Der deutschen Automobilindustrie ging es in den letzten Jahren, populär ausgedrückt, „dreckig“. Jedenfalls, wenn man den Verlautbarungen des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Glauben schenken darf. Erst Corona, dann empfindlicher Chipmangel, dann Ukraine-Krieg, dann Lockdown-Störungen der Lieferketten mit dem wichtigsten Zulieferanten China und aktuell Horrormeldungen über den drohenden Verlust des Hauptabsatzmarktes für Elektroautos in China wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit.
Und über allem der Zwang zur Transformation der Antriebstechnik bis 2035, raus aus der quasi monopolartig beherrschten Verbrennertechnik, hinein in die ungeliebte Elektromobilität. Starker Tobak für den über Jahrzehnte Weltmarktführer in innovativer und hochqualitativer Automobiltechnik, Erfinder von unschlagbar effizienten Otto- und Dieselmotoren.
Der Grund für diese wundersame Entwicklung war ein Paradigmenwechsel in der Unternehmensstrategie bei allen Herstellern. „Marge geht vor Volumen“ hieß die neu Zauberformel, kurz: Kasse statt Masse. Während der Krisenjahre haben alle Hersteller gelernt: Rabatte und Preissenkungen zur Absatzankurbelung sind Gift für die Rendite und das Image. Bei Daimler unter CEO Ola Källenius wurde diese Strategie sogar offiziell aufs Panier geschrieben: Aufgabe der renditeschwachen unteren Marktsegmente, Konzentration auf die oberen hochpreisigen Fahrzeugmodelle, heißt es fortan im Stuttgarter Autokonzern.
Lage an den globalen Automärkten hellt sich auf
Auf der Strecke bei dieser Strategie ihrer Kunden blieben die Zulieferer, klein wie groß, die reihenweise Verluste machten bis hin zur Insolvenz (zum Beispiel Borges, Dr. Schneider), knapp 40 Unternehmen in 2022 und bereits 3 in den ersten Monaten 2023 (zum Beispiel Ditter Platic, Fischer, Frimo). Bei Branchenführer Leoni konnte die Insolvenz gerade noch abgewendet werden. Die großen Marken haben sich auf Kosten der Zulieferer saniert, sie ausgepresst und abserviert, was Menge und Preis betrifft. Bei den Zulieferern konnten die Volumenverluste nicht kompensiert werden; wer nicht beim Elektro-Spiel mitmacht oder keinen Platz mehr findet wird aussortiert. Allein 2021 verzeichnete der deutsche Automobilmarkt auf der konjunkturellen Talsohle mit rund 2,6 Millionen Neuzulassungen einen Volumenverlust gegenüber dem letzten Normaljahr 2019 von rund 1 Million Neufahrzeugen. Das sind grauenhafte Zahlen, die Verwüstungen an vielen Standorten und bei vielen Beschäftigten mit sich brachten und die Staatskassen belasten, weil Vorruhestandsregelungen beim Abbau der Beschäftigten brutal ausgenutzt wurden. Insgesamt sinkt der Wertschöpfungsanteil der früheren Paradieindustrie.
Doch Hoffnung naht, wenigstens für die großen Marken:
- für die Hersteller, dass sie in den kommenden Monaten zusätzlich Gewinne auch wieder in den unteren Marktsegmenten über Wachstum erzielen können;
- für die verbleibenden Zulieferer, dass der Automarkt nicht weiter schrumpft, sondern wieder auf den früheren Wachstumstrend zurückfindet.
Die Zeichen mehren sich, dass sich die Lage an den globalen Automärkten aufhellt, der deutsche Automobilmarkt sogar zu einem gewissen Konjunkturaufschwung angesetzt hat. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma Ernst&Young (EY) erklärte Ende März, die Absatzzahlen der Autohersteller könnten 2023 nach einem leichten Rückgang im vergangenen Jahr wieder kräftig zulegen. Die Liefersituation verbessert sich, der weltweite Absatz könnte in diesem Jahr um bis zu zehn Prozent steigen – ein Erfolg, der aber hinter früheren Jahren zurück bleibt.
Flucht aus Deutschland und Autos nur noch für Reiche?
