Scharfe Kritik an Lieferkettengesetz von Wirtschaft und Hilfsorganisationen

Das EU-Parlament und die EU-Staaten haben das Lieferkettengesetz beschlossen. Während Unternehmen harte Sanktionen und noch mehr Bürokratie fürchten, beschreibt Misereor das Gesetz als zahnlosen Tiger im Kampf um Menschenrechte und Umweltstandards. Von Samuel Faber

IMAGO / Joerg Boethling

Nach langem Hin und Her um das Lieferkettengesetz haben sich die Unterhändler des Europäischen Parlaments sowie die EU-Staaten auf eine Einigung verständigt. Gemäß der neuen Richtlinie sollen große Unternehmen bestraft werden, wenn sie gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen. Unter „großen Unternehmen“ sind Firmen zu verstehen, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und einen weltweiten Nettoumsatz von 150 Millionen Euro verbuchen. Für Unternehmen außerhalb der Europäischen Union gilt dies, wenn sie drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Nettoumsatz von 300 Millionen Euro innerhalb der EU erwirtschaften. Der Finanzsektor ist vorerst ausgenommen.

Die Einigung sieht auch vor, dass die Einhaltung der Richtlinie als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen herangezogen werden kann. Das bedeutet, dass jede Kommune beispielsweise bei Bauvorhaben sicherstellen muss, dass ihre Geschäftspartner Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Wirtschaftsverbände kritisieren den Beschluss scharf.

„Ein riesiges Schlupfloch“

„So haben BDI (Industrie), BDA (Arbeitgeber), ZDH (Handwerk), DIHK (Handel) sowie der Gesamtmetall-Verband in den vergangenen Wochen zwei offene Briefe an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gerichtet, wie der Spiegel berichtete. Darin heißt es, die deutsche Wirtschaft verfolge die Diskussion um das EU-Lieferkettengesetz „mit großer Sorge“. Auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dts teilten die genannten Verbände bereits vor der Einigung mit, dass die Lieferketten-Richtlinie „ein Fehler“ sei, da die Regulierung „unabsehbar“ sei. „Das Gesetz darf nicht kommen“, stellten die Verbände unmissverständlich klar.

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„Dabei beunruhigt uns unter anderem die Abkehr von zentralen Inhalten der deutschen Protokollerklärung aus Dezember 2022, unter deren Vorbehalt die Bundesregierung der allgemeinen Ausrichtung überhaupt nur zugestimmt hat“, heißt es im Papier. Damit ist die sogenannte „Safe Harbour“-Regelung gemeint, auf die die Bundesregierung noch im vergangenen Jahr in den Verhandlungen in Brüssel gedrungen hatte.

Mit der „Safe Harbour“-Regelung könnten sich Unternehmen zum Beispiel ihre Produkte oder die globalen Produktionsprozesse von externen Prüfern als einwandfrei zertifizieren lassen. Haben Betriebe dieses Zertifikat, können sie nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz belangt werden. Das Problem dabei ist, dass es nicht funktioniert. „Das ist ein riesiges Schlupfloch und eine große Hürde für Betroffene, wenn sie Schadenersatz einklagen wollen“, sagt Armin Paasch von der Hilfsorganisation Misereor gegenüber dem WDR.

Es drohen „unverhältnismäßig hohe Strafen“

Und Paasch fährt fort: „Unternehmen bekommen eine Haftungserleichterung gerade dadurch, dass sie Risiken nicht beachten. Und das widerspricht absolut dem Sinn dieses Gesetzes.“ Es besteht der Verdacht, dass solche Lücken für Unternehmen ganz bewusst geschaffen werden. Das Stichwort lautet „unvorhersehbare Risiken“. Für diese müssten die Unternehmen dann auch nicht haften. Damit überlässt laut Misereor die Bundesregierung den Firmen selbst zu entscheiden, wofür sie haften und wofür nicht.

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Auch von Experten hagelt es Kritik. „Mit dem Lieferkettengesetz schießt sich die EU im globalen Wettbewerb ins Abseits“, kritisierte die Ökonomin Galina Kolev-Schaefer am Institut. So seien laut n-tv viele Lieferanten in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht auf die Anforderungen aus Europa vorbereitet, sodass sich europäische Unternehmen zurückziehen würden. Größter Profiteur ist einmal mehr China, das sich weniger um Umweltstandards und Menschenrechte kümmert als die EU.

