Unabhängiger Sachverstand unerwünscht? Wo waren die Wirtschaftsweisen beim Schulden-Deal?

Das Schuldenpaket von CDU/CSU und SPD wurde ohne vorherige Konsultation der „Fünf Weisen“, die als Sachverständigenrat das offizielle ökonomische Beratergremium jedweder Bundesregierung sind, geschnürt. Andere traten an ihre Stelle.

picture alliance / Metodi Popow | M. Popow

Während der Beratung im Bundestag über Grundgesetzänderung und Schuldenpaket trat die Vorsitzende der Grünen Franziska Brantner ans Rednerpult und sagte: „Herr Merz, das könnte Ihr Adenauer-Moment sein …“ Das bezog sich zwar auf den Willen zur Verteidigung Europas, hätte aber auch auf die Art der Entstehung des Schulden-Deals gemünzt sein können.

Von Konrad Adenauer sind viele Bonmots bekannt, die in die Annalen eingegangen sind, und bis heute Gültigkeit haben. Als Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard Anfang der Sechzigerjahre unter dem Druck steigender Preise – für die damalige Bundesrepublik ein völlig neues Phänomen – einen Sachverständigenrat für Wirtschaft einrichten wollte, soll ihn der damalige Bundeskanzler angeblafft haben: „Erhard, woll’n Se sich ’ne Laus in den Pelz setzen?“ Womit er meinte: Ein Politiker sollte sich nicht von Wissenschaftlern ins Geschäft reden lassen.

Genau aber das wollte der ordoliberale Erhard: ein Gremium, das durch wissenschaftlich begründeten Rat falschen ökonomischen Entscheidungen der Politik mannhaft – weibliche Ratsmitglieder gab es erst seit den 2020ern – entgegentritt, quasi eine „Laus im Pelz“ der Politik. Auch auf die Gefahr hin, den politischen Akteuren gehörig auf die Nerven zu gehen und das Berater-Dasein nach fünf Jahren ohne Wiederberufung beenden zu müssen. Das Ökonomen-Gremium sollte unabhängig von der Bundesregierung arbeiten.

Erhard setzte sich schließlich durch. Am 14. August 1963 beschloss der Bundestag einstimmig das Gesetz über den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Anders als der amerikanische Council of Economic Advisors, der direkt dem Präsidenten untersteht, sollte das neue Gremium unabhängig sein. Seine Mitglieder werden zwar von der Bundesregierung berufen, sie können danach aber selbst entscheiden, worüber sie beraten wollen und zu welchen Ergebnissen sie kommen. Der Rat soll nicht nur in die Regierung hinein, sondern auch über die Öffentlichkeit wirken. Kein Wunder, dass man die Sachverständigen auch die „Fünf Weisen“ nennt.

Franziska Brantner hatte Recht: Merz hat den Geist von Adenauer offensichtlich gut adaptiert. Und ist dessen Empfehlung in Bezug auf Laus und Pelz bei Erfindung und Konstruktion des Schuldenpakets gefolgt, indem er die Expertise der bekannt schuldenkritischen Regierungsberater erst gar nicht in den Schuldenbauplan einbezogen hat.

Am Anfang stand, wie so oft in der neueren deutschen Geschichte, nicht das Wort, sondern ein Herr von Weizsäcker, genauer Jakob von Weizsäcker, seit 2022 als SPD-Mitglied Wirtschafts- und Finanzminister im Saarland – Volkswirt und Wissenschaftler, davor unter anderem ökonomischer Chef-Berater unter Finanzminister Olaf Scholz.

Folgt man einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, wollte Saarland-Minister von Weizsäcker nach der Bundestagswahl angesichts der anstehenden Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD „als Dienstleistung einen volkwirtschaftlichen Input zur Verfügung stellen“. Und berief einen kleinen, ebenso elitären wie untereinander konträren Kreis von hochrangigen Ökonomen aus Wissenschaft und Praxis, um diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Als da waren: Jens Südekum, Wirtschaftsprofessor an der Universität Düsseldorf, Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Moritz Schularick, Präsident des Institut für Weltwirtschaft in Kiel, sowie Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts in München.

