Die heiße Phase des Börsenjahres beginnt – Schuldenbremse in der Diskussion

Das Thema deutscher Haushalt interessiert die Welt nicht sonderlich. Die Börsianer in aller Welt schauen derzeit fast ausschließlich auf Daten, die Rückschlüsse über den weiteren Kurs der Notenbanken zulassen. Allerdings ignorieren laut Experte die Märkte die Kernbotschaft der Notenbanker: „higher for longer“.

IMAGO / imagebroker

Beliebt ist die deutsche Schuldenbremse bei den meisten Politikern schon lange mehr. Doch selten war der Ruf nach einer Reform so laut wie seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. November. Seit knapp vier Wochen streitet die Ampel-Koalition nun darüber, wie sie den Haushalt 2024 anpasst, damit er den Vorgaben der Verfassung genügt. Kein Tag vergeht ohne Forderung, sie im kommenden Jahr entweder erneut auszusetzen oder ganz zu reformieren beziehungsweise abzuschaffen. Auch der SPD Co-Vorsitzende Lars Klingbeil bekam am Freitag auf dem SPD-Parteitag viel Applaus dafür.

Gedacht ist die Schuldenbremse als Selbstbindung der Politik. Denn Politiker, die wiedergewählt werden wollen, zeigen stets die Neigung, zu viel Geld auszugeben. Politiker erhoffen sich bessere Wiederwahlchancen, Koalitionen tragen inhaltliche Differenzen nicht aus, sondern verdecken sie, indem sie – durch Schulden – finanziert, jede Klientel mit Wohltaten bedienen. Steigt die Verschuldung aber immer weiter an, belastet sie nicht nur künftige Generationen, sondern beschränkt auch den Handlungsspielraum in Krisenzeiten. Dem soll die Schuldenbremse entgegenwirken. In der Tat ist die Schuldenquote mit 66 Prozent im letzten Jahr in Deutschland beherrschbar geblieben, in Frankreich – wo es ein solches Instrument nicht gibt – ist sie dagegen zwischen 2010 und 2019 von 85 Prozent auf 97 Prozent gestiegen und in der Corona-Lockdown-Krise auf über 110 Prozent geklettert.

Die Stabilität der Schuldenquote hat Deutschland im vergangenen Jahrzehnt natürlich auch den üppig sprudelnden Steuereinnahmen und den niedrigen Zinsen zu verdanken. Das hat sich geändert: Inzwischen wächst die Wirtschaft kaum noch, zugleich müssen wieder Zinsen auf die Verschuldung bezahlt werden – 2024 rund 40 Milliarden Euro. Damit werden die Spielräume enger, und das Urteil aus Karlsruhe hat sie weiter verengt.

Uneins über die Schuldenbremse sind nicht nur Politiker, sondern auch Ökonomen. Die vor allem bei eher linken Wirtschaftswissenschaftern verbreitete Hauptkritik lautet, dass die Schuldenbremse nicht zwischen staatlichen Konsumausgaben und staatlichen Investitionen unterscheide. Verteidiger der Schuldenbremse wie der Freiburger Professor und frühere Vorsitzende des Sachverständigenrates, Lars Feld, argumentieren, dass die Investitionstätigkeit des deutschen Staates seit Einführung der Schuldenbremse in Prozent des BIP gestiegen sei. Für den maroden Zustand vieler Infrastrukturen machen sie andere Faktoren wie zum Beispiel frühere Fehler, falsche Anreize bei der Bahn oder langwierige Genehmigungsverfahren verantwortlich.

Das Thema deutscher Haushalt interessiert die Welt allerdings nicht sonderlich. Die Börsianer in aller Welt schauen derzeit fast ausschließlich auf Daten, die Rückschlüsse über den weiteren Kurs der Notenbanken zulassen. Auf den mit Spannung erwarteten Arbeitsmarktbericht für November reagierten die US-Börsen am Freitag daher mit Kursgewinnen. Der Leitindex Dow Jones Industrial legte um 0,4 Prozent auf 36.248 Punkte zu. Er erreichte kurz vor der Schlussglocke einen weiteren Höchststand seit Anfang vergangenen Jahres. Der marktbreite S&P 500 legte ebenfalls um 0,4 Prozent auf 4.604 Punkte zu. Der technologielastige Nasdaq 100 stieg auch um 0,4 Prozent auf 16.085 Zähler.

Wenig Bewegung gab es bei den Einzelwerten. An der Spitze des Dow gewannen Boeing-Aktien 3,1 Prozent. Der US-Flugzeugbauer stach im Ringen um einen Großauftrag aus Thailand laut Insidern seinen europäischen Konkurrenten Airbus aus.

