Die jüngste Favoritenrotation steht dem DAX gut zu Gesicht. Liefen zuletzt vor allem die Aktien der Corona-Gewinner, so sind nun wieder konjunktursensible Titel wie BMW, Daimler oder Industriewerte wie der Luftfahrttechniker MTU gefragt. Auch der eben noch geschmähte Tourismussektor lockt renditehungrige Anleger, wie das riesige Kursplus bei TUI belegt.
Ob die Lockerungen der Corona-Beschränkungen den Appetit der Anleger aufs Risiko wecken? Das mag sein. Allerdings sind viele „Gewinner“-Aktien wie etwa der Essenslieferdienst Delivery Hero oder der Softwarespezialist Teamviewer recht teuer — zumindest in Relation zu bislang gemiedenen „Verlierer“-Papieren. Auf Indexebene verhält es sich ähnlich: Der exportabhängige DAX macht gerade Boden gegenüber den zuvor davonstürmenden US-Indizes gut. Der Markt, die Börse, nivelliert im Zeitverlauf bekanntlich die Bewertungsdifferenzen. Gut möglich, dass die Bewegung in die Zyklik weiter anhält. Zugleich gibt es nachhaltige Langfristtrends: Laut US-Bank Morgan Stanley wiegen die Techs in europäischen Indizes mit sieben Prozent erstmals mehr als Banken (5,6 Prozent). Zum Vergleich: Vor der Finanzkrise 2008 brachten Finanztitel noch rund 20 Prozent auf die Waage.
An der Wall Street entspannten sich die wegen des Konflikts zwischen den USA und China zuletzt nervös gewordenen Anleger im Handelsverlauf dagegen. War der Dow Jones Industrial im Tagestief noch um 1,4 Prozent gefallen und drohte unter 25.000 Punkte zu rutschen, so stand am Ende des Handels nur noch ein Minus von nicht einmal 0,1 Prozent auf 25.383 Punkte zu Buche. Zwar will US-Präsident Donald Trump angesichts der Einmischung Chinas im eigentlich autonomen Hongkong die vorteilhafte Behandlung der Metropole weitgehend beenden. Die Befürchtung noch drastischerer Maßnahmen der USA bewahrheitete sich vorerst jedoch nicht.
Experten hatten verschiedentlich nicht ausgeschlossen, dass die zunehmenden Spannungen zwischen den beiden Ländern deren ohnehin fragiles Handelsabkommen ins Wanken bringen könnten. „Dann würde handelspolitisch der Protektionismus wohl wieder die Oberhand gewinnen“, hatten die Analysten der Commerzbank im Vorfeld der Rede Trumps argumentiert. Das scheint zunächst einmal jedoch nicht der Fall zu sein. Der marktbreite S&P 500 legte um 0,5 Prozent auf 3.044 Zähler zu. Der technologielastige NASDAQ 100 stieg sogar um 1,5 Prozent auf 9.556 Punkte.
Tief im Minus und trotzdem positiv. So kann man die jüngsten Konjunkturdaten aus Deutschland zusammenfassen. Denn sowohl der Gfk-Konsumklimaindex als auch die Ifo-Index und die Erwartungen der deutschen Exporteure landen zwar allesamt noch im negativen Bereich, haben sich aber seit der letzten Umfrage deutlich erholt. Stimmungs-heber war in allen drei Fällen die zunehmende Lockerung der Corona–Einschränkungen. „Die schrittweise Öffnung vieler Geschäfte hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Konsumneigung keine weiteren Einbußen hinnehmen muss und aktuell sogar etwas zulegen kann“, erklärt etwa Rolf Bürkl von der GfK, Gesellschaft für Konsumforschung. Auch der Ifo-Geschäftsklimaindex kletterte im Mai nach katastrophalen Vormonaten etwas nach oben. Hier haben die Lockerungsmaßnahmen vor allem im Bereich Dienstleistungen und Einzelhandel einen positiven Effekt gehabt, so die Experten von der LBBW. Und die Ifo-Exporterwartungen der Industrie sind im Mai von minus 50,2 auf minus 26,9 Punkte gestiegen. Die Export-erwartungen haben sich übrigens in allen Schlüsselbranchen verbessert, teilweise sogar deutlich. Am klarsten fiel der Anstieg in der Autobranche aus.