Für EY besteht die Herausforderung 2023 für die Hersteller generell darin, die Preise trotz verbesserter Liefer- und Absatzsituation hochzuhalten und keine Abstriche bei der Marge zu machen. Diese Sorge ist mit Sicherheit unbegründet. Naturgemäß fällt das – siehe Daimler – den Herstellern im Premiumsegment ohnehin leichter als denen im Volumensegment. Und bei den Volumenherstellern kommt 2023 die verbesserte Absatzsituation zum Tragen. Daimler zieht sich aus dem Massenmarkt zurück und gibt dieses Marktsegment frei. Schon kritisiert der grüne Verkehrsminister in Baden-Württemberg, Winfried Hermann: Daimler wolle nur noch „Autos für Reiche“ bauen. Damit sei eine Einladung für asiatische Konkurrenten verbunden den Rückzug Daimlers aus Deutschland für sich zu nutzen.
Wie lange, ist fraglich. Elektroautos sind eine verderbliche Ware, die Batterien, das Kernstück, vertragen keine lange Lager- und Ruhezeiten. Sollte sich die Absatzsituation bei E-Autos aber weiter verschlechtern, dürften auch hier kräftige Preisnachlässe über die entfallenen Kaufprämien hinaus kaum zu vermeiden sein, wollen die Hersteller die Produktion von Elektroautos nicht deutlich herunterfahren.
Mit Elektroautos verdienten bisher ohnehin nur die wenigsten Hersteller und nur mit hochpreisigen Modellen wirklich Geld. Mit nur 1,3 Millionen Jahresabsatz lag laut EY dabei Tesla mit einer EBIT-Marge von 16,8 Prozent an der Spitze, noch vor Daimler mit 13,6 Prozent (Margen-Weltmeister Porsche wurde als Mitglied des VW-Konzerns nicht separat aufgeführt). Alle übrigen machten in der Regel Verluste, die vom Verbrennergeschäft ausgeglichen wurden.
Autobranche hat Talsohle verlassen und fasst wieder Tritt
Der deutsche Markt scheint diese Prognose zu bestätigen. Auch der VDA hat seine Prognosen inzwischen nach oben korrigiert. Fakt ist, dass der deutsche Markt im März 2023 überraschend stark angezogen hat, und das, obwohl Elektroautos deutlich weniger nachgefragt wurden als in den Monaten zuvor. Die Autoindustrie konnte erstmals seit langem wieder kräftige Zuwächse bei Produktion und Export verzeichnen, blieb dabei aber immer noch knapp ein Viertel unter dem hohen Niveau von 2019. Allerdings wird der Abstand zunehmend kleiner, die Lücke beginnt sich zu schließen.
Dazu im Einzelnen:
- In Deutschland wurden im März 281.400 und damit 17 Prozent mehr Pkw als im Vorjahresmonat neu zugelassen. Nach dem ersten Quartal des Jahres 2023 wies der deutsche Pkw-Markt mit 666.900 Neufahrzeugen erstmals wieder ein kräftiges Plus von knapp 7 Prozent gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres.
- Die Elektro-Neuzulassungen entwickelten sich gegen den Trend im Monat März rückläufig, der deutsche Markt für Elektro-Pkw (BEV + PHEV in Summe) gab mit 60.900 um gut 1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat nach. Entscheidend für den Rückgang war einmal mehr seit dem kompletten Auslaufen der Förderprämie zu Jahresbeginn ein deutlicher Einbruch bei den Plug-In-Hybriden (PHEV): 16.800 neu registrierte Einheiten bedeuteten einen Rückgang um 39 Prozent im Vergleich zum März des Vorjahres.
- Die Neuzulassungen von neuen rein batterieelektrischen Pkw (BEV) stiegen im Vergleich mit dem März 2022 um rund 28 Prozent auf ein Niveau von 44.100 Einheiten an. Sie entwickelten sich zwar dynamischer als der Pkw-Gesamtmarkt, konnten aber einen Rückgang im Gesamt-Elektrosegment (BEV und PHEV) nicht verhindern. Im ersten Quartal des aktuellen Jahres wurden insgesamt 132.400 E-Pkw abgesetzt. Das sind 13 Prozent weniger als im Vergleich mit dem ersten Quartal des Vorjahres.
