„Eine Woche zum Vergessen“

Eine unerwartet hohe Inflationsrate sorgte am Dienstag an den US-Börsen für deutliche Kursverluste. Die Kursgewinne der vergangenen Tage waren damit auf einen Schlag ausradiert.

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Im August fiel die Inflationsrate zwar auf 8,3 Prozent – von 8,5 Prozent im Juli und neun Prozent im Juni. Beobachter hatten jedoch einen tieferen Wert erwartet, denn es war schon bekannt, dass die von der US Energy Information Administration wöchentlich erhobenen durchschnittlichen Benzinpreise im August um 12,8 Prozent nachgegeben hatten. Dieser Rückgang allein trug zu einer Verringerung der Preissteigerungsrate um 0,7 Prozentpunkte bei. Der publizierte Wert zeigte, dass die Teuerung auch außerhalb des Energiesektors rasant angezogen hat. Und deshalb kehrte der Zinspessimismus sofort zurück.

Höhere Zinsen treffen in erster Linie Technologieaktien, die zinssensitiv sind. Der technologielastige Nasdaq 100 sackte am deutlichsten um 5,6 Prozent ab; der marktbreite S&P 500 büßte 4,3 Prozent ein, und der Dow Jones Industrial fiel um 3,9 Prozent. Die Kursgewinne der vergangenen Tage waren damit auf einen Schlag ausradiert.

Die Kerninflation ist im August auf 6,3 Prozent angestiegen, verglichen mit 5,9 Prozent im Juli. Bei dieser Messgröße werden die schwankenden Lebensmittel- und Benzinpreise herausgerechnet, um die zugrunde liegenden Trends zu erkennen, und es werden Produkte wie Kleidung und Möbel sowie eine Reihe von Dienstleistungen erfasst.

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Die Erwartung der Börsianer ist nach diesem Anstieg, dass Fed-Chef Jerome Powell die Geldpolitik weiter straffen wird. Ende August hatte er am jährlichen Treffen der Notenbanker in Jackson Hole bereits erklärt, dass eine Ziel-Inflationsrate von zwei Prozent das allem anderen übergeordnete Anliegen der US-Notenbank sei. Dass die von Powell angekündigte mögliche weitere „ungewöhnlich große“ Anhebung des Leitzinses bereits bei der Sitzung des Offenmarktausschusses in der beginnenden Woche angesichts der sich verfestigenden Preissteigerungserwartungen beschlossen wird, ist durchaus wahrscheinlich. Es wird erwartet, dass die Notenbanker die Zinssätze um drei viertel Punkte anheben werden – zum dritten Mal in Folge, dann auf 3,25 Prozent. Im März hatte die Fed den Leitzins erstmals seit 2018 von 0,25 auf 0,5 Prozent erhöht.

Kein Wunder also, dass sich die Talfahrt an den US-Aktienmärkten auch am Freitag fortsetzte. Am Ende gab der Dow Jones Industrial um 0,5 Prozent auf 30.822 Punkte nach. Der breit aufgestellte S&P 500 sank um 0,7 Prozent auf 3.873 Zähler. Der von Technologiewerten geprägte Nasdaq 100 verlor 0,6 Prozent auf 11.861 Punkte. Alle drei New Yorker Kursbarometer hatten im Verlauf erneut Tiefststände seit Mitte Juli erreicht.

Für den Dow ergibt sich damit ein Wochenverlust von 4,1 Prozent. Vor einem Monat hatte er noch ein Zwischenhoch bei 34.281 Punkten erreicht, von dem er mittlerweile um gut zehn Prozent zurückgefallen ist. Das Wochenminus für den Nasdaq 100 beläuft sich auf 5,8 Prozent.

Der Logistiker Fedex brach nach einer Gewinnwarnung um 21,4 Prozent ein. Er zog auch den Konkurrenten UPS um 4,5 Prozent nach unten. Laut dem UBS-Analyst Thomas Wadewitz hat der Gewinn je Aktie den Konsens um ein Drittel verfehlt. Deutsche-Bank-Analyst Amit Mehrotra schrieb, er habe in den 20 Jahren, in denen sein Institut Unternehmen analysiert, im Vergleich zu den Erwartungen noch nie so schwache Ergebnisse gesehen.

Für die Papiere von Uber ging es zeitweise um fast sieben Prozent abwärts, zuletzt dann noch um 3,6 Prozent. Der Fahrdienstvermittler ist offenbar Opfer eines Hackerangriffs geworden. Nach einem Bericht der New York Times wurden durch den Cyberangriff viele interne Systeme in Mitleidenschaft gezogen.

Zwei am Vortag schon besonders auffällige Werte knüpften zu Wochenschluss an ihre Bewegungen an: Die am Donnerstag von einer Analysten-Hochstufung angetriebenen Netflix-Papiere fanden sich mit einem weiteren Anstieg um zwei Prozent unter den wenigen positiven Werten. Um 3,1 Prozent weiter bergab ging es dagegen für die Adobe-Aktie, die am Vortag schon wegen der als teuer erachteten Übernahme der Web-Design-Softwarefirma Figma eingebrochen war. Von Barclays und der Bank of America gab es Abstufungen.