Mitglieder des Sachverständigenrates: Fehlanzeige!

Alle vier waren spontan verfügbar und schalteten sich am 6. März am späten Nachmittag zuusammen. Sie einigten sich auf ein Papier, das dann später zwar nicht gänzlich im Merz-Vorschlag Eingang fand, das aber den Kontruktionsplan für das gigantische Schuldenpaket enthielt, welches dann am 18. März vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde.

Das offizielle Beratergremium der Bundesregierung, die „Wirtschaftsweisen“, waren in dieses Vorhaben nebst Konstruktion nicht eingebunden. Und dies, obwohl auch das Ökonomen-Quartett durchaus unterschiedlich und konträr zusammengesetzt war. So galt vor allem der Ifo-Chef Clemens Fuest als bekennender Gegner von großen Schuldenpaketen und ungehemmten Ausgaben.

Angesichts der Dringlichkeit der Herausforderung, der politischen Rahmenbedingungen und der Erkenntnis, dass eine sinnvolle Reform der Schuldenbremse auf die Schnelle nicht möglich war, kam man zu einer einheitlichen und einstimmigen Empfehlung. Die Ökonomenrunde schlug vor, die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aufzuweichen und ein milliardenschweres Sondervermögen für die Infrastruktur zu schaffen.

Das Papier ging noch am gleichen Donnerstagabend an das Sodierungs-Kollegium. Zwei Tage später wurde das Sondierungsergebnis von Friedrich Merz und Lars Klingbeil verkündet, von den Grünen danach noch „grüner“ eingefärbt und schließlich vom Bundestag verabschiedet. Mit dem Hinweis auf den „Adenauer-Moment“ bei Friedrich Merz.

So weit, so gut. Schon der große Dichter wusste: „Der Wahn war kurz, die Reu ist lang“. In diesem Sinne haben die vier Schulden-Ökonomen inzwischen eine gewisse kognitive Distanz zu dem verabschiedeten Schuldenpaket gezeigt.

Festzuhalten bleibt indessen, dass „die Laus im Pelz“ keine Chance hatte, die Kammerberatungen zu stören. Die „Fünf Weisen“ des Sachverständigenrats für Wirtschaft, die eigentlich die Bundesregierung bei solchen epochalen und essentiellen Entscheidungen beraten sollten, waren in den Entstehungsprozess des Schuldenpakets nicht eingebunden. Auch die Bundesbank und ihr gesamter Sachverstand blieben außen vor.

Da kommt die Frage auf, ob unter diesen Umständen und angesichts seines Bedeutungsverlustes ein Gremium wie der Sachverständigenrat nicht dem unabdingbaren politischen Sparzwang in den öffentlichen Haushalten unterworfen werden sollte. Auf die Bundesbank dagegen wird man kaum verzichten können – auch wenn die Bargeldversorgung immer schlechter wird.

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Kommentare ( 63 )

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moorwald
18 Stunden her

Auch Diktaturen geben sich gern einen Anschein von Legitimität. Da gibt es dann Volkskongresse, Volkskammern…oder man beruft sich auf „die Wissenschaft“…
Es geht immer um eine Verschleierung und Auslagerung von Verantwortung.

