Tesla bestätigt Chaostheorie

Die Chaostheorie besagt, dass kleinste Veränderungen einer bestimmten Sache zu völlig andersartigen Veränderungen im gleichen System führen können. Tesla hat jüngst dafür den Beweis geliefert. Oder handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver, wie Kommunikationsexperten meinen?

picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Zunächst zur Einführung ein plastisches Beispiel von Edward Lorenz, der 1962 als Mathematiker und Meteorologe am MIT die Chaostheorie begründete. Flattert ein Schmetterling in Brasilien (oder sonst wo), beeinflusst sein Flügelschlag dadurch die Atmosphäre, die Luftbewegung pflanzt sich fort, schaukelt sich auf und kann schließlich zum Wirbelsturm in Texas (oder sonst wo) führen. Der Schmetterling verursacht also ein Chaos. Dieses Phänomen wurde von Edward Lorenzerstmals als „Schmetterlingseffekt“ so benannt.

Oder ein anderes, praktisches Beispiel aus der Gegenwart. Herr A/Frau B verlässt sein/ihr Haus fünf Minuten zu spät, verpasst den Bus, kommt zu spät zum Vorstellungsgespräch, geht frustriert ins nächste Café und trifft dort auf einen Headhunter, und wird durch dessen Vermittlung sogar Boss in einer anderen Firma. – Das ist Chaostheorie.

Wie eng vernetzt Ereignisse und Interaktionen inzwischen auch in der Welt-Automobilindustrie sein können, zeigen zwei – scheinbar vollkommen voneinander unabhängige – Meldungen von und über Tesla.

Zum einen berichten die Medien über einen massiven Schwund von 65.000 Kaffeetassen, die in der Kantine der Tesla-Gigafabrik in Grünheide (Brandenburg) vermisst werden. Was den Spiegel zur Schlagzeile veranlasst: „Elon Musk hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.“ Und weiter: „Tassen-Gate bei Tesla: In der Fabrik des US-Autokonzerns bei Berlin sollen in großem Stil Kaffeetassen abhandengekommen sein. Rein statistisch hat laut Werksleiter jeder Beschäftigte fünf mitgehen lassen.“ (Tesla: 65.000 Kaffeebecher in Grünheide vermisst – Elon Musk hat nicht mehr alle Tassen im Schrank – DER SPIEGEL)

Zum anderen berichtet die Automobilwoche, dass Tesla in den USA erstmals unter 50 Prozent Marktanteil bei reinen Elektroautos fällt (Tesla fällt in den USA unter 50 Prozent Elektro-Marktanteil | Automobilwoche.de).

Zwei Meldungen, scheinbar völlig losgelöst voneinander und doch irgendwie vernetzt. Das Chaos pur! Zu den Meldungen im Einzelnen:

Tesla hat die Erfolgsspur verlassen, weltweit geht der Absatz zurück, werden hohe Verkaufsrabatte zur Lagerräumung gewährt. In Deutschland werden im Juni 2024 nur noch 4.648 neue Tesla zugelassen. Damit wird der erneute Absturz auf unter 2.000 wie im Mai 2024 abgewendet, aber im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich eine Schrumpfungsrate von minus 42,2 Prozent. In Grünheide meldet Tesla im April 2024 die Entlassungen von 400 Mitarbeitern, und das dürfte erst der Anfang von weiteren Arbeitsplatzverlusten sein.

Als Hintergrund: Tesla-Firmenchef Elon Musk eröffnete seine europaweit einzige Gigafactory für Elektroautos von vor mehr als zwei Jahren in Grünheide bei Berlin. Die Produktion soll später auf eine Million E-Autos noch ausgebaut werden, was weitere Abholzungsarbeiten von 50 Hektar Wald notwendig machen würde. Das Genehmigungsverfahren für den weiteren Ausbau in Stufen beim Land Brandenburg hat begonnen.

Mit großer Spannung erwartet die Belegschaft bei Tesla die nächste Betriebsversammlung und den Bericht der Werksleitung über die weitere Zukunft. Im Mittelpunkt sollten Berichte über rückläufige Auftragseingangs- und Absatzzahlen, Angst um die Arbeitsplätze und ausbleibende neue Modelle zur Füllung der unterausgelasteten Kapazitäten stehen. Und wie es in Grünheide weitergeht.

Und dann ein Paukenschlag: Die Werksleitung legt ganz andere Themenschwerpunkte. Nach Meldungen des Handelsblatts und der Deutschen Presse-Agentur über die Betriebsversammlung sind beim US-Elektroautobauer Tesla im Werk Grünheide 65.000 Kaffeetassen nicht mehr da, wo sie sein sollten, nämlich in der Kantine. Werkleiter André Thierig berichtet ausführlich über den Schwund. „Rein statistisch hat jeder von euch schon fünf Ikea-Kaffeetassen zu Hause“, sagte Thierig dort. (Geschirrschwund bei Tesla: 65.000 Tassen sind weg – im Elektroautowerk | rbb24)

Fakt ist, dass Tesla im Laufe der Zeit Kaffeetassen für Mitarbeiter angeschafft hatte, die nach und nach auf mysteriöse Weise verschwanden. Ähnliche Phänomene sind auch aus anderen Unternehmen bekannt, aber nicht so heftig. Die Werksleitung schwieg sich aus, ob die Tassen nachgekauft werden.

