Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat sehr deutliche Worte gefunden; größer könnte die Schlappe für die Ampel nicht sein. An der Wall Street lautete die Devise zum Ende einer robusten Börsenwoche Stagnation.
Das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist mit mehreren Artikeln des Grundgesetzes unvereinbar und damit nichtig, verkündete das Gericht in seinem am Mittwoch verkündeten Entscheid. Die Regierung hatte das Gesetz kurz nach Aufnahme ihrer Amtgeschäfte Ende Dezember 2021 eingebracht, der Bundestag hatte es Ende Januar 2022 rückwirkend gebilligt. Mit der Nichtigerklärung folgt das Bundesverfassungsgericht einem Antrag von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion, die das Gesetz als Taschenspielertrick kritisiert hatten, um das Grundgesetz zu umgehen. Dieser Argumentation folgten nun die Karlsruher Richter.
Zur Bewältigung der Corona-Pandemie hatte der Bundestag ab 2020 wiederholt das Bestehen einer „aussergewöhnlichen Notlage“ festgestellt. Diese ist Voraussetzung für eine Ausnahme von der Schuldenbremse, über einen ganzen Konjunkturzyklus hinweg einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung fordert. Angesichts der im Frühjahr 2021 weiterhin grassierenden Pandemie hatte der Bundestag noch unter der Großen Koalition unter der Führung von Angela Merkel in einem ersten Nachtragshaushalt unter erneuter Nutzung dieser Ausnahmeklausel die bereits bestehenden Kreditermächtigungen um weitere 60 Milliarden Euro aufgestockt. Die Regierung machte dann aber von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch. Mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2021, über den jetzt zu befinden war, wurde diese Kreditermächtigung von 60 Milliarden Euro in das heute Klima- und Transformationsfonds (KTF) genannte Sondervermögen übertragen und damit für künftige Haushaltsjahre nutzbar gemacht. Damit wäre es der Regierung erlaubt, in späteren Jahren Kredite aufzunehmen, die dem Jahr 2021 zugerechnet werden.
Um den Charakter der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse zu wahren, müsse eine Kreditaufnahme im Einzelnen auf die konkrete Notsituation und ihre Bewältigung zurückführbar sein, führte die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts, Doris König, aus. Im konkreten Fall habe der Gesetzgeber den Zusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den durch die Kreditaufnahme finanzierten Klimaschutz- und Transformationsmassnahmen nicht ausreichend dargelegt. Zudem sei die Umgehung allgemeiner Haushaltsgrundsätze durch den Einsatz von Sondervermögen nicht zulässig. Auch die einem Sondervermögen zugeführten Mittel dürften grundsätzlich nur in jenem Haushaltsjahr eingesetzt werden, für das sie bereitgestellt worden seien. Und schließlich widersprächen die Verabschiedung des zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes für das Jahr 2021 im Januar 2022 dem Haushaltsgrundsatz der „Vorherigkeit“. Danach müsse ein Nachtragsentwurf bis zum Ende des betreffenden Haushaltsjahres parlamentarisch beschlossen werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beteuerten bei einem kurzen gemeinsamen Medienauftritt, das Urteil genau beachten zu wollen – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Laut Lindner hat sich das Bundesverfassungsgericht erstmals umfassend zu den Ausnahmen von der Schuldenbremse und zur Nutzung von Sondervermögen geäussert. Das Urteil schaffe Klarheit, habe aber“ potenziell weitgehende Auswirkungen auf die Staatspraxis und die Haushaltspolitik von Bund und allen Bundesländern“.
Mit der Nichtigerklärung des zweiten Nachtragshaushalts verringern sich die dem KTF zur Verfügung stehenden Finanzmittel um 60 Milliarden Euro. Soweit bereits Verpflichtungen deswegen nicht mehr bedient werden könnten, müsse dies anderweitig kompensiert werden, befand das Verfassungsgericht. Nach den bisherigen Plänen der Bundesregierung sollten aus dem KTF von 2024 bis 2027 insgesamt 212 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Daraus sollte eine Vielzahl von Massnahmen zur Förderung der Energiewende, des Klimaschutzes und der Transformation vor allem aus dem Bereich des Wirtschaftsministeriums finanziert werden, vieles ist schon zugesagt und verplant. Als erste Reaktion will die Regierung einen neuen Wirtschaftsplan für den KTF für 2024 und die folgenden Jahre ausarbeiten. Die Umsetzung des bisherigen Plans wird gesperrt; ausgenommen sind Massnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien im Gebäudebereich. Für die betroffenen Unternehmen – darunter auch zahlreiche börsennotierte wie Siemens Energy oder Nordex – könnten sich dadurch Verminderungen des erwarteten Geschäftsvolumens ergeben.