Zins- und Rezessionssorgen hatten zuvor schon den deutschen Aktienmarkt zum großen Verfallstermin vor dem Wochenende belastet. Der Leitindex Dax verlor 1,7 Prozent auf 12.741 Punkte. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Minus von 2,7 Prozent. Der MDax der mittelgroßen Werte war am Freitag zwischenzeitlich auf ein Tief seit Mai 2020 gerutscht und büßte am Ende 2,1 Prozent auf 23.944 Punkte ein. „Eine Woche zum Vergessen“, resümierte Jürgen Molnar, Kapitalmarktstratege beim Handelshaus Robomarkets. Auch die Blicke der Anleger sind fest auf die Zinssitzung der Fed am Mittwoch gerichtet.

Der 16. September 2022
Deutschlands schwarzer Freitag
Auf Unternehmensseite stachen am Freitag im deutschen Leitindex die Papiere der Deutschen Post mit hohen Abschlägen hervor. Sie waren im frühen Handel auf ein Tief seit Mitte 2020 gesackt und verloren letztlich 6,6 Prozent. Für den Kursrutsch hatten die schwachen Zahlen und die oben schon erwähnte zurückgezogene Gewinnprognose des US-Konkurrenten Fedex gesorgt. Zur Begründung hatten die Amerikaner auf das eingetrübte wirtschaftliche Umfeld verwiesen. Die Nachrichten beunruhigen die Börsianer, denn auch die Deutsche Post ist wie Fedex stark im Frachtgeschäft engagiert. Unter den schwächsten Werten im Dax sammelten sich die Titel aus dem Medizintechnik- und Pharmasektor. Siemens Healthineers, Merck KGaA und Sartorius fielen zwischen 3,7 und 7,7 Prozent. Auch für die Chemiewerte, die als größter Gasverbraucher in Deutschland gelten, ging es bergab. Wacker Chemie etwa knickten um 5,3 Prozent ein, BASF verloren 2,1 Prozent.

An der MDax-Spitze kletterten die Anteilsscheine von TAG Immobilien um 4,8 Prozent nach oben. Die Aktien des Immobilienkonzerns seien zuletzt den Branchenkollegen hinterhergelaufen und böten eine attraktive Ergebnisrendite, schrieb Analyst Sander Bunck von der britischen Investmentbank Barclays.

Es waren große Worte, die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen in ihrer „Rede zur Lage der Union“ wählte: „Dies ist nicht nur ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, es ist auch ein Krieg gegen unsere Energie, unsere Wirtschaft, unsere Werte und unsere Zukunft.“ Kostete eine Megawattstunde Strom am europäischen Spotmarkt vor Jahresfrist noch 100 Euro, so waren es Ende August an zwei Tagen über 600; Mitte September liegt der Preis immer noch viermal so hoch wie vor zwölf Monaten.

Dass die Politik in einer solchen Krise etwas tun will, ist nachvollziehbar. Sie sollte aber das Richtige tun. Preisobergrenzen oder eine Besteuerung von „Übergewinnen“, wie hierzulande gerne gefordert, lösen die Probleme indes nicht. Insofern ist es erfreulich, dass die EU-Kommission nicht auf Vorschläge eingegangen ist, welche die Preise direkt am Strommarkt regulatorisch kappen oder Höchstpreise für den Einkauf von Erdgas verordnen wollten. Das Angebot hätte sich nur weiter verknappt.

Eingestiegen ist die Kommission allerdings auf den Vorschlag einer temporären „Kriegssteuer“, die zu einem neuen Brüsseler Bürokratiemonster zu werden droht. Helfen würde dagegen – schnell und unbürokratisch –, auf die Abschaltung von Kernkraftwerken zu verzichten. Die Preise werden erst wieder fallen, wenn sich abzeichnet, dass das Energieangebot steigt.

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Kommentare ( 3 )

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3 Comments
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Alexis de Tocqueville
2 Jahre her

Höhere Zinsen treffen in erster Linie Technologieaktien, die zinssensitiv sind

Warum eigentlich?
Wer Milliarden auf der hohen Kante hat, der verliert heutzutage anscheinend bei höheren Zinsen. Wer hochverschuldet ist, der gewinnt.
Verkehrte Welt? Oder ist das einfach nur die neue Habeck-Welt, wo Fernseher Strom erzeugen und Firmen aufhören zu arbeiten, ohne insolvent zu werden?
Wann kommt dann endlich die Rallye bei Wirecard?

Wolfbert
2 Jahre her

Es ist kein Krieg Russlands gegen „unsere“ Energie, „unsere Werte“ oder sonst ein Geleyer. Es ist der Krieg der Globalsozialisten gegen die Bevölkerung – mit vielen Verlierern auf der einen Seite und ganz wenigen fetten Gewinnern. Die Zugewinne der elitären Seite werden sich nicht nur auf Vermögenswerte beschränken – das ist der Griff nach unkontrollierter Macht, die nicht mehr vom Pöbel kontrolliert und eingehegt werden kann.

Kuno.2
2 Jahre her

Die Inflationsrate ist gesunken? Schon Churchill hatte erklärt, er glaube nur der Statistik die er selbst gefälscht habe.
Die reale Inflationsrate dürfte aktuell bei etwa 15 % liegen, meine Nachbarn und Freunde behaupten sogar etwas von 25 %.