Wer nach den Kursstürzen in Japan ruhig Blut behielt oder sogar dazukaufte, konnte sich am Ende der Woche freuen. Die Lage entspannte sich, die Kurse erholten sich wieder. Gegenüber der US-Notenbank Fed besteht nun die Erwartung, sie werde die Märkte bald mit großen Zinssenkungen unterstützen.
So war das eigentlich nicht gemeint: „Kurse kommen weltweit ins Rutschen“ titelten wir an dieser Stelle vor einer Woche. Dann stürzten die Kurse in Japan um zehn Prozent ab und lösten rund um den Erdball Turbulenzen aus. „Börsen sind richtige Drama-Queens“, spottete die Neue Zürcher Zeitung. Monatelang ignorierten sie offensichtliche Risiken. Und wenn die Investoren diese endlich doch beachteten, überzögen sie in ihrer Reaktion. Wer ruhig Blut behielt oder sogar dazukaufte, konnte sich am Ende der Woche freuen.
Die Lage entspannte sich, die Kurse erholten sich wieder. Gegenüber der US-Notenbank (Fed) besteht nun die Erwartung, sie werde die Märkte bald mit großen Zinssenkungen unterstützen. Die Analysten der Großbanken JP Morgan oder Citi etwa erwarteten vom Fed bis Ende Jahr Senkungen von 1,25 Prozentpunkten auf vier Prozent. Manche Ökonomen erwarten zudem, dass die Fed seinen normalen Sitzungsrhythmus unterbricht und eine außergewöhnliche Zinssenkung bereits im August beschließt. Das scheint allerdings etwas übertrieben. Zwar setzte die Fed im März 2020 mit Beginn der Corona-Pandemie das Zinsband auf einen Schlag um 1,5 Prozentpunkte nach unten und als Reaktion auf die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers fiel der Fed-Leitzins in 18 Monaten von über fünf Prozent auf null. Niemand dürfte aber ernsthaft behaupten, das kleine Börsenbeben vom Montag sei damit vergleichbar. Mit großen Veränderungen könnte die Notenbank die Märkte zudem erst recht in Panik versetzen.
Überstürzter Handlungsbedarf scheint in der Tat nicht zu bestehen. Die wirtschaftliche Verfassung der USA ist nämlich immer noch solide. Es werden zwar weniger Personen neu eingestellt, aber die Zahl der Entlassungen verharrt auf tiefem Niveau. Die Einkommen wachsen, und der Konsum ist stabil. Ob die gegenwärtigen Aktienkurse der Unternehmen gerechtfertigt sind, hängt davon ab, ob sie trotz einer Abkühlung ihr Gewinnniveau halten oder ausbauen können. Es lohnt sich ein Blick auf einige Unternehmen, die diese Woche ihre Quartalszahlen vorgelegt haben. Diese boten ein durchmischtes Bild. Die Resultate der US-Unternehmen sind zwar nicht über jeden Zweifel erhaben, bieten aber auch keinerlei Anlass, in großen Konjunkturpessimismus zu verfallen.
Die US-Börsen beendeten die schwankungsreiche Woche jedenfalls einigermaßen versöhnlich. Der Dow Jones Industrial schloss am Freitag um gut 0,1 Prozent fester mit 39.498 Punkten. Dank der Erholung von seinem am Montag erreichten tiefsten Stand seit Mitte Juni dämmte der Leitindex sein Wochenminus auf 0,6 Prozent ein. Für den marktbreiten S&P 500 ging es am Freitag letztlich um knapp 0,5 Prozent auf 5.344 Zähler rauf. Der technologielastige Nasdaq 100 stieg um gut 0,5 Prozent auf 18.513 Punkte, womit er am Ende sogar einen Wochengewinn von 0,4 Prozent erzielte.
Vor allem die Angst vor einer US-Rezession nach einer Reihe schwacher Konjunkturdaten hatte am Donnerstag vergangener Woche eine dreitägige Talfahrt ausgelöst. Seit der Stabilisierung am Dienstag waren die New Yorker Börsianer auf Richtungssuche. Dem erneuten Rückschlag zur Wochenmitte war am Donnerstag dank starker Daten vom Arbeitsmarkt wieder eine kräftige Erholung gefolgt. „Die Marktvolatilität könnte noch einige Zeit erhöht bleiben“, warnte allerdings Mark Häfele, Chief Investment Officer bei UBS Global Wealth Management. In der kommenden Woche stünden in den Vereinigten Staaten etliche wichtige Wirtschaftsdaten auf der Agenda.
