Inflation wäre höher, wenn Kosten für Wohnen im Eigenheim berücksichtigt würden

Was Kritiker der offiziellen Inflationsstatistik schon lange bemängelten, bestätigt nun auch eine Studie des DIW: Bis zu 0,7 Prozentpunkte wäre die Inflation hierzulande höher, wenn Wohnimmobilienpreise und die Kosten für selbstgenutztes Wohnen eingerechnet würden.

IMAGO/CHROMORANGE

Laut einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) würde die Inflation höher ausfallen, wenn die Kosten für Wohnen in den eigenen vier Wänden berücksichtigt würden. Der Unterschied beträgt demnach in Deutschland und im Euroraum im Schnitt der vergangenen fünf Jahre 0,3 Prozentpunkte. Bislang ignorieren die nationalen Statistikämter Wohnimmobilienpreise und andere Kosten für das Wohnen im Eigenheim im sogenannten HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex). Die EZB entscheidet anhand des HVPI, ob die Geldmenge steigen oder fallen soll, um das Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen. Die Autorin der Studie kommt zu dem Schluss, dass die Inflation auch mit den Kosten des selbstgenutzten Wohnens unter dem Inflationsziel der EZB gelegen hätte. Eine veränderte Inflationsmessung hätte die EZB-Politik „wohl kaum beeinflusst“, schreibt sie.

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Gleichwohl: Auffallend ist der starke Anstieg der HVPI-Inflation im Jahr 2021. Im Juni hätte die Teuerungsrate in Deutschland 2,8 Prozent betragen, wenn die Inflationsrate breiter berechnet worden wäre. Die offizielle Inflationsrate lag damals aber bei 2,1 Prozent – ein Unterschied von 0,7 Prozentpunkten. Grund dürften die immer rascher steigenden Wohnimmobilienpreise sein – angetrieben durch die ultralockere Geldpolitik der EZB. Das allgemeine Preisniveau kann bloß nachhaltig ansteigen, wenn Noten- oder Geschäftsbanken die Geldmenge ausgeweitet haben.

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht zwei Verbraucherpreisindizes: Den HVPI, der als Grundlage für EZB-Entscheidungen dient, und den VPI. In Letzterem sind die Kosten des Wohnens im Eigenheim berücksichtigt, während der HVPI diese ignoriert. Dadurch haben die Nettokaltmieten rund 20 Prozent Anteil an der VPI-Inflationsrate, aber bloß rund 10 Prozent beim HVPI.

Dennoch hat der VPI des Statistischen Bundesamts laut Kritikern eine Schwäche: Er basiert auf dem sogenannten Mietäquivalenzansatz. Dabei verwenden Statistiker fiktive Mieten, die Eigenheimbesitzer für ihre Wohnung oder ihr Haus am Markt bezahlen müssten. Die fiktiven Mieten erheben die Statistiker entweder durch Befragungen der Eigenheimbesitzer, wobei diese die Miethöhe schätzen. Oder sie orientieren sich an vergleichbaren Mieten auf dem Markt.

Gunther Schnabl sieht den Mietäquivalenzansatz kritisch. „Der Staat reguliert vielerorts die Miethöhe. In den vergangenen Jahren stiegen die Mieten deswegen deutlich langsamer als die Wohnimmobilienpreise“, sagt der VWL-Professor im Gespräch mit TE. Messe man die Kosten des Wohnens im Eigenheim über fiktive Mieten, unterschätze man die Inflation. Schnabl schlägt deswegen vor, dass das Statistische Bundesamt oder die EU-Behörde Eurostat von der Schätzmethode Abstand nehmen.

Sendung 02.12.2021
Tichys Ausblick Talk: „Inflation kommt plötzlich“ – Hans-Werner Sinn im Gespräch
Im Jahr 2020 war der Preisindex für selbstgenutztes Wohnen, den das Statistische Bundesamt über den Mietäquivalenzansatz erstellt, sogar rückläufig. Grund sei die Mehrwertsteuersenkung gewesen, die die Baupreise gedämpft habe, erklärt die vormalige Leiterin der Abteilung Preise, Susanne Hagenkort-Rieger, in einem Aufsatz. Das mindert auch die offizielle Inflationsrate: Die Nettokaltmieten, die auch die Kosten des Wohnens in den eigenen vier Wänden enthalten, stiegen zuletzt bloß um 1,4 Prozent. Dagegen erhöhten sich die Preise von Wohnhäusern und Eigentumswohnungen deutlich. Laut Statistischem Bundesamt müssen Käufer bundesweit im Schnitt 10,9 Prozent mehr bezahlen als vor einem Jahr.

