US-Zinsentscheidung befeuert Höhenflug der Börsen, Enttäuschungspotenzial steigt

Ist es bereits Zeit für eine Entwarnung an der Inflationsfront? Vordergründig ja; denn im November sank die Inflationsrate nach einer ersten Schätzung der Statistikbehörde Eurostat vor allem wegen eines unerwartet starken Rückgangs der Energiepreise von 2,9 auf 2,4 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit Juli 2021. Die Kerninflation liegt aber weiter bei hohen 3,6 Prozent.

© Getty Images

Aufgrund dieser erfreulichen Entwicklung ließ die EZB die Leitzinsen am Donnerstag unverändert. Damit ist die Bekämpfung der höchsten Teuerung in Europa seit Jahrzehnten aber noch längst nicht final geglückt. Die Kerninflation ohne die volatilen Preise für Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak liegt nämlich weiterhin bei hohen 3,6 Prozent.

Bereits im Januar könnte sich eine gewisse Ernüchterung einstellen, befürchten Marktbeobachter. Beispielsweise wird dann die Mehrwertsteuer für die Gastronomie auf ihr altes Niveau angehoben (von sieben auf 19 Prozent), und die Preise für CO2 und damit korrespondierend für Gas und Fernwärme gehen ebenfalls nach oben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde rechnet deshalb damit, dass die Inflationsrate zunächst wieder anziehen werde. Für den weiteren Verlauf des Jahres 2024 erwarteten die Währungshüter dann allerdings eine allmählich zurückgehende Teuerungsrate. Die Experten der Notenbank rechnen laut den neusten Prognosen für das Jahr 2024 mit einer Gesamtinflation von 2,7 Prozent (nach 5,4 Prozent in diesem Jahr), für 2025 von 2,1 Prozent und für 2026 schließlich von 1,9 Prozent. Die Kerninflation werde jedoch gemäss den Projektionen der EZB-Ökonomen in zwei bis drei Jahren noch über der Gesamtinflationsrate liegen. Vor allem das hohe Lohnwachstum in der Euro-Zone dürfte dafür sorgen, dass die Kerninflation auf einem hohen Niveau verharrt. Im dritten Quartal betrug der Lohnanstieg 4,7 Prozent. Das klingt zwar üppig, doch unter dem Strich haben viele Arbeitnehmer in den vergangenen beiden Jahren Kaufkrafteinbußen hinnehmen müssen.

Ungeachtet dieser Perspektive brennen die Börsianer seit Wochen ein Kursfeuerwerk bei Aktien und Anleihen ab. Der deutsche Leitindex DAX beispielsweise hat seit dem 30. Oktober um 16 Prozent zugelegt. Im Gegensatz zu vielen anderen Indizes werden beim DAX allerdings die Dividenden in die Performance eingerechnet, was ihn im direkten Vergleich mit anderen Börsenbarometern positiver erscheinen lässt. In den USA ist der Leitindex Dow Jones Industrial in der gleichen Zeit um 14 Prozent gestiegen und notiert auch auf einem Rekordhoch.

Die Marktteilnehmer spekulieren schon seit Wochen über den Zeitpunkt der ersten Zinssenkungen. Die US-Notenbank (Federal Reserve) hatte am Mittwoch ihre Sätze zum dritten Mal in Folge unverändert gelassen und erstmals Zinssenkungen für das Jahr 2024 angedeutet. Für den Euro-Raum rechnen Analysten mit einer ersten Zinssenkung im März sowie einer Zinsreduktion um 150 Basispunkte bis Ende des Jahres. Damit hat sich an den Märkten möglicherweise Enttäuschungspotenzial aufgebaut. Derzeit stagniert die Wirtschaft in Europa zwar, allerdings zeigt sich der Arbeitsmarkt weiterhin robust; die Arbeitslosenquote im Euro-Raum notiert in der Nähe ihres Rekordtiefs. Das könnte dazu führen, dass Anleger auf die erhofften Zinssenkungen länger als angenommen warten müssen.

Vor diesem Hintergrund sprang der amerikanische Leitindex, der Dow Jones Industrial, am Freitag kurz vor Börsenschluss erstmals über die Marke von 37.300 Punkten. Die Stimmung der Anleger blieb gleichwohl verhalten, nachdem der Präsident der New Yorker Notenbank, John Williams, in einem Fernseh-Interview die Erwartungen an deutliche Zinssenkungen in den USA im kommenden Jahr dämpfte. Zudem gingen von den Konjunkturdaten gemischte Signale aus, was die Hoffnung auf Zinssenkungen angeht.

