Bröckelnde Kurse, Rückkehr des Value-Investing, Blick auf EZB-Zinsentscheid

Das Wiederaufflammen des Nahostkonflikts hat die Kapitalmärkte bislang nicht abstürzen lassen. Doch die Nervosität ist hoch, die Börsen stehen unter Druck und geben jeden Tag ein bisschen nach.

© Getty Images

An den meisten Märkten sind die in diesem Jahr aufgelaufenen Gewinne wieder verloren gegangen. Die hartleibige Inflation und das aufgrund des Gegensteuerns der Zentralbanken stark gestiegene Zinsniveau sind dafür die Hauptgründe. Renditen auf zehnjährigen US-Staatsobligationen – das wichtigste Zinsbarometer der Welt – notieren mit fast fünf Prozent auf dem höchsten Stand seit 15 Jahren.

Das gestiegene Zinsniveau hat die Ausgangslage für das Investieren fundamental geändert. Standen Wachstumstitel über fast ein Jahrzehnt im Mittelpunkt des Anlegerinteresses, erhält nun das sogenannte „Value Investing“ neuen Schub. Value-Investoren setzen auf Aktien von Firmen, die – wie sie glauben – vom Markt nicht fair bewertet sind. In den Jahren des billigen Kapitals war Investieren einfach, fast alles wurde nach oben geschwemmt: Aktien, Anleihen, Immobilien, Oldtimer, Uhren, Kryptowährungen.

Am Aktienmarkt schnitten bis 2021 die Papiere schnell wachsender Unternehmen besser ab als der Markt. Sie sorgten auch dafür, dass die amerikanische Tech-Firmen wie Apple, Alphabet, Microsoft oder Nvidia zu Indexschwergewichten wurden. Diese Traumwelt ist jetzt weg. In einem Umfeld, wo Kapital wieder kostet und langweilige Bonds rentieren, könnte die Zeit der Hype-Titel vorbei sein. Jetzt seien Aktien von Unternehmen gefragt, die in der Gegenwart hohe freie Geldflüsse liefern könnten, sagt Peter Frech, Fondsmanager bei Quantex, einem Vermögensverwalter, der sich der Value-Philosophie verschrieben hat, in der Neuen Zürcher Zeitung.

Als unbestrittener Meister dieses Anlagestils gilt noch immer die amerikanische Investorenlegende Warren Buffett. Der mittlerweile 93-Jährige hat mit seiner börsennotierten Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway seit 1965 eine Jahresrendite von fast 20 Prozent erzielt. Auch er setzt auf unterbewertete Aktien, deren Unternehmen über ein geschütztes Geschäftsmodell verfügen. Und er hält die Titel sehr lange: Seine älteste Position, Coca-Cola, ist seit 34 Jahren im Portfolio, die grösste, Apple, seit 7. Dies zeigt, Value Investoren gehen davon aus, dass sich der zu niedrige Aktienpreis dem wahren Marktpreis nähern wird und sich die Bewertungslücke irgendwann schließt. Bis der Markt „begreift“ kann es aber dauern. Deshalb brauchen Value Investoren Geduld.

In der Regel haben Anleger diese Geduld allerdings nicht: Untersuchungen haben gezeigt, dass ein durchschnittlicher amerikanischer Anleger weniger als sechs Monate an einer Position festhält. Dabei lohnt sich die langfristige Perspektive. Zwar haben Wachstumsaktien seit der Finanzkrise klar besser abgeschnitten als Value-Titel. Doch geht man bis zur Ölkrise 1973 zurück, dann ist man mit einer Value-Strategie besser gefahren.

Doch bieten Value-Aktien auch Schutz, wenn die Börsen wie derzeit äußerst labil und deshalb volatil sind? Nur immer auf die billigsten Aktien zu setzen, reicht sicher nicht. Zu den günstigsten Aktien gehören derzeit zum Beispiel europäische Autobauer. Doch diese sind nur vordergründig günstig. Sie müssen viel wegen der vom Gesetzgeber erzwungenen Umstellung auf E-Mobilität investieren.