Die Aktien von Eli Lilly setzten mit plus 5,5 Prozent ihre am Vortag begonnene Erholungsrally fort. Am Donnerstag hatte der Pharmakonzern mit starken Quartalszahlen sowie einer Prognoseerhöhung überzeugt. Gefragt waren auch die Papiere der Banken JPMorgan und Goldman Sachs: Sie zählten mit Kursaufschlägen von jeweils rund 0,9 Prozent zu den besten Dow-Werten. Die Aktien der Tech-Schwergewichte Apple und Microsoft zogen um 1,4 beziehungsweise 0,8 Prozent an. Dagegen ging beim Halbleiterhersteller Intel die Talfahrt nach der jüngsten Stabilisierung weiter: Die Aktien verloren am Dow-Ende 3,8 Prozent und waren auch Schlusslicht im Nasdaq 100.
Mehrere Einzelwerte aus der zweiten Reihe stachen ebenfalls mit teils deutlichen Kursausschlägen heraus. Expedia zogen um 10,2 Prozent an, nachdem der Online-Reisevermittler überraschend gute Eckdaten für das zweite Quartal bekannt gegeben hatte. Besonders stark fiel das Wachstum der Übernachtungen aus. Expedia warne allerdings vor einer sich abschwächenden Nachfrage im laufenden Quartal.
Für Paramount Global ging es nach dem Zwischenbericht am Ende noch um 0,9 Prozent bergauf. Der Medienkonzern übertraf mit dem bereinigten Gewinn je Aktie die Konsensschätzung. Dass er eine Wertminderung von knapp sechs Milliarden US-Dollar für seine Kabelnetzwerke vornahm und einen Abbau der US-Belegschaft um 15 Prozent ankündigte, schockte die Anleger nicht: Erst am Vortag hatte der Konkurrent Warner Bros. Discovery eine Abschreibung von 9,1 Milliarden Dollar auf seine TV-Kanäle wie CNN und Discovery bekanntgegeben.
Die Aktien von Pitney Bowes sprangen am Freitag um 10,7 Prozent hoch. Der Versand- und Postdienstleister wies einen besser als erwarteten Quartalsumsatz aus. Er stimmte zudem zu, im Rahmen eines Geschäfts mit der Finanzdienstleistungs-Holding Hilco Global einen Großteil seines E-Commerce-Geschäfts über ein Insolvenzverfahren zu liquidieren.
Der Euro zeigte sich zum Ende einer turbulenten Woche mit 1,0917 Dollar kaum bewegt. US-Staatsanleihen legten etwas zu. Ihre Rendite sank auf 3,94 Prozent.
Zuvor schon war die Woche bereits für den deutschen Aktienmarkt versöhnlich zu Ende gegangen. Der Dax gewann gut 0,2 Prozent auf 17.723 Punkte, auch auf Wochensicht hat er damit ähnlich moderat zugelegt. Rezessionssorgen hatten den deutschen Leitindex zu Wochenbeginn noch fast bis auf 17.000 Zähler und damit den tiefsten Stand seit Februar stürzen lassen. „Die vergangene Woche startete mit Angst und endete mit Hoffnung“, kommentierte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. „Investoren nutzten die Kursrückgänge, um Aktienpositionen aufzustocken, und in der Folge erholten sich die Kurse wieder etwas, wenngleich das Gesamtbild von Unsicherheit und Volatilität geprägt blieb“, so Kater.
Die Rezessionssorgen hätten nun nach erfreulichen Daten vom US-Jobmarkt etwas nachgelassen, hieß es am Markt. Die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe waren bereits am Donnerstag stärker als erwartet gefallen. Dies deute darauf hin, dass der Arbeitsmarkt robuster sei, als es die jüngsten Daten vermuten ließen, schrieben die Experten der Landesbank Baden-Württemberg.
In China gab derweil eine höhere Inflation den Kursen Auftrieb, weil damit Hoffnungen verbunden sind, dass sich die Inlandsnachfrage erholt. Dank erfreulicher Quartalszahlen zogen außerdem insbesondere Werte aus den hinteren Börsenreihen an. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen stieg um 0,6 Prozent auf 24.250 Punkte. Für den Nebenwerteindex SDax ging es um 0,5 Prozent nach oben. LEG machte im zweiten Quartal zwar erneut einen Verlust, für das Gesamtjahr zeigt sich der Immobilienkonzern aber für den operativen Gewinn zuversichtlicher. Die Aktien legten um 5,5 Prozent zu. Auch andere Branchenwerte wie Vonovia, Aroundtown, Deutsche Wohnen und Grand City Properties legten deutlich zu.