Mit einem Plus von 0,2 Prozent auf 37.305 Zähler ging der Dow aus dem Tag. Im Wochenverlauf bedeutet dies ein Plus von knapp drei Prozent. Seit seinem Zwischentief im Oktober summiert sich sein Gewinn auf inzwischen 15 Prozent. Der marktbreite S&P 500 schloss fast unverändert auf 4.719,19 Punkte. Der überwiegend mit Technologiewerten bestückte Nasdaq 100 gewann indes 0,5 Prozent auf 16.623 Zähler. Sein Wochenplus betrug damit fast 3,5 Prozent. Sein Rekordhoch hat er allerdings noch nicht ganz erreicht. Es fehlen noch knapp 150 Punkte.

Die Fortsetzung der fulminaten Börsenrally war zur Wochenmitte durch Signale der Fed ausgelöst worden, deren neue Prognosen für 2024 drei Zinssenkungen über insgesamt 0,75 Prozentpunkte nahelegen. Dabei hatte Fed-Präsident Jerome Powell angedeutet, dass der geldpolitische Ausschuss FOMC allmählich beginne, sich über Zinssenkungen Gedanken zu machen.

Die Konjunkturdaten aus der Industrie sandten keine einheitlichen Signale aus. Der Empire-State-Index, ein Stimmungsbarometer für das Verarbeitende Gewerbe im US-Bundesstaat New York, trübte sich im Dezember überraschend stark ein. Es liegt jetzt wieder unter der Nulllinie und indiziert somit einen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität. Dagegen stieg die Industrieproduktion im November leicht, „begünstigt durch das Ende des Streiks in der Automobilbranche“, wie die Experten der Helaba sagten.

Unter den Einzelwerten gewannen Intel-Aktien 2,2 Prozent und zählten zu den Favoriten im Leitindex Dow. Die Großhandelskette CostCo meldete zum vierten Mal in Folge überraschend starke Quartalsergebnisse und will eine Sonderdividende ausschütten. Die Aktie setzte sich im S&P 100 mit plus 4,4 Prozent an die Spitze. Um 12,5 Prozent sprangen DocuSign hoch, denn das E-Signaturunternehmen sondiert laut dem „Wall Street Journal“ einen Verkauf.

Der Euro kostete zum Börsenschluss an der Wall Street 1,0901 Dollar. Am Morgen hatte er noch knapp über 1,10 Dollar notiert. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs am Nachmittag in Frankfurt auf 1,0946 Dollar festgesetzt. Die Rendite für zehnjährige Anleihen betrug 3,91 Prozent.

Nach dem jüngsten Rekordlauf hatte zuvor dem Dax zum Wochenschluss der weitere Antrieb gefehlt. Den Anlegern mangelte es an Kaufargumenten für einen erneuten Test der 17.000-Punkte-Marke, die der Leitindex am Vortag kurz um drei Punkte überboten hatte. Auch der Verfall an den Terminbörsen brachte nach der Jahresendrally keine großen Impulse mehr.

Zum Auftakt fanden sich zwar noch Käufer, am Nachmittag aber pendelte der Dax orientierungslos um sein Vortagsniveau. Er schloss praktisch unverändert bei 16.751 Punkten. Wenig Bewegung gab es auch beim MDax, der um 0,2 Prozent auf 27.134 Zähler nachgab. Auf der Unternehmensseite verschreckte Symrise seine Anleger, der Aktienkurs rutschte um 7,6 Prozent ab. Der Hersteller von Duftstoffen und Aromen leidet unter dem Abbau der Lagerbestände bei seinen Kunden und muss wegen niedrigerer Preise die Bewertung der eingelagerten Rohstoffe anpassen. Daher blickt das Management nun vorsichtiger auf die Gewinnmargen im laufenden Jahr.
Bei Munich Re ging es nach dem jüngsten Rekordlauf verhalten zu. Frühe Kursgewinne verflüchtigten sich, die Aktie ging mit einem Minus von 0,1 Prozent aus dem Handel. Anspruchsvolle Ziele für das neue Jahr konnten die Kursgewinne gewöhnten Anleger nicht mehr groß begeistern. Der Rückversicherer will 2024 den Überschuss weiter steigern und fünf Milliarden Euro Gewinn erzielen.

Die Nase vorn hatte im Dax Zalando mit drei Prozent Plus. Die Titel des Online-Modehändlers knüpften an den positiven Vortagestrend an. Sie gehören in diesem Jahr zu den größten Verlierern im Leitindex, sodass hier offenbar Nachholbedarf gesehen wird. Gefragt waren auch die Papiere von Mercedes-Benz , die um 1,4 Prozent kletterten.