Im Management fürchtet man derweil offenbar eine Ausweitung der Diebstähle auch auf andere Betriebsgegenstände. Wegen des Abhandenkommens der Tassen habe man sich schließlich dazu entschlossen, kein Besteck in die Pausenräume zu legen. „Denn auch da würden wir wahrscheinlich zum Großabnehmer für Messer und Gabeln demnächst werden“, wird Thierig zitiert. (Tesla: 65.000 Kaffeebecher in Grünheide vermisst – Elon Musk hat nicht mehr alle Tassen im Schrank – DER SPIEGEL)

Da die Tassen von IKEA stammten und nach Recherchen der Süddeutschen je Stück 79 Cents gekostet haben, bedeutet das einen Realeinkommensanstieg je Tesla-Mitarbeiter im Durchschnitt um rund 5 Euro. Berichtet wurde auf der Betriebsversammlung aber nicht nur über die Kaffeetassen, sondern auch über ein neues Fitness-Studio, andere sagen Diskothek, das Tesla zur Belohnung für die rund 12.000 Beschäftigten einrichten wolle.

Die zweite Negativ-Meldung über Tesla stammte aus den USA. Vor allem dort hatte Tesla-Chef Elon Musk im vergangenen Quartal keinen Grund zum Jubeln. Trotz mehrerer Preissenkungsrunden hat der US-Autobauer auf seinem Heimatmarkt zum ersten Mal weniger als die Hälfte der Neuzulassungen von E-Autos auf sich verbuchen können. Der Marktanteil im zweiten Quartal fiel auf 49,7 Prozent, zehn Punkte weniger als im Vorjahr (59,3 Prozent).

Laut Automobilwoche verkaufte Tesla zwischen April und Juni in den USA nach 164.000 Einheiten, 6,3 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Zugleich legte der gesamte Elektro-Markt um 11,3 Prozent auf 330.463 Einheiten zu, ein neues Allzeit-Hoch. Und die Gewinner waren jene Marken, deren „Innereien“ wie Batterien, Batterierohstoffe, Elektronik-Bauteile nicht aus China stammten – das hatte die Regierung Biden verboten: Das waren im abgelaufenen Quartal General Motors, Ford, Hyundai und Kia.

Allerdings machte damit der Anteil von rein elektrischen Pkw am US-Gesamtmarkt immer noch lediglich 8 Prozent aus, im Vorjahreszeitraum hat er 7,2 Prozent betragen. Weltweit verkaufte Tesla im vergangenen Quartal 440.000 Autos und damit 4,8 Prozent weniger im Vorjahr. – Ende einer Wachstumsstory?

Am Schluss die Gretchenfrage, worin die Interaktion zwischen beiden völlig gegensätzlichen Meldungen liegt. Nach Meinung von Kommunikationsexperten der Autobranche liegt die Vernetzung darin, dass die schlechten Nachrichten über sinkende US-Verkäufe aus Austin in Texas, dem Headquarter von Tesla, in der Betriebsversammlung in Grünheide der Anlass waren, die Belegschaft durch mehr oder weniger unterhaltsame Meldungen über verschwundene Kaffeetassen und die Einrichtung von Kindergärten und Fitnessstudios für die schrumpfende Anzahl von Mitarbeitern bei Laune zu halten.

Was im Endeffekt auch geglückt ist. Von Protestaktionen oder gar Streiks in Grünheide drang an die Öffentlichkeit nichts nach draußen.

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Kommentare ( 5 )

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c0benzl
2 Monate her

Gute, alte Zeiten. Frueher gab es ja auch das ‚Volkseigentum‘ – da hat sich jeder in der Fabrik gekrallt, was nicht angeschweisst war.

Vielleicht entstehen wieder neue Strassenmaerkte. Das hat auch eine gewisse Romantik.

siebenlauter
2 Monate her

Das Erschreckende der Nachricht ist doch das Sichtbarwerden der zunehmenden Verlotterung in Deutschland. Und die „Sekundärtugenden“ (Oskar Lafontaine) sind sehr wohl Indikator für die primären.

BK
2 Monate her

Der Weg von der Chaostheorie zum Schmetterlingseffekt scheint sehr kurz zu sein und verhält sich analog der tödlichen CO₂-Konzentration zum Klimawandel. Wundern muss mich das nicht, denn die Menschen sind leichtgläubig. So wie sie im Mittelalter an Hexen glaubten, die sie verbrannten, glauben sie heute an Kobold in Autobatterien. Hätte der Tag nur 12 Stunden, könnte man nur halb soviel Unsinn erzählen.

Michaelis
2 Monate her

Apropos Chaostheorie: mit diesem Blödsinn soll sich ja auch dieser eigenartige Chef des Potsdamer Klimainstituts akademisch profiliert haben. Das Beispiel mit dem Schmetterling ist übrigens eines von vielen, die meistens alle gegen die Logik der mathematischen Statistik und der Wahrscheinlichkeitstheorie angehen! Deshalb wird es auch nie eine „Versöhnung“ geben zwischen den „Fanatikern des Einzelfalls“ und der klassischen Wissenschaftsauffassung, dass Ereignisse auf (Über-) Zufälligkeit zu prüfen sind, um ernst genommen zu werden.

Gabriele Kremmel
2 Monate her

Das funktioniert nur, weil sich das durchschnittliche Bevölkerungsgemüt lieber mit Boulevard als mit trockenen Fakten befasst. Deswegen funktioniert auch die politische Strategie des Moralisierens und des Stigmatisierens so gut.