An der Wall Street lautete die Devise zum Ende einer robusten Börsenwoche Stagnation. Der Dow Jones Industrial schloss am Freitag praktisch unverändert gegenüber dem Vortag bei 34.947 Punkten. Die runde Marke von 35.000 Zählern konnte der Index nicht mehr überwinden. Auf Wochensicht steht gleichwohl ein solider Aufschlag von knapp zwei Prozent zu Buche. Am Mittwoch hatte der Index den höchsten Stand seit Ende August erreicht. Auch andere große Auswahlindizes bewegten sich kaum. Der technologielastige Nasdaq 100 ging mit einem Plus von 0,03 Prozent bei 15.838 Zählern aus dem Handel. Der Index bringt es damit auf ein Wochenplus von zwei Prozent. Der marktbreite S&P 500 schloss 0,1 Prozent höher bei 4.514 Punkten.
Auf Unternehmensseite standen noch einige Nachzügler der Berichtssaison im Fokus: Die Aktien des Bekleidungshändlers Gap schnellten um gut 30 Prozent nach oben, nachdem im vergangenen Quartal der Gewinn trotz erheblicher Umsatzeinbußen höher ausgefallen war als von Analysten antizipiert. Im Fahrwasser der Gap-Aktie gewannen die Papiere der Bekleidungskette Abercrombie & Fitch 6,7 Prozent. Besser als erwartet fielen laut Händlern auch die Zahlen von Applied Materials aus. Überschattet wurden diese am Freitag jedoch von Berichten, wonach die US-Behörden gegen den Halbleiterzulieferer wegen einer möglichen Verletzung von Exportbeschränkungen nach China ermitteln. Die Aktien fielen um vier Prozent. Bei Microsoft strichen Anleger Kursgewinne ein, die Aktie sank um 1,7 Prozent. Nach einer Kurs-Rally von fast 20 Prozent seit Anfang Oktober hatten die Papiere am Vortag ein Rekordhoch erreicht. Schub bekam das Papier zuletzt von der Aussicht auf selbst produzierte Chips für den Einsatz für Künstliche Intelligenz.
Von einer Erholung der Öl- und Gaspreise profitierten die großen Energiekonzerne. So legten Conocophilips, Chevron und Exxonmobil um bis zu 2,5 Prozent zu.
Am Devisenmarkt überwand der Euro vor dem Wochenende knapp die Marke von 1,09 US-Dollar und stieg auf den höchsten Stand seit Ende August. US-Staatsanleihen gaben leicht nach, die Rendite für zehnjährige Staatspapiere stieg korrespondierend auf 4,44 Prozent.
Zuvor hatte der jüngste Zinsoptimismus bereits den deutschen Aktienmarkt gestützt und ihm einen deutlichen Wochengewinn beschert. Der Dax schloss am Freitag 0,8 Prozent höher bei 15.919 Punkten. Auf Wochensicht resultiert daraus für den deutschen Leitindex ein Plus von 4,5 Prozent. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen gewann am Freitag 1,2 Prozent auf 26.284 Zähler und in der abgelaufenen Woche knapp vier Prozent.
Vor allem mildere Inflationsdaten aus den USA hatten zuletzt für Auftrieb gesorgt. Die rückläufige Teuerung in den USA und zuletzt gesunkene Ölpreise haben laut der Landesbank Hessen-Thüringen die Zinssorgen am Markt gedämpft. Letztlich gingen die Marktteilnehmer jetzt davon aus, dass die US-Notenbank das Zinsplateau erreicht habe und der nächste Schritt eine Senkung sein werde. Dies gelte auch für die Europäische Zentralbank.
An der Dax-Spitze setzte sich die Erholungsrally der Aktien des angeschlagenen Energietechnikkonzerns Siemens Energy mit einem Plus von 7,6 Prozent fort. Sie profitierten damit weiter von dem jüngsten Durchbruch im Ringen um finanzielle Garantien des Bundes. Die Anteilscheine von Infineon gaben um 1,1 Prozent nach. Negative Nachrichten für den Halbleitersektor kamen unter anderem aus den USA. Dort soll es einem Medienbericht zufolge Ermittlungen gegen den Chipkonzern Applied Materials wegen der angeblichen Verletzung von Exportbeschränkungen nach China geben. Im MDax setzten die Aktien des Essenslieferdienstes Delivery Hero ihre jüngste Rally fort und stiegen um 2,1 Prozent. Analyst Andrew Ross von der britischen Investmentbank Barclays verwies darauf, dass der chinesische Lieferriese Meituan eine mögliche Übernahme des Südostasien-Geschäfts von Delivery Hero prüfe.
Am deutschen Anleihenmarkt sank die Umlaufrendite von 2,64 Prozent am Vortag auf 2,54 Prozent.
