Das Lager der Bullen ist felsenfest davon überzeugt, dass eine weiche Landung gelingt und goldene Zeiten an der Börse anbrechen. Das Lager der Bären sieht eine Rezession aufziehen, weil sich die höheren Zinsen erst verzögert in der Konjunktur niederschlagen.
Bullen wie Bären beißen sich derzeit beim Thema US-Rezession die Zähne aus. Seit einem Jahr macht das Thema Rezession inzwischen an den amerikanischen Finanzmärkten mit stark divergierenden Meinungen die Runde. Das Lager der Bullen ist felsenfest davon überzeugt, dass eine weiche Landung gelingt und goldene Zeiten an der Börse anbrechen. Das Lager der Bären sieht eine Rezession aufziehen, weil sich die höheren Zinsen erst verzögert in der Konjunktur niederschlagen.
Die inverse Zinskurve ist das Hauptargument der Bären, weshalb der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt eine Rezession bevorstehe. Eine inverse Zinskurve bedeutet, dass die kurzfristigen Renditen höher liegen als die langfristigen. Ab Eintritt einer inversen Zinskurve dauert es im Normalfall zwölf bis 24 Monate, bis der Wirtschaftsabschwung sich in den Zahlen der Statistiker zeigt. Am amerikanischen Geld- und Rentenmarkt ist diese nun seit 16 Monaten invers. Allerdings ist es äußerst schwierig, den Eintrittszeitpunkt einer Rezession genau zu bestimmen. So hat beispielsweise das ungeheure US-Budgetdefizit einen positiven Einfluss auf die Konjunktur. Und die wachsende Verschuldung des privaten Sektors wirkt sowohl stimulierend als auch bremsend.
Die Optimisten gehen inzwischen davon aus, dass die Landung nicht nur weich, sondern vorzüglich gelingen könnte – die Inflation sei rückläufig, die relevanten Wirtschaftsindikatoren zeigten eine moderate Abschwächung und die vorauslaufenden Indikatoren für das vierte Quartal bestätigten dies. Entsprechend hat sich der Begriff „Goldilocks“ oder Goldlöckchen-Entwicklung etabliert und beschreibt dieses immer populärer werdende Szenario.
Zudem dürften von jetzt an die Unternehmensergebnisse und saisonalen Muster die Aktienmärkte unterstützen, lässt sich Christian Gattiker, Researchchef bei Julius Bär, zitieren: „Natürlich hat das technische Bild bei Aktien mit dem heftigen Ausverkauf im Oktober Schaden genommen. Doch das ist kein Grund, die Jahresendrally für 2023 abzublasen. Die Berichtssaison trägt.“ Während zu Beginn der Berichtssaison noch eine Fortführung der Gewinnrezession befürchtet wurde, habe das Gewinnwachstum tatsächlich zum ersten Mal seit drei Quartalen wieder ins Plus gedreht.
Die New Yorker Finanzboutique Richard Bernstein Advisors (RBA) geht noch einen Schritt weiter und meint, dass das jetzige Niveau eine Kaufgelegenheit sei, die nur einmal pro Generation auftrete: „Unserer Ansicht nach kommt es mit der Wirtschaft nicht wirklich zu einer Landung. In Anlehnung an die Flugzeugmetapher sehen wir vielmehr steigende Gewinne. Die Anleger sollten ihre Sicherheitsgurte anlegen und sicherstellen, dass sie investiert sind.“ Die globalen Aktienmärkte ähneltem einem Pendel, das nun von der einen Seite auf die andere zurückschlage.
Am Freitag schlug dieses Pendel in die nach Meinung der Optimisten richtige Richtung. Die US-Aktienmärkte schlossen eine konsolidierungsgeprägte Woche mit deutlichen Aufschlägen ab. Der Dow Jones Industrial schloss mit einem Gewinn von 1,2 Prozent bei 34.283 Punkten und damit auf einem Sieben-Wochen-Hoch. Auch die Wochenbilanz war mit einem Plus von rund 0,7 Prozent positiv. Der marktbreite S&P 500 stieg am Freitag um 1,6 Prozent auf 4.415 Zähler. Der Nasdaq 100 gewann 2,3 Prozent auf 15.529 Punkte und erreichte den höchsten Stand seit mehr als zwei Monaten.
Angeführt wurden die Kursgewinner von Technologiewerten. Zur Begründung hieß es, die Anleger hätten jüngste Zinsaussagen von US-Notenbankpräsident Jerome Powell einfach beiseite gewischt. Der oberste Währungshüter hatte gesagt, die Fed sei nicht völlig davon überzeugt, die Geldpolitik ausreichend gestrafft zu haben. Unter den Einzelwerten brachen die Aktien von Plug Power nach der Vorlage von Zahlen zum dritten Quartal um 39 Prozent ein. Das Unternehmen aus der Wasserstoffbranche leidet unter massiven Lieferproblemen im Bereich der Fertigung von Brennstoffzellen sowie unter Liquiditätsabflüssen. Steil auf Talfahrt ging es zudem für die Papiere von The Trade Desk, die um 18 Prozent absackten. Im Verlauf des Jahres 2023 sind sie allerdings bisher um rund 70 Prozent gestiegen. Das IT-Unternehmen für die Personalisierung von Werbeanzeigen in Echtzeit enttäuschte vor allem mit seinem Umsatzausblick für das vierte Quartal.
Zuvor war der DAX, der am Vortag noch den höchsten Stand seit Mitte Oktober erreicht hatte, um 0,8 Prozent auf 15.234 Punkte gefallen. Er reduzierte damit den Wochengewinn auf 0,3 Prozent. In der Vorwoche hatte das Börsenbarometer noch kräftig zugelegt. Der MDax gab am Freitag sogar um 2,1 Prozent auf 25.291 Zähler nach. Der Index der mittelgroßen Börsentitel war aber in den vergangenen Tagen im Vergleich zum Dax auch deutlich stärker gestiegen.
