Entspannungsrally nach Lösung im Schuldenstreit

Das versöhnliche Ende im US-Schuldenstreit beflügelte am Freitag die Wall Street. Der Dow Jones Industrial ging mit einem Aufschlag von 2,1 Prozent auf 33.763 Punkte aus dem Handel. Nach Verlusten im Monat Mai verbuchte der wichtigste Wall-Street-Index zum Juni-Auftakt damit einen Gewinn von zwei Prozent.

IMAGO / STPP

Es war absehbar, dass es in Washington zu einem Kompromiss zwischen der Regierung unter demokratischer Führung und der republikanischen Opposition in Sachen Anhebung der Schuldenobergrenze und Sparmassnahmen kommen würde, aber ein näherer Blick zeigt, dass eben auch in der Politik vielen das Hemd näher ist als die Hose, und das Zustandekommen solcher Kompromisse manchmal Trittbrettfahrer auf den Plan ruft. So mussten die Demokraten als selbsterklärte „Partei der Fortschrittlichkeit“ eine ganz dicke Kröte schlucken, die ihnen ausgerechnet jemand aus den eigenen Reihen auf den Teller gelegt hatte. Im Gegenzug zur Zustimmung zur Aufhebung der Schuldenobergrenze setzte der demokratische Senator Joe Manchin die beschleunigte Fertigstellung des Baus der knapp 500 Kilometer langen Mountain Valley Pipeline von West Virginia bis nach North Carolina durch.

Das Vorhaben war vor Jahren ins Stocken geraten, nachdem ein Bundesgericht die Genehmigung für die Durchquerung eines Nationalwaldes aus Umweltgründen abgelehnt hatte. Der Abschnitt in der nun vorliegenden Gesetzesvorlage würde die Behörden zwingen, alle erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, um die Fertigstellung der Pipeline endgültig zu genehmigen. Plötzlich wäre auch ein anderes Gericht für die juristischen Komplikationen zuständig, die sich in diesem Rahmen ergeben könnten, nachdem es in den vergangenen Jahren zu mehreren erfolgreichen Anfechtungen gekommen war – eine „elegante“ Lösung auch für das Ansinnen der Republikaner, die konventionellen Energieunternehmen bei den Genehmigungsverfahren zu entlasten. Umwelt-Aktivisten toben: Die Regeln würden für ein Pipeline-Unternehmen ausgesetzt, das wiederholt das Wasser von Gemeinden verschmutzt und die ökologischen Vorgaben missachtet habe.

Joe Manchin hat damit einmal mehr bewiesen, wie die Politik im Gegensatz zu edel lautenden Verlautbarungen in der Praxis oft von schnöden persönlichen oder von den materiellen Eigeninteressen bestimmter Regionen dominiert wird.

Das versöhnliche Ende im US-Schuldenstreit beflügelte am Freitag die Wall Street. Der Dow Jones Industrial ging mit einem Aufschlag von 2,1 Prozent auf 33.763 Punkte aus dem Handel. Nach Verlusten im Monat Mai verbuchte der wichtigste Wall-Street-Index zum Juni-Auftakt damit einen Gewinn von zwei Prozent. Der marktbreite S&P 500 ging 1,5 Prozent höher mit 4.282 Zählern aus dem Markt. Für den Nasdaq 100 ging es um 0,7 Prozent auf 14.547 Punkte nach oben, womit sich das Plus im Wochenverlauf auf 1,7 Prozent beläuft. Seit dem Jahreswechsel ist er inzwischen um ein Drittel gestiegen, während der Dow in derselben Zeit nicht einmal zwei Prozent gewonnen hat.

Der Arbeitsmarktbericht für Mai sandte widersprüchliche Signale: Die Zahl der Beschäftigten stieg zwar überraschend stark, doch auch die Zahl der Arbeitslosen legte spürbar zu. Der starke Arbeitsmarkt könnte die US-Notenbank (Fed) zu mehr Zinsschritten als erwartet verleiten, was für die Aktienmärkte wiederum Gegenwind verhieße. Die nächste Zinsentscheidung der Fed steht in Mitte Juni an.

Unternehmensseitig gerieten Telekomaktien wegen möglicher Konkurrenz durch Amazon unter Druck. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, verhandelt der Online-Handelsgigant mit Verizon, der Telekom-Tochter T-Mobile US und mit Dish über ein Angebot für einen kostengünstigen oder möglicherweise kostenlosen landesweiten Mobilfunkdienst für seine Prime-Abonnenten in den USA. Während die Aktien von Amazon um 1,2 Prozent zulegten, büßten T-Mobile US 5,6 Prozent ein. Verizon verloren 3,2 Prozent und AT&T 3,8 Prozent. Die Papiere von Dish sprangen indes um 16,2 Prozent nach oben.

Außerdem machten 3M einen Sprung um 8,8 Prozent nach oben. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg hat 3M einem milliardenschweren Vergleich mit US-Städten zugestimmt. Analysten äußerten sich positiv. Die Aktien von Lululemon sprangen nach starken Quartalszahlen und angehobenen Jahresziele des Sportbekleidungshändlers um 11,3 Prozent hoch. Zwischenergebnisse einer Krebsstudie, die auf der ASCO-Jahrestagung der US-Onkologen vorgelegt werden sollen, sorgten für ein Kursplus bei Biontech von 3,9 Prozent. Ein Antikörperkandidat gegen verschiedene solide Tumore habe „ermutigende Signale“ bei einer bestimmten Form von Lungenkrebs gesendet, hieß es von den Mainzern.