Experten wie der Immobilienökonom Reiner Braun warnen vor einer Immobilienblase. Ein Frankfurter Architekt berichtet TE von Quadratmeterpreisen über 10.000 Euro. Das seien teils “kranke Preisentwicklungen”, sagt er (TE berichtete).

Gunther Schnabl hat in Fachaufsätzen alternative Inflationsmaße berechnet. Er ist überzeugt, dass die offizielle Inflationsrate zu niedrig angesetzt ist. „Die Inflation könnte – je nach Berechnungsweise – derzeit bei 8 bis 10 Prozent liegen“, erklärte er kürzlich. Die Statistikämter berücksichtigten nicht die Preisentwicklung von öffentlichen Gütern wie Bildung oder Infrastruktur (TE berichtete). Auch Qualitätsanpassungen, veränderte Gewichtungen der einzelnen Warengruppen oder das Ignorieren von Vermögenspreisen wie Aktien und Edelmetalle ließen die Inflation geringer ausfallen.


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Kommentare ( 15 )

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F.Peter
3 Jahre her

Diejenigen, für die diese Statistiken modelliert werden, haben doch gar kein Interesse daran, dass Sachverhalte öffentlich werden, die für sie negativ sind. Und dass mit gefakten Zahlen wunderbar Politik betrieben werden kann, sieht man doch derzeit an den sogenannten Zahlen zu Corona, die allesamt so gedreht sind, dass sie ins Narrativ der Politiker passen!

Carlos
3 Jahre her

Zum Thema Bauen: Ab 2023 beginnt der Erweiterungsbau am Kanzleramt. Auch eine neue, große Kanzlerwohnung ist geplant. Scholz dürfte das egal sein. Bis die in Berlin fertig wird, ist die Ampel längst Geschichte und Olaf in Rente.

thinkSelf
3 Jahre her

Die „richtige“ Inflationsrate gibt es eh nicht, da die bei jedem Warenkorb anders ist. In der Diskussion wird diese von jeweils interessierter Seite entweder als zu hoch oder zu niedrig bezeichnet. Das ist aber auch egal, da es bei derartigen Messgrößen nicht um die absolute Zahl geht (die ist völlig unbedeutend) sondern um die Entwicklung. Hinzu kommt mit welcher Absicht man eine Zahl erhebt. Also ob sie Handlungsauslösend ist oder eh nur Datenschrott. Und aus einer „allgemeinen Teuerung“ lassen sich überhaupt keine sinnvollen Aussagen ableiten. Aber man kann ganz viele Artikel darüber schreiben und sinnlose Diskussionen führen. Übrigens, wo wir… Mehr

Ingolf
3 Jahre her
Antworten an  thinkSelf

Alle Selbstnutzer die vor mehr als fünf Jahren ihre Immobilie gekauft, aber noch nicht abbezahlt haben, konnten eine massive „Mietsenkung“ verbuchen.
Jein, denn gesetzliche Vorgaben, z.B. EnEV, treiben die Kosten (Themen wie „Reparaturen, Sanierungen, gesetzliche Zwangsmaßnahmen, etc. werden übrigens bei den „Ratgebern zur Immobilienfinanzierung“ gerne vernachlässigt … für vermietete Immobilien über die Anlage V vielleicht noch steuerlich tragbar, für Selbstnutzer teuer). Z.B. eine Fassadensanierung kann sich aufgrund der Vorgaben der EnEV schon um den Faktor 8 erhöhen.

Thorsten
3 Jahre her

Die Preise können auch ansteigen bzw explodieren, wenn nicht die EZB die Geldmenge ausweitet, sondern Verbraucher oder Großanleger große Mengen des bereits „gedruckten“ Geldes ausgeben, weil sie tiefgreifende Probleme erwarten.
Vereinfacht: falls eine substanzielle Kapitalflucht aus dem Euro stattfindet.

Dieter Kief
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Der Euro ist vergleichsweise stabil. Die Untergangspropheten haben sich bisher an ihm die Zähne ausgebissen.