Im Nebenwerteindex SDax sorgte eine Analystenstudie für Schub: Die Aktien von Auto1 zogen nach einer Kaufempfehlung der britischen Bank HSBC um 5,5 Prozent an. Titel des Finanzdienstleisters Hypoport folgten dem mit plus 3,2 Prozent. Hier kam die Neuaufstellung der Geschäftsfelder bei den Anlegern gut an.

Am Rentenmarkt fiel die Umlaufrendite von 2,08 Prozent am Vortag auf 2,07 Prozent.

Nach der Rekordrally auf beiden Seiten des Atlantiks könnte es in den kommenden Tagen an den Börsen ruhiger werden. Einflüsse wie das „Window Dressing“ werden in der Schlussphase des Jahres wohl wieder zum Thema, bevor dann die Festtage kommen.
„Mit 2023 geht trotz aller Krisen ein zumindest an den Kapitalmärkten erfolgreiches Jahr zu Ende“, hieß es am Freitag in einem Wochenausblick der Landesbank Helaba. Fraglich sei, ob der DAX in den letzten Tagen des Jahres seine Rally noch fortsetzen und auf das Jahresplus von mehr als 20 Prozent noch etwas draufsatteln könne. Schließlich habe der Leitindex den Löwenanteil davon erst seit Ende Oktober eingefahren.
„Langsam schmilzt das Eis“, warnten die Charttechnik-Experten von Index-Radar. Sie erinnerten daran, dass es im vergangenen Jahr eine späte Weihnachtskorrektur gab. Bis zu 14.675 Punkte hatte der Dax im Vorjahr Mitte Dezember erreicht, war dann aber in den Tagen danach noch auf 13 791 Punkte abgerutscht – ein Minus von sechs Prozent.

Im Dax dürften die größten drei Verlierer des Jahres zementiert sein: Zalando , Bayer und Siemens Energy liegen im Leitindex derzeit ganz hinten, mit Einbußen jenseits der 30-Prozent-Marke. Um die Rolle des größten Jahresgewinners streiten sich derzeit vor allem Heidelberg Materials , Rheinmetall , Adidas und vielleicht noch SAP . Die Überflieger in der Dax-Indexfamilie sind aber die Aktien von Redcare Pharmacy , die sich 2023 etwa verdreifacht haben wegen der Hoffnung auf das deutsche E-Rezept.

Konjunkturseitig werden die Augen hierzulande am Montag auf den Ifo-Geschäftsklimaindex gerichtet sein. Experten glauben, dass sich die positive Tendenz des deutschen Stimmungsbarometers fortsetzt. Am Dienstag dürfte in der Eurozone die finale Revision der Verbraucherpreise einen Blick wert sein. Außerdem folgen im Wochenverlauf noch einige US-Daten, bevor das lange Feiertagswochenende eingeläutet wird. In Großbritannien zum Beispiel wird am Freitag nur verkürzt gehandelt.

Unternehmensseitig könnte es vereinzelt noch einmal spannend werden. Am Montag werden Jahreszahlen des Elektronikhändlers Ceconomy und des SDax-Neulings Thyssenkrupp Nucera erwartet. Am Mittwoch warten endgültige Jahreszahlen von Aurubis und der Hornbach Holding auf die Anleger.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 2 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

2 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
BK
1 Jahr her

Man sollte sich von der Inflationsrate nicht täuschen lassen. Selbst bei einer angestrebten Zielinflation von 2 %, entwerte sich das Geld in 34 Jahren um 50 %. Das ist dann nur die halbe Kaufkraft von heute. 2 % Inflation, ist also nichts, was man einfach so vom Tisch wischt, es ist schon gar kein ehrgeiziges Ziel und hat mit Geldwertstabilität nichts zu tun.

Boni Bonus
1 Jahr her

„“ positive Tendenz des deutschen Stimmungsbarometers fortsetzt „“
Wo welchen Planeten ist die Rede? Haben die auch so schöne Kontinente wie wir mit unserem Europa. Wir können auf keinen Fall gemeint sein. Die Börsianer kommen ja bekanntlich auch vom Mars und preisen so alles ein, was irgendwie geht-, Mit Sicherheit sind da auch Michls freiwillige Sonderabgaben ab 2024 schon mit eingepreist. Einer muss ja die Rechnung zahlen. Oma Friedrich wird sich auf alle Fälle schon heute freuen, bevor dann Ende Januar der Inflationshammer endgültig zuschlagen wird. Aber bis dahin haben sich die „Mörsianer“ schon längst aus dem Staub gemacht