Im Dax setzte Rheinmetall mit einem Plus von 5,2 Prozent seine jüngste Erholung schwungvoll fort und war größter Gewinner im Leitindex. Der Konzern profitiert von höheren Wehrausgaben westlicher Staaten und vermeldete am Freitag einen Folgeauftrag zur Lieferung acht weiterer Rettungsstationen für die Ukraine. Bereits am Vortag kamen detaillierte Quartalszahlen am Markt gut an.
An der MDax-Spitze schnellten die Aktien von Jenoptik um 9,8 Prozent in die Höhe. Analyst Peter Rothenaicher von der Baader Bank sprach von einer soliden Auftrags- und Umsatzentwicklung des Technologiekonzerns. Die operative Gewinnmarge liege etwas über der Erwartung. Jenoptik biete attraktive Wachstumschancen. Die Papiere von Jungheinrich gewannen 3,4 Prozent. Der Gabelstaplerhersteller habe die Erwartungen mit dem operativen Ergebnis etwas übertroffen und den Jahresausblick bestätigt, schrieb der Experte Philippe Lorrain vom US-Analysehaus Bernstein Research. Insgesamt erschienen die Resultate solide.
Für die Anteilscheine von Lanxess ging es um 6,3 Prozent nach oben. Beim Blick auf die Sparten des Spezialchemiekonzerns zeige sich, dass das Unternehmen überall besser als am Markt erwartet abgeschnitten habe, schrieb Analyst Chris Counihan von Jefferies.
Im SDax schüttelten die Papiere von Eckert & Ziegler ihre jüngste Kursschwäche ab und gewannen 3,3 Prozent. Das Medizin- und Strahlentechnik-Unternehmen bestätigte die jüngst angehobene Gewinnprognose. Die Anteilscheine von Stratec kletterten um 3,9 Prozent nach oben. Der Diagnostikspezialist hielt sein Wachstumsversprechen und sieht sich auf Kurs zu den Jahreszielen.
Am Rentenmarkt stieg die Umlaufrendite von 2,21 Prozent am Vortag auf 2,24 Prozent.
Auch wenn der deutsche Leitindex Dax letztlich mit einem blauen Auge davongekommen ist, bleibt die Lage angespannt. Das gilt umso mehr, als sich an den Risiken wenig geändert hat. Die hoch bewerteten US-Technologiewerte haben zwar verloren, ob damit aber ihre Korrektur schon beendet ist, bleibt fraglich. Auch die Sorgen um die Konjunktur sind noch längst nicht ausgeräumt. Das gilt besonders für die USA. Zwar haben die Erwartungen an einen Zinssenkungszyklus zugenommen. Ob das reicht, die Märkte schnell zu drehen, ist aber ungewiss. „Zinssenkungen wegen Konjunktursorgen kommen an der Börse, anders als Zinssenkungen nach erfolgreicher Inflationsbekämpfung, schlecht an“, heißt es in einer Einschätzung des Vermögensverwalters HRK Lunis. Die Ruhe, die zuletzt am deutschen Aktienmarkt eingekehrt war, könnte sich damit als trügerisch erweisen. Portfoliomanager Jens Herdack von der Weberbank rechnet mit anhaltenden Schwankungen.
Der Blick gilt mit der auslaufenden Berichtssaison den anstehenden Konjunkturdaten. „Anleger werden die US-Konjunkturdaten wie den Empire State-Index, den Philadelphia Fed-Index und die Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung auf etwaige Rezessionssignale untersuchen“, so die Volkswirte der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).
Das Interesse gilt auch der Inflation. Denn noch bewegt sich die Teuerung über dem Ziel der US-Notenbank von zwei Prozent, was den Spielraum bei Zinssenkungen begrenzt. Die Veröffentlichung der Erzeuger- und Verbraucherpreise für Juli am Dienstag beziehungsweise Mittwoch dürften daher erhöhte Beachtung finden.
Neben Belastungsfaktoren gibt es auch Positives. Trotz über 1.000 Punkten Abstand zum bisherigen Jahreshoch präsentiert sich der Dax in nicht so schlechter Verfassung. „Die Stabilisierungstendenzen der letzten Tage haben nicht getäuscht“, sagte der technische Analyst Jörg Scherer von der Bank HSBC. So lange sich der Dax über der 200-Tage-Durchschnittslinie bei aktuell 17.467 Punkten halte, bleibe die Lage „konstruktiv“.
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