Europa-Börsen nach Italiens Defizitankündigung im Rückwärtsgang

Wall Street verdaut steigende Leitzinsen, Fusionen auf Rekordniveau, Vorbereitungen für harten Brexit, Tesla-Chef Musk mit Betrugsanklage.

Daniel Roland/AFP/Getty Images

Nach der jüngsten Erhöhung der Leitzinsen durch die US-Notenbank reagierte die Wall Street nach ökonomischem Drehbuch: Die Aktienkurse fielen. Steigt die Rendite weniger riskanter Anlagen wie Staatsanleihen, so werden riskantere Investments wie Aktien unattraktiver, so die Lehre. Noch ist das Zinsniveau moderat, die US-Leitzinsen bewegen sich in einem Korridor zwischen 2,0 und 2,25 Prozent. Zugleich ist das Wachstum der US-Konjunktur stark, die Unternehmensgewinne steigen, hohe Aktienrückkäufe sorgen für überproportional anziehende Gewinne pro Aktie. Was geschieht, wenn die Zinsschraube fester angezogen wird? Die Fed hat vier weitere Schritte bis Ende 2019 angekündigt. In Kenntnis dessen fiel die Kursreaktion der US-Börsen sehr moderat aus. Offensichtlich erwartet der Markt, dass das US-Wachstum weiter anhält. Die These wurde von den Fed-Bankern bestätigt: Kein Abschwung vor 2020, hieß es. Auch der Internationale Währungsfonds hielt zuletzt seine optimistische Prognose für das US-Wachstum aufrecht, während die Vorhersagen für andere Regionen zurückgeschraubt wurden. Für Börsianer heißt das: Nicht nur auf den DAX schauen — und trotz Zinserhöhung an der Wall Street aktiv werden.

Die Wall Street zeigte sich am Freitag jedenfalls antriebslos. Als Bremsklotz erwies sich der weiter starke US-Dollar, der den Export amerikanischer Produkte tendenziell erschwert. Der Dollar profitierte auch von der Euroschwäche angesichts der von Italiens Regierung beschlossenen, hohen Neuverschuldung. Der New Yorker Dow Jones Industrial konnte seine anfänglichen Verluste immerhin abschütteln und stieg um 0,07 Prozent auf 26.458 Punkte. Der marktbreite S&P 500 trat prozentual unverändert bei 2.914 Punkten auf der Stelle. Beiden Indizes fehlte es nach ihren Rekorden vor dem vergangenen Wochenende und den anschließenden Verlusten an Dynamik. Der technologielastige Auswahlindex NASDAQ 100, der sich zuletzt vergleichsweise besser geschlagen hatte, sank am Freitag um 0,03 Prozent auf 7.628 Zähler.

Angesichts der jüngsten Entwicklung verbuchte der Dow ein Wochenminus von rund ein Prozent. Die längerfristige Bilanz des Börsenbarometers kann sich allerdings sehen lassen: Im September liegt der Kurszuwachs bei knapp zwei Prozent. Für das dritte Quartal steht gar ein Plus von neun Prozent zu Buche und seit Jahresbeginn immerhin ein Anstieg um rund sieben Prozent.

Das hoch verschuldete Italien löste mit seiner Ankündigung neuer Schulden Turbulenzen an den europäischen Finanzmärkten und Kritik bei den EU-Partnern aus. Die von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung getragene Regierung in Rom einigte sich für die kommenden drei Jahren auf ein Defizit von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), um ihre teuren Wahlversprechen umzusetzen. Damit verstößt Italien einmal mehr gegen das Defizit-Kriterium des Maastricht-Vertrages (Nettoneuverschuldung maximal 2,0 Prozent des BIP). Daraufhin rauschten die italienischen Staatsanleihen ebenso in den Keller wie die Mailänder Börse. Aus der zuständigen EU-Kommission kamen Signale, dass sie die Pläne aus Rom nicht gutheiße. Die Vorgängerregierung hatte mit ihr ein Defizit von 0,8 Prozent vereinbart, und Italiens parteiloser Finanzminister Giovanni Tria konnte sich mit dem avisierten Fehlbetrag von maximal 1,6 Prozent intern nicht durchsetzen. Auch der DAX ging angesichts der sich abzeichnenden neuen Italienkrise in die Knie und verlor mehr als 1,5 Prozent.

An der Wall Street drängte Tesla alle anderen Themen in den Hintergrund. Die Aktien sackten angesichts der SEC-Klage gegen Chef Elon Musk, dem Kursmanipulation vorgeworfen wird, letztlich um fast 14 Prozent ab. Musk droht eine lebenslange Verbannung aus den Chefetagen börsennotierter Unternehmen. Zum Verhängnis werden könnte ihm die Anfang August überraschende und wenige Wochen später zurückgezogene Ankündigung, den Elektroautobauer von der Börse nehmen zu wollen. Die Börsenaufsicht SEC wirft Musk vor, dabei falsche und irreführende Angaben gemacht zu haben.