Die Opposition sieht hingegen große bürokratische Belastungen für die Unternehmen. „Noch höhere bürokratische Belastungen und unverhältnismäßige Strafen für Unternehmen“ seien „das Gegenteil dessen, was in der aktuellen schwierigen wirtschaftspolitischen Lage geboten ist“, kommentierte auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP im Bundestag, Lukas Köhler. Ähnlich sieht das die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebeler.

Einzig profitiert der Staatsapparat

Im Detail heißt das: Die Geschäftsleitung muss eine Grundsatzerklärung über ihre Menschenrechtsstrategie formulieren und kommunizieren, sowie entsprechende Präventionsmaßnahmen anbieten, zum Beispiel Schulungen, Änderung der Beschaffungsstrategien, vertragliche Zusicherungen seitens Lieferanten. Selbstverständlich muss die Erfüllung fortlaufend dokumentiert und ein jährlicher Bericht erstellt werden, der für jedermann einsehbar ist. Verstöße gegen das Lieferkettengesetz werden hart sanktioniert.

Unternehmen müssen sich auf Strafen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes einstellen, wenn sie die Richtlinie missachten. Für die Überwachung und Ermittlungen sollen übrigens die nationalen Behörden zuständig sein. Das bedeutet konkret: mehr Planstellen und mehr Bürokratie für den Staatsapparat.

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Kommentare ( 24 )

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Sabine W.
1 Jahr her

Wenn’s um Klamotten geht: Ich habe inzwischen mehrfach festgestellt, dass sowohl in Billigware vom (Textil-)Discounter bis zur sog. ‚Markenkleidung‘ immer wieder ‚Made in Bangladesh‘ auf den Labels steht. Ich frage mich, wer da ‚unanständiger‘ ist: Der Billigheimer, der zu seinen Produktionsbedingungen offen steht, oder der Markenheini ‚Boss‘, ‚Hilfiger‘ etc., der zwar genauso billig produzieren lässt, aber noch eine Riesenmarge bis zum Verticken an den Endverbraucher draufhaut…? Und nicht anders läuft es doch auch bei anderen Waren – gleiche Produktionsbedingungen, andere Labels. Blöd ist, wer dann nur noch das Label bezahlt. Und die Nachverfolgung von Lieferketten? Geschenkt. Ist halt eine ‚freiwillige… Mehr

GP
1 Jahr her

Die EU hat nicht mehr alle Latten am Zaun…. Ich arbeite in einem Industrieunternehmen (950 Beschäftigte, 300 Mio € Jahresumsatz) und unser armer Einkäufer müsste sicherstellen dass die Rohstoffe aus China, Indien…. unter Einhaltung aller Menschenrechts- und Klimabestimmungen hergestellt wurden… Da können wir den Laden gleich schließen und die knapp 1000 Mann nach Hause schicken. Das ist die Quadratur des Kreises. Wir werden von Idioten regiert und von ihren Beamten verwaltet. Das wird in einem Fiasko enden – für Europa!

BellaCiao
1 Jahr her

Wie heuchlerisch und verlogen unsere Ampelregierung ist, finde ich auch daran erkennbar, was für nationale Gesetze erdacht werden. Da gibt es doch jetzt tatsächlich, nachdem das höchste deutsche Gericht den Haushalt der Regierung gerade erst für nichtig und verfassungswidrig erklärt hat, ein »Haushaltsfinanzierungsgesetz«. Wie passend!

Wann kommt das Gute-Regierung-Gesetz? Ein »Gute-KiTa-Gesetz« gibt es immerhin schon (hier klicken). Sie zimmern sich die Gesetze, wie sie sie gerade brauchen. Da würde es gar nicht mehr verwundern, wenn demnächst ein »Regierungs-Ermächtigungsgesetz« kommt. Woran erinnert mich das bloß? An zwei verschiedene Arten von Sozialismus vielleicht?