Allmählich werden die Kurse für Value-Investoren wieder interessant. Auch am Freitag weiteten die US-Börsen ihre jüngsten Verluste aus. Die Anleger befürchten derzeit, dass der Krieg zwischen Israel und der Hamas zu einem größeren Konflikt im Nahen Osten eskalieren könnte. Gold ist hingegen zunehmend als sicherer Hafen gefragt.

Der Leitindex Dow Jones Industrial fiel um 0,9 Prozent auf 33.127 Punkte. Auf Wochensicht ergibt sich damit ein Minus von 1,6 Prozent. Der marktbreite S&P 500 verlor am Freitag 1,3 Prozent auf 4.224 Punkte. Der überwiegend mit Technologiewerten bestückte Index Nasdaq 100 büßte 1,5 Prozent auf 14.561 Zähler ein.

Die Spannungen in Nahost treiben dagegen den Ölpreis immer weiter in die Höhe. US-Öl der Sorte WTI hatte am Freitag erstmals seit Ende September wieder über der Marke von 90 Dollar notiert, bevor der Schwung zuletzt etwas nachließ. Von Seiten der Geldpolitik hatte bereits am Vorabend eine mit Spannung erwartete Rede von US-Notenbank-Chef Jerome Powell nicht für Entspannung gesorgt. Der Währungshüter hatte bei seinem Auftritt vor dem Wirtschaftsclub in New York erneut die Tür für weitere Zinserhöhungen im Kampf gegen die hohe Inflation offen gehalten. Höhere Zinsen lassen neu ausgegebene Anleihen im Vergleich zu Aktien attraktiver erscheinen.

Auf Unternehmensseite stachen Solaredge heraus – nach einer Umsatz- und Gewinnwarnung für das dritte Quartal verloren die Aktien des Solarkonzerns 27,3 Prozent und hielten damit im S&P 500 die rote Laterne. Dies strahlte negativ auf die gesamte Branche aus. So knickten die Papiere des Herstellers von Solarenergieanlagen Emphase Energy als klares Schlusslicht im Nasdaq 100 um 14,7 Prozent ein.

Am Dow-Ende büßten die Papiere von American Express 5,4 Prozent ein. Die hohe Nachfrage nach Kreditkarten mit Premiumleistungen hatte dem Unternehmen zwar im dritten Quartal einen Rekordumsatz beschert. Das Volumen der Transaktionen wuchs allerdings weniger stark als von Analysten erhofft. Sowohl kleine Unternehmen als auch Konzerne hatten sich bei Ausgaben mit den Karten von American Express zurückgehalten.

Die Aktien von Hewlett Packard Enterprise litten mit einem Minus von 6,6 Prozent unter einem enttäuschenden Gewinnausblick. Analysten zufolge belasteten Investitionen in Künstliche Intelligenz und andere Projekte das Betriebsergebnis sowie den freien Barmittelfluss des Informationstechnikunternehmens.

Geschäftszahlen inklusive neuer Ziele gab es von Autoliv. Der Hersteller von Sicherheitstechnik für Fahrzeuge peile jetzt zwar ein höheres Betriebsergebnis an, habe aber lediglich ein Quartal im Rahmen der Erwartungen abgeliefert, schrieben die Analysten von Evercore. Die Anteilscheine von Autoliv schnellten gleichwohl um sieben Prozent in die Höhe.

Der Euro wurde im späten New Yorker Geschäft mit 1,0593 US-Dollar gehandelt. Die Rendite zehnjähriger Anleihen fiel im Gegenzug auf 4,91 Prozent.

Zuvor war in Frankfurt schon der Dax sehr deutlich unter die Marke von 15.000 Punkten abgerutscht. Am Nachmittag büßte der deutsche Leitindex 1,3 Prozent auf 14.846 Punkte ein und markierte den tiefsten Stand seit knapp sieben Monaten. Auf Wochensicht steuert er auf einen Verlust von 2,2 Prozent zu. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen verlor am Freitag 1,5 Prozent auf 24.077 Punkte. Für den Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 ging es um 1,1 Prozent bergab. Schon am Vortag war der Dax im Handelsverlauf erstmals seit Anfang Oktober unter 15.000 Punkte gesunken, hatte sich aber wieder etwas berappelt.