Der Euro kostete zum Handelsschluss an der Wall Street 1,0706 US-Dollar. Am US-Rentenmarkt steig die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen auf 3,7 Prozent

Mit der Lösung des US-Schuldenstreits hatten zuvor die Kurse an der deutschen Börse bereits deutlich zugelegt. Die drohende Zahlungsunfähigkeit der US-Regierung hatte die Anleger zur Wochenmitte einige Nerven gekostet, ist nun aber abgehakt. Der DAX gewann am Ende 1,3 Prozent auf 16.051 Punkte. Das reichte für eine positive Wochenbilanz von 0,4 Prozent. Der MDAX der mittelgroßen Unternehmen stieg am Freitag um 1,94 Prozent auf 27 264,89 Zähler.

Rohstoff- und Automobilwerte waren europaweit gefragt. Oben im DAX standen Covestro mit plus 6,4 Prozent. Continental gewannen 5,4 Prozent. Aurubis setzten sich mit 6,7 Prozent an die Spitze des MDAX. Die Aktien von Adidas und Puma profitierten von den oben erwähnten starken Quartalszahlen des US-Wettbewerbers Lululemon. Adidas stiegen im DAX um 5,8 Prozent, Puma im MDAX um 6,4 Prozent.

Nichts zu lachen hatten hingegen die Anleger der Deutschen Telekom. Nachrichten über die mögliche Konkurrenz durch Amazon hinterließen auf dem Kurszettel ein Minus von 9,1 Prozent. Damit ist der Kursgewinn seit Jahresanfang fast ausradiert.

Am Rentenmarkt fiel die Umlaufrendite von 2,34 Prozent am Vortag auf 2,32 Prozent.

Gemäss einer Auswertung des Vermögensverwalters Janus Henderson wurden im ersten Quartal weltweit Dividenden im Gegenwert von 327 Milliarden Dollar an die Aktionäre ausgeschüttet. Das sind zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Das Wachstum ist auch auf Sonderdividenden zurückzuführen. So hat etwa der deutsche Autobauer Volkswagen 6,3 Milliarden Dollar aus dem Erlös des Börsengangs von Porsche an seine Aktionäre ausgezahlt, auch die reguläre Dividende wurde erhöht. Die „Dividendensaison“, in der die Unternehmen nach ihren Hauptversammlungen die Ausschüttungen vornehmen, ist seit Mai im wesentlichen vorbei. Man muss bei europäischen Unternehmen also ein Jahr warten, bis die nächste Auszahlungsrunde fällig wird. Dennoch sind Unternehmen, die eine nachhaltige Dividendenpolitik verfolgen, aus Anlegersicht interessant. Ihre Kurse schwanken während unsicherer Marktphasen weniger.

Mit Dividendenpapieren profitieren Anleger gleich doppelt: Zum einen über eine positive Kursentwicklung, zum anderen dank der Dividendenrendite. Diese ist wie eine Zinszahlung auf das investierte Kapital. Wenn noch die Dividende reinvestiert wird, kommt auch bei einer Aktie der Zinseszinseffekt hinzu. Deshalb sind Dividendenstrategien besonders für den Vermögensaufbau beliebt.

Mit der Lösung des US-Schuldenstreits haben die Aktienmärkte sich aus ihrer Unsicherheit befreit. Ob das reicht, um die Kurse in der neuen Woche weiter nach oben zu tragen, hängt wohl davon ab, wie Marktteilnehmer die Zinsperspektiven einschätzen. Die im Euroraum zuletzt gesunkene Inflation dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) vorerst nicht von weiteren Zinserhöhungen abhalten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat ihre Entschlossenheit in diesem Punkt gerade erst noch einmal deutlich gemacht.

Auch die weiteren Zinsschritte der US-Notenbank Fed bleiben am Markt ein Thema. Anleger am deutschen Aktienmarkt dürfte es darüber hinaus interessieren, ob die nächste Index-Überprüfung der Deutschen Börse Änderungen zur Folge haben und wenn ja, welche. Die Bekanntgabe erfolgt am Montag, wirksam werden die Entscheidungen am 19. Juni. Während Index-Experten erwarten, dass im DAX alles so bleibt, wie es ist, stehen im MDAX der mittelgroßen Unternehmen sowie im Nebenwerteindex SDAX wohl einige Änderungen an.

Ansonsten dürften vor allem Konjunkturdaten die neue Woche prägen. Los geht es damit am Montag mit Daten zur Stimmung im Dienstleistungssektor in China und den USA. Die Einkaufsmanagerindizes für den Dienstleistungssektor seien momentan sehr wichtig, da die globale Wirtschaft vor allem vom Dienstleistungsbereich unterstützt werde, hieß es von der Commerzbank. Im Blick stehen außerdem Daten zum Auftragseingang der Industrie in den USA (am Montag) und in Deutschland (am Dienstag) sowie die Industrieproduktion der Vereinigten Staaten (am Mittwoch).

Am Donnerstag ist Fronleichnam und hierzulande in einigen Bundesländern Feiertag. Gehandelt wird an der Börse trotzdem.

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Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Danke, dass Tichys Einblick inzwischen Finanznachrichten produziert.