Dieter Kief
3 Jahre her
Antworten an  Dieter Kief

egal1966 – vergleichen Sie bitte mit dem Dollar – oder mit dem Yen oder – hehe: Der türkischen Lira. Stabilität kann man substantiell betrachten, oder relativ zu anderen Währungen.
Es gibt aber eine Teilmenge diese beiden Betrachtungsweisen, und das ist die relative Stabilität über einen längeren Zeitraum gesehen – die nähert sich der substantiellen Stabilität zumindest an. – Nicht vergessen: Über sehr lange Zeiträume hinweg betrachtet, sind wir sowieso alle tot (John M.Keynes, nedwahr).

U.S.
3 Jahre her

Die Inflation wird noch extrem erheblich steigen, wenn rot rot grün ihre Pläne aus dem Sack lassen, dass jeder aus allen Armuts und Elends-Regionen des gesamten Planeten nach Germoney hinein kommt per Asyl. Rot rot grün wollen: jeder aus Afrika, Asien, Indien, und weltweit, wer immer nach Germoney hinein möchte, darf kommen. Wer die Transport Kosten nicht bezahlen kann/ möchte, wird mit deutschen Flugzeugen und Schiffen kostenlos abgeholt. Deutsche Pässe gibt es bei Ankunft kostenlos, und alle bekommen rundum sorglos Paket aus Wohnung, Geld und unbegrenzten Familien Nachzug. Die Neubürger bekommen 2 – 3 Freifluege pro Jahr in nach Hause… Mehr

Dieter Kief
3 Jahre her

Aber die Eigenheimbewohner sind doch die größten Ressourcenverbraucher und Umweltschädiger! – Die kann man doch staatlicherseits gar nicht hart genug herannehmen!

(Ok – Ironie off)

Kraichgau
3 Jahre her

wer wie die allermeisten Menschen Nahrungsmittel,Energie zum heizen/fahren und Mieten/Hausfinanzierung als Hauptkostenfaktoren hat,dem wird aufgefallen sein,das neben den irrwitzigen Energiesprüngen die Lebensmittel ebenfalls weit jenseits der 10% gestiegen sind.
Die amtlichen Verlautbarungen sind reines Geschwaetz,das null mit der Realität zu tun hat.
Schön aber,das rund um uns in der EU die Eigenbesitzwerte drastisch höher als bei uns sind und ebenso die Eigentums/Geldbesitzmenge weitaus höher als in der BRD liegen…warum wohl?

Britsch
3 Jahre her

Hat hier kürzlich nicht Jemand geschrieben
laut Max Otte läge die derzeitige Inflation in Deutschland bei 8%

Dieter Kief
3 Jahre her
Antworten an  Britsch

Otte ist ein wenig schwankend in seinen Angaben. Ich habe auch schon sechs Prozent oder sieben Prozent von ihm sagen hören.

fory63
3 Jahre her

97% der Wissenschaftler sagen…..wir hängen an den Trögen der Politik und reden dieser daher nach dem Mund. Abhängige Technokraten singen das Lied der Politik. Danke.

Dirk Bender
3 Jahre her

Steigende Baukosten, fehlendes Bauland und sinkende Nettoeinkommen stellen sicher, dass die Deutschen ein Volk von Mietern bleiben und dazu noch ein deutlich ärmeres als die Bürger anderer Euroländer. Die Gründe sind vielfältig, zusammengefasst: Deutschland rangiert, was die Wohneigentumsquote betrifft, auf den letzten Platz aller EU Staaten. Das Wegschauen bei Mietwucher, vom Verramschen von Wohnungen an ausländische Investoren, bei Luxussanierungen, beim Wohnungsleerstand, bei Sozialmissbrauch verstärkt das Problem nur noch. Ein anderer, relativ wenig betrachteter Aspekt liegt in der Demografie. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung. Es fehlt an „Nachwuchseigentümern“. Steigender Flächenbedarf durch die steigende Anzahl… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Dirk Bender
Britsch
3 Jahre her
Antworten an  Dirk Bender

Bei uns in der Nähe gab es z.B. einen Bürgermeister der hat unter Anderem
ein großes Stück Land für die Gemeinde aufgekauft. Als er ene bestimmte Fläche zusammen hatte wurde das Ganze in Bauland umgewandelt und ein Bauträger gesucht der aber gewisse Anforderungen erfüllen mußte und die Verkaufspreise entsprechend gedeckelt waren. Als ein Bauträger nach den Vorstellungen gefunden war bekam der das Gelände. Da der nach und nach eine große Fläche bebaute mit annähernd gleichen Häusern waren die Kosten entsprechend nieder
und es konnte zu dem gedeckelten verhältnismäßig niederen Preis verkauft werden