Die Saison der Quartalsbilanzen ging am Freitag mit den Zahlen von Allianz weiter. Die Titel des Versicherers schlossen leicht im Minus. Die schweren Unwetter in Deutschland, Italien und Österreich sind dem Konzern im Sommer teuer zu stehen gekommen.
In dem schwächeren Marktumfeld dominierten negative Kursreaktionen. Bechtle gehörten mit minus 5,2 Prozent zu den größeren Kursverlierern. Der IT-Dienstleister blieb zuletzt mit dem Umsatz hinter den Erwartungen zurück. Den Aktien aus dem Konzerngefüge von United Internet half es nicht, dass der Mutterkonzern dank einer guten Entwicklung der Webhosting-Tochter Ionos künftig mehr Gewinn erwartet. Ionos und die Aktien der United-Internet-Mobilfunktochter 1&1 verloren gut drei Prozent, United Internet sogar mehr als sieben Prozent. Beim operativen Ergebnis im dritten Quartal hatten alle drei Unternehmen die Erwartungen verfehlt.
Besser erging es dagegen Varta mit einer Erholung von fünf Prozent. Hier kam gut an, dass sich der kriselnde Batteriekonzern nach einem ordentlichen dritten Quartal in der Spur zu seinen Jahreszielen sieht.
Unter Druck standen ferner Unternehmen, die mit Wasserstoff ihr Geld verdienen. Thyssenkrupp Nucera und SFC Energy sackten um 5,5 beziehungsweise 4,1 Prozent ab.
Am Devisenmarkt bewegte sich der Kurs des Euro vor dem Wochenende kaum, er notierte zuletzt auf 1,0667 Euro. Am deutschen Anleihemarkt gab es Verluste. Die Umlaufrendite stieg korrespondierend von 2,66 Prozent am Vortag auf 2,73 Prozent.
Statistisch betrachtet, stehen die Chancen für weitere Kursgewinne am deutschen Aktienmarkt auch in der neuen Woche gut. In den vergangenen zehn Jahren war der Monat November aus Anlegersicht erfreulich, ging es doch mit dem Dax im Schnitt um dreieinhalb Prozent nach oben. Das durchschnittliche Minus in Novembermonaten mit Verlusten war überschaubar.
Die Zinserwartungen an den Finanzmärkten haben sich jüngst etwas entspannt. In der Folge fiel beispielsweise die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen von Spitzen bei fünf Prozent auf unter 4,5 Prozent und auf den niedrigsten Stand seit Ende September. „Nachlassende Zinssorgen stützten nicht nur Staatsanleihen, sondern allgemein auch Risiko-Assets wie Aktien (…)“, argumentiert Analyst Christian Apelt von der Landesbank Helaba.
Vom Tisch sind die Zinssorgen aber längst nicht. So hatte US-Notenbankpräsident Jerome Powell gerade erst klargemacht, dass man nicht zögern werde, die Zinsen nochmal anzuheben, wenn es sich als angemessen erweisen sollte. Mit Spannung dürften die Marktakteure daher auf die Verbraucherpreise in den USA für Oktober schauen, die am Dienstag auf der Agenda stehen. Volkswirt Edgar Walk von der Metzler Bank schrieb von einer zuletzt „unglaublich starken gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“. Es bestehe also das Risiko, dass die Inflation in den USA höher als erwartet ausfällt. In diesem Fall könnten wiederum die Zinserwartungen von Anlegern doch wieder steigen – und die Aktienbörsen belasten.
Sollten die Börsenkurse aber weiter steigen, könnte daraus zunehmend ein Selbstläufer werden. Denn ganz allmählich nähert sich das Jahresende, und der Dax steht mit einem Anstieg von etwa zehn Prozent seit Jahresanfang gut da.
Laufen die Kurse weiter hoch, dürfte der Druck auf die noch nicht investierten Marktteilnehmer steigen, den Zug nicht gänzlich zu verpassen – und spät noch aufzuspringen. „Im Dax könnte (…) etwas gestartet worden sein, an das keiner mehr geglaubt hat: die Jahresendrally“, schrieb unlängst Stratege Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets. Es wäre nicht das erste Mal.
Die Saison der Quartalsberichte nähert sich indes ihrem Ende, größere Impulse für den Gesamtmarkt dürften von ihr nicht mehr ausgehen. In der neuen Woche stehen mit der Porsche Automobil Holding, RWE, Infineon, Siemens und Siemens Energy nochmals namhafte Dax-Konzerne auf der Agenda. Daneben lassen sich noch zahlreiche Unternehmen aus der zweiten und dritten Börsenreihe in die Bücher schauen.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Ich weiß nicht, ob es für TE zielführend ist, in der Börsenberichterstattung (– so man die überhaupt nebenbei betreiben will) auf interessenbefangene Analysten sowie Quartalsergebnisse der noch mit billigem Geld im Namen der ‚Transformation‘ über Gebühr gepamperten Unternehmen abzuheben, die im neuen Zinsumfeld natürlich Probleme haben oder bekommen. Unter Druck standen ferner Unternehmen, die mit Wasserstoff ihr Geld verdienen Die 2 Weltmarktführer mit ordentlich ausgebauter H2-Wertschöpfungskette und(!) weiteren eingeführten, wirtschaftsessentiellen Produktlinien mit ausgebautem Vertrieb sind auf Allzeithoch. Die 2, Linde und Air Liquide, verdienen tatsächlich Geld, und das nachhaltig. – Wenn FED und EZB ernsthaft um ihren Ruf besorgt sind… Mehr