hätten sie längst entsprechende Investitionen getätigt – wenn sie es nicht tun (können) , zeigt das bloß, dass sie bloße Staatsangestellte sind, denen die Sache völlig egal ist (die Pension ist sicher…).
@Lucius de Geer
„Haben Sie auch schon mal zufälligerweise mit Entsetzen entdeckt, daß menschliches Wissen hauptsächlich auf Ahnungslosigkeit beruht?“
Wolfgang J. Reus (1959 – 2006), deutscher Journalist, Satiriker, Aphoristiker und Lyriker
Bei uns im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet bedient die SBB die S-Bahnstrecken. Das läuft und läuft und läuft und ist auch wesentlich sauberer und gepflegter als bei der DB. Am SBB-Schalter in Konstanz bekomme ich auch freundlichere und kompetentere Auskunft über z.B. benachbarte Nahverkehrsverbünde als bei der DB. Der Kunde bei der DB ist eher lästig. Abends um 17:20 Friedrichshafen – hier rundum sitzen die Hauptarbeitgeber der ganzen Region bis zum Hegau – das Gleis für Nahverkehr brechend voll, Berufstätige wollen nach Hause, Rentnergruppen mit BW-Ticket besuchen zuhauf die umliegenden Weihnachtsmärkte – ein einziger Triebwagen kommt, der zu Beginn schon so voll… Mehr