Nach dem bislang starken November dürfte die Frage nach einer Jahresendrally die Anleger am deutschen Aktienmarkt in den kommenden Tagen weiter umtreiben. Nach drei Gewinnwochen könnte die Luft für den Dax zwar dünner werden, doch Experten sind durchaus optimistisch in puncto Fortsetzung des guten Laufs. Laut einer Umfrage der Bank of America werden Aktien von Fondsmanagern im November erstmals seit April 2022 wieder übergewichtet.
„Wenn Inflations- und Zinsangst gehen, kommen Aktien“, ist Baader-Bank-Experte Robert Halver zuversichtlich. Auf die Aktienmärkte wirke dies „wie eine Aufbauspritze“. Der Experte sieht das größte Aufholpotenzial bei Aktien aus MDax und SDax. Während der Dax in diesem Jahr rund 14 Prozent zugelegt hat, belaufen sich die Anstiege seiner kleineren Brüder nur auf fünf beziehungsweise elf Prozent.
Durch den Anstieg um fast neun Prozent seit dem Oktober-Tief ist beim Dax die 16 000-Punkte-Marke wieder greifbar. Mittlerweile steht der Leitindex über der 200-Tage-Linie – ein positives Signal. „Einer Jahresendrally einschließlich neuer Rekorde steht zumindest aus technischer Sicht nichts im Weg“, gibt sich Börsenexperte Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets optimistisch. Die bisherige Bestmarke datiert mit knapp 16 529 Punkten aus dem Juli.
„Zwar hält die Fed aus Gründen der Glaubhaftigkeit ihren moralischen Zeigefinger in Form einer theoretisch weiteren Zinserhöhung hoch“, so Halver. Unter Anlegern jedoch wachse die Fantasie für Zinssenkungen. Angesichts der aktuellen Tendenz der US-Verbraucherpreise hält Halver Mitte 2024 eine Kerninflation von zwei Prozent für möglich. An den Terminmärkten werde eine erste von insgesamt vier Zinssenkungen für nächstes Jahr ab Mai eingepreist.
Laut Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer birgt der jüngste Anstieg aber die Gefahr, dass die Rally an Fahrt verliert. Er verwies dabei auf den Relative Stärke Index (RSI) des Dax, der wieder die Marke von 70 erreicht habe – ein Niveau, bei welchem von einem „überkauften“ Marktumfeld gesprochen werde. Der wichtigste fundamentale Grund für seine Skepsis sind die in seinen Augen zu hohen Gewinnerwartungen für die Dax-Werte.
In der neuen Woche stehen einige Ereignisse an, die über die Tragfähigkeit der bisherigen November-Rally mitentscheiden könnten. Die Experten der Landesbank Baden-Württemberg verweisen auf die am Dienstag nach US-Börsenschluss erwarteten Zahlen von Nvidia, ein – wenn nicht der größte – Profiteur des Trendthemas Künstliche Intelligenz.
Außerdem dürften die US-Bürger in der Thanksgiving-Woche zeigen, ob ihr „Konsum eine tragfähige Stütze für die Konjunktur ist“. Nach dem US-Feiertag am Donnerstag hat der „Black Friday“ wieder Signalwirkung für das besonders wichtige Weihnachtsgeschäft.
Die Saison der Unternehmensberichte fällt dagegen als Triebfeder weg. Kapitalmarkttage von Dax-Konzernen könnten aber das Interesse der Anleger auf sich ziehen. Von Rheinmetall , einem Profiteur der aktuellen Aufrüstung, versprechen sich Experten zu Wochenbeginn neue mittelfristige Ziele. Am Dienstag dürfte dann bei Siemens Energy intensiv darüber diskutiert werden, dass die schwierige Lage des Energietechnik-Konzerns staatliche Garantien erforderlich machte.
Konjunktursignale sind in den kommenden Tagen rar. Am Freitag könnte der Ifo-Geschäftsklimaindex bewegen. Für mögliche Anzeichen von Bremsspuren der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, einen Nachtragshaushalt der Ampel für verfassungswidrig zu erklären, dürfte es dabei noch zu früh sein. Das Bundesverfassungsgericht hatten in der alten Woche die Verwendung von Corona-Krediten für Klimaprojekte für verfassungswidrig erklärt. Laut dem DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater müssen die Konjunkturdaten in den kommenden Wochen wegen dieser Entscheidung aber genau beobachtet werden.
„Das Ifo-Geschäftsklima dürfte sich erneut verbessern“, heißt es in einem Ausblick der Landesbank Helaba nach guten Vorboten durch den ZEW-Index, der im November zum vierten Mal in Folge gestiegen war. Für den Ifo sei dies ein positives Signal. Während die Helaba das Stimmungsbarometer bei 87,3 Punkten erwartet, hält die Commerzbank gar 87,5 Zähler für realistisch.
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