HansKarl70
1 Tag her

Wirtschaftsweise oder Politikerabhängige? Auf jeden Fall war DER gut. selten so gelacht oder geweint. Wie man es nimmt.

moorwald
1 Tag her

„Wirtschaftsweise“, „Ethikkommissionen“… reine Alibi- und Affirmationsorgane. Nutzlos, wirkungslos, überflüssig…

Siggi
1 Tag her
Antworten an  moorwald

Job- und Versorgungsprogramme, wie die unzähligen links-grünen NGOs zur Meinungsbildung und Schlepperunterstützung. Es ist an der Zeit, dass der Ehrliche auf die Straße geht und den Kampf gegen die links-grünen Verbrecher aufnimmt. Spätestens wenn Merz seine links-grüne Ministerschaft vorstellt, wird der letzte wissen, dass es ein Fehler war, den Lügen des Merz zu glauben die CDU zu wählen. Noch nie ist ein Betrüger und Wahllügner zum Kanzler gewählt worden; obwohl, Merkel und Scholz waren ja eigentlich nicht besser, konnten es nur besser tarnen. Die Angst vor der AFD muss den Korrupten tief in den Knochen stecken; und das ist gut… Mehr

Kassandra
1 Tag her
Antworten an  Siggi

Während die Politiker vielleicht noch davon kommen könnten – die Beamten werden es nicht, so sie ihre Remonstrationspflicht verabsäumten. Dann droht persönliche Haftung.

Peter Pascht
1 Tag her

„Niemand hat das Recht sich zu unterwerfen“ – Hannah Arendt

Peter Pascht
1 Tag her

Die Zensur des sturen „Unverstandes“ wirkt überall. Auch unter „Weisen“, „Professoren“ und „Experten“. Es ist und bleibt imperativ für jeden Einzelnen, Denkverbote zu erkennen und zu bekämpfen, damit unsere gesellschaftliche Freiheit nicht in Diktatur abgleiten soll. Freiheit ohne Denkfreiheit gibt es nicht, den Freiheit ist die Freiheit des menschlichen Geistes, die Freiheit der Gedanken. Eine andere Freiheit gibt es nicht. Verankert in dem deutschen Studentenlied „Die Gedanken sind frei“. Es ist und bleibt unleugenbarer Imperativ der Wissenschaft, dass jeder seine zitierten Behauptungen auch wissenschaftlich zu beweisen hat, unabhängig von akademischem Rang und Namen. Allerdings gilt in der Bauchnabelschau des heutigen… Mehr

moorwald
1 Tag her
Antworten an  Peter Pascht

Die Freiheit des Gedankens ist der schwache Trost all derjenigen, denen die Freiheit des Tuns genommen wurde. Wie auch in dem Liedchen zum Ausdruck kommt („Und sperrt man mich ein…“)

Nibelung
1 Tag her
Antworten an  Peter Pascht

Der Text ist dem Sinne nach schon seit dem 12. Jahrhundert durch Walter von der Vogelweide bekannt und wurde wieder ausgekramt unter der Schreckensherrschaft von Metternich, der den gleichen Spitzelstaat wie heute erstellt hat und dann zum Synonym aller freiheitsliebender Kräfte, neu vertont und getextet, als Sinnbild gegen die Unterdrückung wurde, wo auch noch zwischendurch die Revolution von 1848 Ausdruck höchster Empörung war, was allerdings damals zu Gunsten der Herrschenden ausging. Auch das alles könnte mal wieder kommen, wenn man es übertreibt und besser ist es man verhält sich anständig um möglichst solche Abartigkeiten zu verhindern, wo man nie sagen… Mehr

moorwald
1 Tag her
Antworten an  Nibelung

„…doch alles in der Still‘
Und wie es sich schicket…“
Schöne Freiheit.

Peter Pascht
1 Tag her
Antworten an  Peter Pascht

Die Stammtisch Intelektuellen sind mal wieder beim Lob verteilen.

Michael M.
1 Tag her
Antworten an  Peter Pascht

Ist das jetzt einfach nur Arroganz/Hochmut/Überheblichkeit oder was soll hier zum Ausdruck gebracht werden?!