Am deutschen Aktienmarkt blieb vor dem Wochenende die laufende Berichtssaison im Fokus. Dem Maschinenbauer Dürr brockte eine Senkung der Ziele für 2024 einen Kurseinbruch von zuletzt noch knapp 16 Prozent ein. Damit waren die Aktien MDax-Schlusslicht und zudem so schwach wie seit Mai 2020 nicht mehr. Die Senkung des Ausblicks an sich sei keine Überraschung, wohl aber dessen Ausmaß, kommentierte ein Börsianer. UBS-Experte Sven Weier befürchtet, dass die Konsensschätzung für das operative Ergebnis im kommenden Jahr um etwa 20 Prozent fallen wird.

Aktien von SMA Solar büßten 12,5 Prozent ein. Zeitweise waren sie so schwach, wie zuletzt vor knapp einem Jahr. Sie wurden von negativen Nachrichten des Branchenkollegen Solaredge in Mitleidenschaft gezogen. Dieser hatte schwache Umsatzzahlen für das vergangene Quartal berichtet und pessimistische Signale für das Schlussquartal gesendet.

Derweil verloren Metro-Aktien trotz des Umsatzrückgangs im vergangenen Quartal nur marktkonforme 0,9 Prozent. Für das gesamte abgelaufene Geschäftsjahr rechnet der Großhändler nun zudem mit einem um Sonderposten bereinigten operativen Gewinn in der unteren Hälfte der bisherigen Zielspanne. Mit einem Kursrückgang um fast ein Drittel seit Jahresbeginn zählen die Aktien schon zu den größten Verlierern im Nebenwerte-Index SDax.

Beim Pharma- und Laborausrüster Sartorius geht die Talfahrt derweil auch ohne neue schlechte Nachrichten weiter: Mit einem Kursrückgang um 5,2 Prozent war die Aktie einmal mehr größter Verlierer im Dax, sie markierte ein Tief seit April 2020. Auch mit Blick auf den Jahresverlust von gut einem Drittel reihen sich die Aktien weit hinten ein.

Derweil trotzten die Anteilsscheine von Beiersdorf mit plus 0,4 Prozent negativ aufgenommenen Umsatzzahlen des Kosmetikkonzerns L’Oréal . Ein Händler sah das gute Konsumgütergeschäft der Franzosen, welches die Schwäche im Luxusgüterbereich kompensiert habe, als Kursstütze

Auch Rheinmetall -Titel waren nach dem jüngsten Rücksetzer mit einem Anstieg auf 260 Euro wieder gefragt. Seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel hatten die Aktien des Rüstungskonzerns und Autozulieferers in der Spitze bis auf 275,40 Euro zugelegt. Mit dem schwachen Markt waren sie zuletzt aber in eine charttechnische Unterstützungszone etwas oberhalb von 250 Euro zurückgefallen.

Am deutschen Anleihemarkt fiel die Umlaufrendite von 2,94 Prozent am Vortag auf 2,91 Prozent.

Angesichts der schwierigen Lage im Nahen Osten mit dem Krieg zwischen der Hamas und Israel dürften die Anleger auch in der neuen Woche vorsichtig agieren. „Solange der Krieg im Nahen Osten tobt und die Gefahr des Eingriffes weiterer Staaten nicht ausgeschlossen werden kann, werden sich Investoren mit Aktien nicht die Finger verbrennen wollen“, schrieb der Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets.