Lululemon, ein Hersteller von Yoga-Bekleidung, meldete für das dritte Quartal zwar rückläufige Ergebnisse, übertraf damit aber dennoch die Markterwartung. Zudem wurden Aktienrückkäufe im Wert von einer Milliarde US-Dollar angekündigt. Lululemon stiegen um 5,4 Prozent.

Aktien von Docusign verteuerten sich um 4,8 Prozent. Der Anbieter von elektronischen Verträgen und Signaturen hat im vergangenen Quartal mehr umgesetzt als erwartet und macht wieder Gewinn.

Der solide US-Arbeitsmarkt stützte den US-Dollar nur kurz, der Euro machte Verluste wieder wett und trat im späten US-Währungsgeschäft mit 1,0765 Dollar auf der Stelle. Den Anleihemarkt setzten die Arbeitsmarktdaten unter Druck. Die Rendite für zehnjährige Staatspapiere stieg auf 4,23 Prozent.

Zuvor schon war der Dax auf ein Rekordhoch geklettert. Der Leitindex stieg zeitweise auf rund 16.783 Punkte und schloss letztlich 0,8 Prozent höher bei 16.759 Zählern. Mit einem Wochenplus von 2,2 Prozent legte er bereits die sechste Woche in Folge zu. Seit seinem Oktober-Tief bei 14.630 Punkten hat der Dax gut 14,5 Prozent gewonnen. Die Anleger bauen weiter auf baldige Zinssenkungen der Notenbanken. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen legte vor dem Wochenende um 0,6 Prozent auf 26.691 Punkte zu.

Siemens Energy fielen als Schlusslicht im Dax um 2,2 Prozent. Für die Analysten der Bank JPMorgan zählen sie zu den Aktien, die Anleger meiden sollten. Airbus verbuchten nach einer Kaufempfehlung der Deutschen Bank einen Zuwachs von 2,5 Prozent und stiegen zeitweise auf ein Rekordhoch bei 142,04 Euro. Analyst Christophe Menard sieht beim Flugzeugbauer „Licht am Ende des Tunnels“ und einen Wendepunkt bei den Auslieferungen. Adidas und Puma SE erholten sich um 1,2 beziehungsweise 0,3 Prozent, nachdem Anleger tags zuvor infolge des guten Laufs erst einmal Kasse gemacht hatten. Die Aktien von Teamviewer knüpften mit einem Plus von 3,2 Prozent an ihre Vortageserholung an. Kurzfristig stütze das tags zuvor angekündigte, neue Aktienrückkaufprogramm des Softwarekonzerns nach dem Abwärtstrend der vergangenen Monate, erklärte Analyst Armin Kremser von der DZ Bank. „Gerade auch vor dem Hintergrund von mutmaßlich noch zwei weiteren (aber letzten) Aktienplatzierungen durch Großaktionär Permira im kommenden Jahr“, ergänzte er.

Am Rentenmarkt stieg die Umlaufrendite von 2,20 Prozent am Vortag auf 2,25 Prozent.

Den Anlegern steht nun eine spannende Woche voller geldpolitischer Entscheidungen der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) bevor. Der US-Arbeitsmarkt hat sich im November von seiner Delle aus dem Vormonat erholt. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen ist wieder gestiegen und hat die Erwartungen übertroffen. „Damit können die Börsianer nur bedingt gut leben“, kommentierte Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners. Der Arbeitsmarktbericht sei zwar nicht extrem stark, aber doch stark genug, um die erwartete erste Zinssenkung nach hinten zu verschieben.

Auf der anderen Seite hängt der vergleichsweise starke Stellenaufbau laut den Experten von Capital Economics vor allem mit zyklischen Jobs und Streikrückkehrern zusammen. Ohne diese Sondereffekte bleibe die Entwicklung des US-Arbeitsmarkts ähnlich mau wie zuvor – was ins Bild einer sich im vierten Quartal weiter abschwächenden Konjunktur passen würde. Diese Lesart stünde der Hoffnung auf zeitnahe Zinssenkungen nicht im Weg und könnte weitere Dow- und Dax-Rekorde folgen lassen.

Mit dem US-Arbeitsmarktbericht habe „die heiße und zugleich finale Phase des Börsenjahres“ begonnen, schrieben die Experten von Index Radar. Am Dienstag folgen die US-Inflationszahlen, bevor am Mittwoch die US-Notenbank Fed und am Donnerstag die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Zinsentscheiden im Fokus stehen.