Last edited 1 Jahr her by BellaCiao
Evero
1 Jahr her

Die deutschen Gutmenschen machen sich zum internationalen Zwangsanwalt der ganzen Welt. Als hätte die Welt ausgerechnet auf deutsche Bürokraten gewartet.
Ein weiterer Fall von völliger Selbstüberschätzung und nur peinlich. Andere Länder, andere Regierungen, andere kulturelle Gepflogenheiten werden geringgeschätzt.
Kehren vor der eigenen Türe in Sachen Meinungsvielfalt und Toleranz wäre klug.

alter weisser Mann
1 Jahr her

Die Einigung sieht auch vor, dass die Einhaltung der Richtlinie als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen herangezogen werden kann. Das bedeutet, dass jede Kommune beispielsweise bei Bauvorhaben sicherstellen muss, dass ihre Geschäftspartner Menschenrechte und Umweltstandards einhalten.

Verstehe ich nicht, wie kann ein „herangezogen werden KANN“ ein „sicherstellen MUSS“ bedeuten? Sind solche Qualitätssprünge Teil des Regulatorikwahnsinns?

H. Hoffmeister
1 Jahr her

Der bürokratische Irrsinn ist nicht mehr zu überbieten. Da sind von Unternehmen bereits abertausende Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zu befolgen, die nicht einmal mehr Großkonzerne alle kennen, und schwupp kommt der nächste Schwachsinn um die Ecke. Fallbeispiel Lieferkettengesetz: kleines mittelständisches Technologieunternehen mit 100 Mitarbeitern bezieht relevante Zwischenprodukte – die in der EU nicht mehr hergestellt werden – für seine Produkte von einem großen Konzern aus Indien. Der kleine Mittelständler selbst wird von seinem Großkunden aus der EU im Rahmen dessen Verpflichtungen aus dem Lieferkettengesetz gezwungen, seine Vorlieferanten zu auditieren, um Verstöße gegen das Gesetz zu verhindern. Glaubt in dieser besch……..… Mehr

RMPetersen
1 Jahr her

Einzig profitiert der Staatsapparat“
Und zusätzlich gibt es NGOs und neu gegründete Institute, die zertifizieren und nutzlose Bestätigungen schreiben.
Und wieder einmal fällt auf, die a. die Unternehmer sich nicht rechtzeitig zu Wort melden und b. die CDU/CSU orientierungslos ist.

Harry Charles
1 Jahr her

WELTFREMD-VERLOGENE GUTMENSCHNUMMER „Der Finanzsektor bleibt vorerst ausgenommen“. Hört, hört. Da hat dessen Lobby aber mal wieder ganze Arbeit geleistet. Also spekuliert werden darf mit „sweatshop labour“ auf Deubel komm raus. Aber wenn hierzulande ein Zulieferbetrieb eine Tonne Drittwelt-Putzlappen für seine Werkstatträume ordert, dann ist er dran. Es ist wieder mal dieselbe Verlogenheit, die man schon zur Genüge von den woke-Priestern kennt. Big-Tec Unternehmen machen einen auf Öko, obwohl gerade sie am umweltschädlichsten agieren. Asylschlepperei soll als Akt der Humanität verkauft werden. In den Schulen werden die Kiddies zu „Pazifisten“ erzogen (morgens, denn nachmittags zu Hause zocken sie ja Ballerspiele), in… Mehr

Bronstein
1 Jahr her
Antworten an  Harry Charles

Fairtrade.org kassiert Gebühren und der Einzelhandel verlangt hohe Preise. Große Konzerne machen kaum oder gar nicht mit, was für den Handel gut ist, da man alles in die eigene Tasche stecken kann.

Arndt Schuster
1 Jahr her

Allein die AfD hat sich von Anfang an gegen das Leiferkettengesetz ausgesprochen und zwar für dessen ersatzlose Streichung!

Karsten Paulsen
1 Jahr her

Ich kaufe bei Aliexpress, und dies ist für Herr Tichy, da finde ich auch die technischen Produkte aus Russland, Stichwort: Malahit oder ATS25. Ich bin nämlich noch alte Schule und fördere Wandel durch Handel und mische mich nicht in die inneren Angelegenheiten Anderer ein.