Die Corona-Krise sorgt bei Deutschlands Topkonzernen nicht nur auf dem Börsenparkett für schmerzhafte Verluste. Auch beim Markenwert geht es deutlich bergab, wie das auf Markenbewertung spezialisierte Unternehmen Brand Finance festellt. Demnach könnten die wertvollsten deutschen Unternehmen 2020 insgesamt rund elf Prozent oder fast 50 Milliarden Euro an Markenwert einbüßen. Trotz aller Probleme hat die deutsche Autoindustrie weiter klar die Nase vorn, da die Branche insgesamt knapp 187 Milliarden Euro auf die Markenwaage bringen. Gleich vier der Top-5-Positionen unter den Einzeltiteln sind mit den Autoproduzenten besetzt, wobei Mercedes-Benz die Rangliste mit einem Markenwert von knapp 59 Milliarden Euro anführt. Klarer Aufsteiger des Jahres ist RWE. Der Versorger kletterte gleich 32 Stufen nach oben, nachdem der Markenwert sich auf 900 Millionen Euro glatt verdoppelt hat. Grund für den Imagegewinn ist die Neuausrichtung des Konzerns in Richtung mehr Nachhaltigkeit.
Ob in Frankreich, Deutschland oder in den USA – derzeit stecken Staaten und Zentralbanken weltweit Milliardensummen in angeschlagene Sektoren wie die Auto- oder Flugzeugindustrie. Sollten Anleger dem Staatsgeld folgen? Skeptisch zeigt sich da Didier Rabattu, Head of Equities bei Lombard Odier Investment Managers: „Im Allgemeinen dienen solche Liquiditätsinfusionen politischen Zwecken für strategische Industrien und fördern die Beschäftigung. Diese schaffen jedoch wenig Wert für Eigenkapitalinvestoren, da eine solche Unterstützung die Wettbewerbsposition zwischen Unternehmen verändert.“ In einer Welt mit geringerem Wachstum sei die Konzentration auf strukturelle Trends und Nachhaltigkeitsherausforderungen der bessere Weg, um Chancen zu nutzen. Fintech-Titel sowie Strategien gegen den Klimawandel seien hier Beispiele.
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„Sell in May and go away, but remember to come back in September.“
Die Börsen spiegeln die mittel- und langfristigen Prognosen wider. Die Automobilbranche spielt insofern eine Rolle, als da gilt:
„To big to fail“
Das Deutschland kein relevanter Markt mehr für Fahrzeuge ist, werden hier internationale Erwartungen abgedeckt. Insgesamt ist auch viel Geld im Markt, dass irgendwo unterkommen muss. Der Aktienmarkt für Unternehmen hat in der Vergangenheit noch die höchsten Renditen erbracht.
Es bedarf sicher einer genaueren Untersuchung, wer in Deutschland investiert. Offensichtlich ziehen sich amerikanische Investoren zurück und werden durch chinesische oder auch türkische ersetzt.
Auch wenn ich die fundierten Aussagen der Crash-Propheten wie Krall, Otte und Co. einmal ausblende: Aus dem Bauch heraus passt die Euphorie an den Märkten nicht zur Lebensrealität. Die Lockdowns haben Schaden verursacht, der Euro muss künstlich am Leben gehalten werden, das nicht vorhandene Gleichgewicht der EU-Länder ist vollkommen aus der Spur und die Armutszuwanderung sprengt alle Sozialsysteme und wird für dauerhafte Unruhe in der Gesellschaft sorgen. Worauf basiert die Euphorie? Ich glaube eher an einen baldigen Kater und massivem Wohlstandsverlust. Die Frage ist nur… wann dreht sich die Stimmung?