- Die Neuzulassungen von Verbrennern hingegen zogen im März 2023 gegenüber dem Vorjahres-März um rund 22 Prozent an. Das Aus vom Verbrenner-Aus durch die von Verkehrsminister Volker Wissing erkämpfte gesetzliche Zulassung von eFuels als klimafreundlich wirft hier erste Schatten voraus.
Insgesamt hat die Branche die Talsohle verlassen und fasst wieder Tritt. Eindeutig abzulesen ist das an der Pkw-Produktion und dem Export.
Wieder mehr Produktion und mehr Exporte
Es wird wieder mehr produziert. Erstmals seit langem liefen im März wieder 441.900 Pkw von den Bändern, 67 Prozent mehr als im März 2022. Allerdings, zu bedenken ist dabei das extrem niedrige Vergleichsniveau: Der März 2022 war bezüglich der Produktion der schwächste März seit fast 50 Jahren gewesen.
Im ersten Quartal dieses Jahres wurden insgesamt gut 1,1 Millionen Pkw produziert. Das entspricht einem Plus von 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Als Folge der positiven Tendenz der vergangenen Monate – die insbesondere in der sich sukzessive verbessernden Versorgungslage mit Vor- und Zwischenprodukten begründet ist – ist die Produktionslücke zum vergleichbaren Vorkrisenniveau 2019 in den ersten drei Monaten des aktuellen Jahres auf nur noch 9 Prozent geschrumpft.
Mit der Folge, dass der VDA seine – bekanntlich sehr treffsicheren – Produktionsprognose für 2023 deutlich angehoben hat. Wurden bisher für 2023 3,69 Millionen Pkw prognostiziert (+6 Prozent gegenüber 2022), wird jetzt von 3,79 Millionen Pkw ausgegangen (+9 Prozent). Natürlich mit dem Verweis, dass auch nach Anpassung das prognostizierte Produktionsvolumen nach wie vor deutlich unter dem Vorkrisenniveau liegt. Im Jahr 2019 waren noch 4,66 Millionen Pkw in Deutschland produziert worden, dieses Produktionsniveau dürfte der aktuellen VDA-Prognose nach in diesem Jahr noch um 21 Prozent unterschritten werden. Aber bekanntlich fängt jeder Boom immer klein an – und dafür spricht auch der Export.
Auch der Export zieht an, in der Vergangenheit stets Impulsgeber für den Aufschwung in der Autoindustrie. Ähnlich positiv wie die Produktion entwickelte sich der Export: Im März wurden erstmals wieder seit langem 338.800 Pkw an Kunden in aller Welt ausgeliefert, 64 Prozent mehr als vor einem Jahr. Im ersten Quartal nahm der Pkw-Export im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich zu: 839.100 exportierte Einheiten bedeuten einen Anstieg von 37 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Was bedeutet das?
Der Autofrühling 2023 ist da, denn viele Unsicherheiten bezüglich der Pandemie, der Lieferengpässe und vor allem dem Weiterbetrieb von Verbrennerautos mit E-Fuels sind beseitigt. Dennoch stellt sich dieser Frühling ähnlich wie aktuell die Aprilwitterung noch durchwachsen dar, steht die Markterholung noch auf wackeligen Füssen. Inflation und steigende Zinsen sorgen nach wie vor für Zurückhaltung.
Der ausländische Auftragseingang lag im März demgegenüber „nur“ 3 Prozent unterhalb des Vorjahresniveaus. Nach schwachem Jahresbeginn ging das Ordervolumen aus dem Ausland in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 10 Prozent gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres zurück. Insgesamt wurden im Jahresverlauf bisher 14 Prozent weniger Aufträge registriert als im ersten Quartal des Jahres 2022.
Was Hoffnung auf die Zukunft macht, sind die hohen Auftragsbestände bei den deutschen Herstellern und die Tastsache, dass während der Krisenjahre seit 2020 in Deutschland nach groben Schätzungen etwa 2,5 Millionen Neufahrzeuge und weltweit unter Einschluss von China circa 15 Millionen Neuwagen-Käufe unterblieben sind. Mit diesem Potenzial darf „gewuchert“ werden.