Da nutzt es derzeit auch wenig, dass beim Blick in den Kalender die gegenwärtige Jahreszeit eher für Aktien-Engagements spricht. Unter saisonalen Aspekten sei die Zeitspanne Oktober bis Dezember die beste Zeit des Jahres – der Oktober selbst sei bisweilen aber noch schwierig gewesen, schreibt die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Akzente dürfte in der neuen Woche die Berichtssaison setzen, die in den USA und in Europa Fahrt aufnimmt. Aus dem Dax berichten am Mittwoch die Deutsche Bank, der Konsumgüterhersteller Beiersdorf, der Aromenproduzent Symrise und die Porsche AG über das dritte Quartal. Am Donnerstag sind Mercedes-Benz und Volkswagen an der Reihe und am Freitag der Kunststoffkonzern Covestro und der Triebwerksbauer MTU.

In den USA richtet sich mit den Quartalszahlen von Microsoft und der Google-Mutter Alphabet am Dienstag, dem Facebook-Konzern Meta zur Wochenmitte sowie Amazon und Intel am Donnerstag die Aufmerksamkeit vor allem auf den Technologiesektor. Er hat in diesem Jahr bislang gegenüber den Standardwerten deutlich die Nase vorn, kann sich seit Mitte des Monats der Gesamtmarktschwäche aber auch nicht entziehen.

Wichtigster Konjunkturtermin ist am Donnerstag die Leitzinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB). Nach der im September erfolgten zehnten Anhebung nacheinander, womit der Leitzins aktuell bei 4,5 Prozent liegt, rechnen Marktteilnehmer nun überwiegend mit einer Zinspause. „Die EZB dürfte auf Basis des jüngsten Inflationsrückgangs in der Eurozone keine weitere Leitzinsanhebung mehr beschließen“, sagt etwa Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck. Er erwartet, dass die Notenbank angesichts der zunehmenden Unsicherheit – gerade in Sachen Energiepreise infolge des Nahostkonflikts – die Bedeutung der eingehenden Wirtschaftsdaten betonen wird, die zunehmend für eine Rezession sprächen.

Besser sieht es für die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten aus. Sie dürfte im dritten Quartal kräftig gewachsen sein, prognostiziert Christoph Weil von der Commerzbank. Bekannt gegeben wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) am Donnerstag. „In den USA gibt es im Gegensatz zum Euroraum bisher keine Hinweise auf einen Abschwung“, so der Commerzbank-Volkswirt. Er erwartet allerdings weiterhin, dass die massiven Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed an der Wirtschaft nicht spurlos vorbeigehen und sie im nächsten Jahr stärker dämpfen werden.

Konjunkturseitig ebenfalls auf Interesse dürfte das Verbrauchervertrauen in der Eurozone stoßen, das am Montag veröffentlicht wird. Stimmungsdaten aus dem Dienstleistungssektor und der Industrie sowohl in Europa als auch in den USA stehen am Dienstag auf der Agenda. In Deutschland folgt am Mittwoch mit dem Ifo-Index das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer.

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Kommentare ( 3 )

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curryculum
1 Jahr her

Ich habe heute auch erstmal wieder nachgekauft, EK-Rendite 16,7%, Div-Rendite 8,8%, gestreut über Telekom/Tabak/Hypo/Minen/Chemie. Das ist mehr als bei jeder Anleihe, noch dazu ist man Miteigentümer.

Oneiroi
1 Jahr her

Nasdaq YTD: +25%, SP500 +10%, selbst der DAX liegt bei +5%. Gemessen an der Zinspolitik und der desaströsen Geopolitischen Lage ist da noch viel Abwärtspotential.

Timur Andre
1 Jahr her
Antworten an  Oneiroi

Das kommt noch, USA haben ja eine Billion ins System gekippt. Grundlagen, weniger Gewinn, steigende Ausfallraten kommen durch, dann kippen die Kurse.
Diesmal ist es anders – Nein, es ist nie anders, wer es zeitlich abstimmen kann, super, ich kann es nicht.
Steigende Kurse bei echten 7-10% Inflation.
No where to hide. Die nächsten Jahre werden die Jahre der Konsolidation, maximal absichern. Selbst Rohstoffwerte sind leider da raus, aber aufgrund der rechtlichen Voraussetzungen des DTC(C).
You will own nothing.