Nibelung
1 Tag her

Die „Wirtschaftsweisen“ sind doch hochgradig abhängig und dürfen nur soviel sagen, wie es die Politik erlaubt und nicht ihre Kreise stört und deshalb kann man auf ihre Aussagen nicht unbedingt bauen, den die sind wie der Halm, der sich im Winde biegt um nicht abzubrechen, was ein Naturgesetz ist und nur dem Starken als Mittel zum Zweck vorbehalten bleibt, bis auch er durch gewisse Umstände hinweg gefegt wird. Im übrigen stehen ja auch ihren Ansichten weitere gegenüber, die man durchaus als ebenbürdig sehen kann und nur deren Unabhängigkeit zeigt dann Format und den Rest muß man sich selbst zusammenstellen, wie… Mehr

alter weisser Mann
1 Tag her

„Auf die Bundesbank dagegen wird man kaum verzichten können – auch wenn die Bargeldversorgung immer schlechter wird.“
Die Verschlechterung der Bargeldversorgung hat mit der Bundesbank als deren Zentrale wenig zu tun.
Es sind die Geschäftsbanken jeder Art als letztendliche Bargeldverteilstellen, die die nötige Infrastruktur (Automaten und Filialen) und damit den Zugang zum Bargeld für Bürger bestimmen und hier Kosten & Aufwand der Bargeldwirtschaft vermeiden wollen, die der Kunde ja auch nur ungern direkt bezahlen will.
In diese Lücke stößt zum Teil der Handel mit kostenfreien Bargeldabhebungen an der Kasse.

Kassandra
1 Tag her
Antworten an  alter weisser Mann

Ich will gar nicht wissen, wie viel „Matratzengeld“ in diesen unsicheren Zeiten geschaffen wird. Nicht nur für den Fall eines Energieausfalls ist man damit auf der sicheren Seite – bis sie halt dann nur noch „Digitalgeld“ als Zahlungsform anerkennen werden. Wobei sich auch dann vielleicht ein „Nebenmarkt“ auftun wird: https://www.schwaebische.de/regional/sigmaringen/bad-saulgau/bei-blackout-sie-haben-auch-bei-stromausfall-weiter-geoeffnet-3401282

Peter Pascht
1 Tag her

Im Schweinsgalopp wurde die Sau der Grundgesetzänderung durch den Bundestag und durch den Bundesrat gejackt, Grundgesetz und Bundestagsordnung (GO-BT) zum Verfahren der Gesetzerlassung gebrochen und missachtet und das deutsche Bundesverfassungsgericht hat Selbstmord begangen. Was da abgeht ist der größte Banditen-Raub der Geschichte. Ein Putsch gegen die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes. „Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht“ – sagt ein hoch honoriger Mann, Ex-Bundespräsdent Richard von Weizzsäcker Beute = durch Diebstahl und Plünderung erlangtes Gut Korrupt gekaufte Abgeordnete ist das Prinzip der deutschen Staatslenkung. Eine skrupellose Kaste ohne Scham, Ethik und Moral, die ihr Gewissen verkaufen gegen wohlklingende… Mehr

Peter Pascht
1 Tag her
Antworten an  Peter Pascht

Sie mal an, auch die linksextremistische Antifa liest hier mit.

Peter Pascht
1 Tag her

Was zur Zeit stattfindet ist der größte Banditen-Raub in der deutschen Geschichte.
Es ist ein ausgebuffte mafiöses Ganovenstück wie man es in deutschen Landen noch nie sah, nicht im Mittelalter und nicht in der Neuzeit.
Das hat kein König, kein Kaiser und auch die Nazis nicht gewagt.
Aber die Kommuisten haben es im „Realsozialismus“ erfunden.
Merkel durfte dafür, 16 Jahre lang die Korruption in alle Staatsämtern einführen.
Im Schweinsgalopp wurde die Sau der Grundgesetzänderung durch den Bundestag und danach durch den Bundesrat gejackt,
Grundgsetz und Bundestagsordnung zum Verfahren der Gesetzerlassen gebrochen und missachtet und das deutsche Bundesverfassungsgericht hat Selbstmord begangen.

Last edited 1 Tag her by Peter Pascht
Autour
1 Tag her

Ein Gremium, das von Politclowns ernannt wird, KANN nur eine Clownsveranstaltung sein!