Die zuletzt erholten Facebook-Papiere büßten über zweieinhalb Prozent ein, nachdem das Unternehmen berichtet hatte, dass fast 50 Millionen Nutzer von einem Hacker-Angriff mit noch unklaren Folgen betroffen seien. Die Angreifer hätten bei ihnen digitale Schlüssel gestohlen, mit denen sie „die Profile nutzen konnten, als seien es ihre eigenen“, sagte Facebook-Manager Guy Rosen. Nach bisherigen Erkenntnissen hätten die Hacker aber keine privaten Nachrichten abgerufen oder versucht, etwas im Namen der betroffenen Nutzer bei Facebook zu posten. Facebook hat insgesamt mehr als zwei Milliarden Nutzer.

Auf Begeisterung stießen am Markt hingegen die überraschend guten Quartalszahlen von Blackberry: Die in New York notierten Titel des kanadischen Smartphone-Pioniers sprangen um fast zwölf Prozent auf 11,38 Dollar. Inzwischen entwickelt das Unternehmen keine eigenen Smartphones mehr, sondern lässt einen chinesischen Anbieter Telefone unter seinem Markennamen bauen. Blackberry konzentriert sich stattdessen auf das Software-Geschäft mit Unternehmen.

„Aufschwung verliert an Fahrt — Weltwirtschaftliches Klima wird rauer.“ Viel mehr als den Titel des Herbstgutachtens von Deutschlands führenden Wirtschaftsforschern muss man nicht kennen, um zu wissen, dass die Wirtschaft hierzulande mit mehr Gegenwind zu rechnen hat. Denn den Experten zufolge steigt das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr nur um 1,7 Prozent. Im Frühjahr ging man noch von einem Plus von 2,2 Prozent aus. Für das Jahr 2019 erwarten die Forscher einen Anstieg des BIP um 1,9 Prozent, vor einem halben Jahr war noch mit einem 2,0-Prozent–Wachstum gerechnet worden. Im Jahr 2020 werde sich das Wachstum noch weiter beruhigen – auf eine Rate von 1,8 Prozent.

Comcast schluckt Sky; Barrick Gold fusioniert mit Randgold; Michael Kors will Versace übernehmen — vergangene Woche hat sich das Übernahmekarussell besonders schnell gedreht. Wieder einmal in diesem Jahr, das wohl als das rekordreichste für Übernahmen und Fusionen in die Geschichtsbücher eingehen wird. Denn 2018 sind schon bis Ende Oktober Mergers & Acquisitions-Deals im Wert von 3,2 Billionen US-Dollar abgewickelt worden, ein Plus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gründe für die rege Kauftätigkeit derKonzerne, die sogar über dem bisherigen Rekordjahr 2007 liegt, gibt es reichlich: Recht niedrige Zinsen, prall gefüllte Unternehmenskassen sowie stark gestiegene Aktienkurse befeuern den Trend. Aber auch die Konsolidierung in vielen Industriesektoren wie der Bergbau- und Medienbranche sorgen für Druck auf die Konzerne, sich größer aufzustellen. Die Anleger sehen den Übernahmeboom nicht immer euphorisch. Während die Aktien des Kabelbetreibers Comcast, der rund 40 Milliarden US-Dollar für Sky auf den Tisch blättern muss, im Wochenverlauf deutlich unter Druck gerieten, gewannen Barrick-Gold-Titel wegen des Randgold-Deals an Glanz.

Es mehren sich die Anzeichen, dass ein „hartes“ Ausscheiden Großbritanniens aus der EU Ende März 2019 Wirklichkeit wird. Zuletzt forderte etwa die Bundesregierung die Finanzbranche auf, sich auf das Szenario eines ungeordneten Brexits vorzubereiten. „Ein No-Deal wäre die schlechteste Lösung — trotzdem gebietet es die Vorsicht, dass wir uns auch darauf einstellen“, sagte Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Aber auch auf der Insel wächst die Angst vor einer chaotischen Trennung. Immerhin gehen 44 Prozent aller britischen Exporte in die EU. Die tiefen Sorgen der internationalen Investoren um die britische Exportwirtschaft manifestieren sich seit Monaten in starken Abwärtsbewegungen des britischen Pfunds. Allerdings malen nicht alle Fachleute schwarz. „Ich finde, dass derzeit die kurzfristigen negativen Folgen wie ein schwaches britisches Pfund zu sehr betont werden“, meint etwa John Greenwood, Chefökonom der Fondsgesellschaft Invesco. „Denn langfristig wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit Großbritanniens den Ausschlag geben. Und hier hat das Land etwa mit seinemflexiblen Arbeitsmarkt und seiner unabhängigen Währung die Nase vorn.“


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