Vor Weihnachten sind von beiden Notenbanken keine Zinsschritte zu erwarten, die Anleger bauen aber bereits auf sinkende Zinsen 2024. „Wir prognostizieren, dass die EZB schon im April erstmalig den Leitzins senkt, während wir für die Fed erst mit einem ersten Zinsschritt im Juni rechnen“, schrieb Chefvolkswirt Edgar Walk vom Bankhaus Metzler. Er schätzt die wirtschaftliche Lage in der Eurozone schwächer ein als in den USA. Darüber hinaus erwartet Walk einen deutlich schnelleren Rückgang der Kerninflation in der Eurozone als in den USA.

„Es ist zwar nicht zu erwarten, dass das Zwei-Prozent-Ziel der EZB in den kommenden Monaten erreicht wird. Die Teuerung ist aber nicht weit davon entfernt, was naturgemäß Spekulationen über eine schnellere Zinswende nährt“, kommentierte Experte Ulf Krauss von der Helaba. Bei der Zinssitzung werde erstmals eine Projektion für 2026 vorgelegt, die unter dem Inflationsziel liegen könnte. „Dies dürfte den Anlegern gefallen und spricht für eine eher gute Stimmung an den Aktien- und Rentenmärkten nach der EZB-Pressekonferenz“, so Krauss.

Aus Sicht von LBBW-Experte Elmar Völker ist das Potenzial für Enttäuschungen aber beträchtlich. Noch sei offen, inwiefern sich Fed-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Zinssenkungsspekulationen verbal entgegenstemmen. „Beide haben bis zuletzt regelmäßig davor gewarnt, voreilig den Sieg über die Inflation zu erklären“, schrieb Völker. Die extrem hochfliegenden Erwartungen der Marktteilnehmer müssten sich an den Zinssenkungen im kommenden Jahr messen lassen. „Die anhaltenden Kursgewinne am Kapitalmarkt fühlen sich an wie eine verfrühte Bescherung vom Weihnachtsmann“, kommentierte Sascha Rehbein von der Weberbank. Allerdings würden die Märkte die Kernbotschaft der Notenbanker in letzter Zeit ignorieren, nämlich „higher for longer“ – also die Absicht, die Leitzinsen über einen längeren Zeitraum auf hohem Niveau zu halten.

Jenseits der Geldpolitik steht mit den ZEW-Konjunkturerwartungen am Dienstag ein weiteres konjunkturelles Highlight auf der Agenda. Zuletzt hatte sich das Stimmungsbarometer der Finanzexperten in Deutschland vier Monate in Folge aufgehellt, allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Ansonsten dürften Zahlen zur Industrieproduktion der Eurozone am Mittwoch Beachtung finden, ebenso wie frische Einkaufsmanagerindizes am Freitag. Außerdem geben zum Jahresende hin zahlreiche Institute ihre Konjunkturprognosen für 2024 ab.

Unternehmensseitig steht indes eine ruhige Woche bevor. Am Dienstag veröffentlicht der Medizintechnikhersteller Carl Zeiss Meditec seine Jahreszahlen, am Donnerstag folgt der Ingenieursdienstleister Bertrandt. Ansonsten gibt es im Wochenverlauf auch Neues aus der Modebranche: Inditex zieht Bilanz nach neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres und H&M berichtet über den Umsatz im vierten Geschäftsquartal.

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Kommentare ( 2 )

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Schlaubauer
1 Jahr her

Wenn man so als jemand ohne Ahnung von der Börse sieht, dass die Börsenwerte wohl mehr von den Zentralbanken abhängig sind, wie von der Realität, dann stimmt wohl auch hier: „von der Wirklichkeit umzingelt“. Bleibt da nicht mehr wie eine von wenigen kontrollierte Blase von „Scheinvermögen“. Wohl näher am Sozialismus wie am Kapitalismus. Und da kann man doch ganz sicher sein. Noch jede Blase ist irgenwann geplatzt.

Linda28
1 Jahr her
Antworten an  Schlaubauer

Eine Blase platzt früher oder später immer. Aber dazu müsste es erstmal ein Blase geben. Die ist am breit gestreuten Aktienmarkt aber nicht vorhanden. Die Bewertungen sind im Schnitt nicht übermäßig hoch. Der DAX ist übrigens ein Performance Index. Da sind alle Dividenden der vergangenen Jahre mit eingerechnet. Der würde also auch steigen, wenn die Kurse und somit die Unternehmen immer gleich viel wert bleiben würden. Der DAX Kursindex, der also nur den Wert der Unternehmen anzeigt ohne frühere Dividenden steht heute bei 6645. Der stand im Jahr 2000 schon Mal bei etwa 6600 und im Jahr 2021 bei knapp… Mehr