So schnell kann sich der Wind an den Börsen drehen. Noch nicht einmal zwei Wochen ist es her, dass die scharfe Korrektur an den internationalen Aktienmärkten Topthema in den Nachrichten war. Doch in den längerfristigen Charts ist der Absturz nur noch als kleine Kerbe erkennbar. Doch ist damit wirklich schon wieder eitel Sonnenschein angesagt? Nicht ganz.
Längst hat der deutsche Leitindex Dax die Schwächephase zu Monatsbeginn überwunden und ist auf bestem Weg zu einem neuen Hoch. „Die zuletzt veröffentlichten Daten schoben die Sorgenwolken rund um die US-Konjunktur beiseite“, schreibt beispielsweise die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in einem Kommentar. Fast schon euphorisch wurden zuletzt jegliche Signale aufgenommen, dass die US-Wirtschaft nicht in die Rezession abdriftet und die Inflation nachlässt. Zunächst hätten Preisdaten gezeigt, dass der Trend bezüglich des Rückgangs der Inflationsrate intakt sei, heißt es dazu von LBBW. Dann hätten die US-Konsumenten einmal mehr bewiesen, dass auf sie Verlass sei.
Doch ist damit wirklich schon wieder eitel Sonnenschein angesagt? Nicht ganz. Denn wie eine Schwalbe noch keinen Frühling macht, läuten ein paar Konjunkturdaten noch keine Hausse ein. Die Experten der LBBW betonen, dass lediglich die Ausgangslage vor dem Kurseinbruch wieder hergestellt sei – und damit eine ganze Reihe ungelöster Fragen weiterhin bestehe. „Die hohen Bewertungen in den USA mahnen zur Vorsicht, der US-Wahlkampf bringt Unsicherheit, geopolitische Risiken sind besonders hoch, und die Konjunktur im Euroraum, vor allem in Deutschland lahmt“, so die Experten. Hinzu komme die für den Aktienmarkt traditionell ungünstige saisonale Phase.
Der US-Aktienmarkt knüpfte jedenfalls am Freitag an seine jüngsten Gewinne an und legte weiter zu. Der Leitindex Dow Jones Industrial schaffte damit den größten Wochengewinn des Jahres. Insbesondere das von der Universität Michigan erhobenen Konsumklima für August überraschte positiv. Der Dow stieg am Freitag um gut 0,2 Prozent auf 40.660 Punkte. Auf Wochensicht ergibt sich ein Plus von knapp drei Prozent.
Der marktbreite S&P 500 gewann am Freitag ebenfalls 0,2 Prozent und schloss auf 5.554 Zählern. Der technologielastige Nasdaq 100 veränderte sich kaum und legte minimal auf 19.509 Punkte zu.
„Die jüngsten Daten, von der Inflation über Arbeitslosenanträge bis hin zu Einzelhandelsumsätzen, haben die Anleger beruhigt und die Hoffnung unterstützt, dass die weltweit größte Wirtschaft auf ein ‚Goldlöckchen‘-Szenario zusteuert“, sagte ein Marktbeobachter. Dies hieße, dass die Inflation im Griff bleibt und Zinssenkungen ermöglicht, während das Wachstum robust bleibt.
Unter den Einzelwerten blieben die Aktien von Cisco gefragt und stiegen unter den besten Werten im Dow um fast zwei Prozent. Am Donnerstag hatten die Anleger höchst erfreut auf den positiven Ausblick des Netzwerk-Ausrüsters reagiert.
Die Papiere von Applied Materials büßten nach der Vorlage von Geschäftszahlen knapp zwei Prozent ein. Wie es am Markt hieß, waren diese und der Ausblick auf das laufende Geschäftsquartal im Vergleich zu den Analystenerwartungen zwar in Ordnung. Ein Kursanstieg um fünf Prozent am Vortag lasse aber darauf schließen, dass sich einige Anleger etwas mehr von dem Halbleiterindustrie-Ausrüster erhofft hätten.
Die Anteilscheine von Biontech und dem Partner Pfizer verloren 2,4 beziehungsweise 1,4 Prozent. Der Impfstoffhersteller Biontech konnte mit einem Kombinationspräparat gegen Grippe und Corona in einer dritten Studienphase nur eines von zwei Primärzielen erreichen. Es zeigte gegen den Influenza-B-Stamm im Vergleich zu einem bereits zugelassenen Impfstoff keine gleichwertige Immunantwort.
Die Aktien von Sphere Entertainment schnellten um 6,4 Prozent nach oben und profitierten damit von einem positiven Analystenkommentar. Das Chancen/Risiko-Profil der Anteilscheine sei mittlerweile wieder attraktiv, schrieben die Analysten der Bank JPMorgan.
Für die Anteilsscheine von B. Riley ging es um gut 16 Prozent auf 5,85 US-Dollar in die Höhe. Der Mitbegründer und größte Anteilseigner, Bryant Riley, hatte angeboten, die ausstehenden Aktien der in Turbulenzen geratenen Investmentbank zu kaufen. Riley bietet sieben Dollar je Aktie. Der Schritt kommt nur wenige Tage, nachdem das Unternehmen seine Dividende ausgesetzt, den bisher größten Quartalsverlust bekannt gegeben und zudem bestätigt hatte, dass die US-Finanzaufsicht das Unternehmen untersucht.
Der Euro stieg auf 1,1023 US-Dollar. US-Staatsanleihen legten zu. Die Rendite der Zehnjährigen sank auf 3,89 Prozent.
Zuvor war wie erwähnt bereits die Erholungsrally beim Dax weiter gegangen. Mit einem Anstieg um knapp 0,8 Prozent auf 18.322 Punkte verbuchte der deutsche Leitindex den neunten Gewinntag in Serie. Zudem erreichte er mit plus 3,4 Prozent den größten Wochengewinn seit Mai.
Der MDax mit den mittelgroßen deutschen Unternehmen tat sich am Freitag dagegen schwer. Am Ende stand er 0,1 Prozent höher bei 24.812 Zählern.
Die Verluste, die der Dax zu Monatsbeginn erlitten hatte, sind nun fast wieder aufgeholt. Vor knapp zwei Wochen hatten Rezessionssorgen, der Nahost-Konflikt und geplatzte Spekulationen am Devisenmarkt die Börsen weltweit erschüttert. Für den Dax war es auf fast 17.000 Punkte und damit auf den tiefsten Stand seit Mitte Februar abwärts gegangen. Mittlerweile hat er wieder um 1.300 Punkte zugelegt. „Aktien konnten die Scharte auswetzen, die führenden Indizes tendieren allmählich wieder in Richtung Allzeithochs“, hieß es am Freitag vom Helaba-Experten Christian Apelt. „War was?“, fragte sich der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater.
Im Dax waren die Aktien von Bayer am Freitag mit Kursgewinnen von mehr als zehn Prozent besonders auffällig. Der Pharma- und Agrarchemiekonzern erzielte in seinen Bemühungen um ein Ende der Glyphosat-Rechtsstreitigkeiten in den USA einen Etappensieg. Ein Berufungsgericht in Philadelphia kam zu dem Schluss, dass Bundesrecht zu Warnhinweisen beim Verkauf von Unkrautvernichtern über dem Recht des Bundesstaates Pennsylvania steht. Für Anleger war dies aber nur etwas Balsam auf den Wunden, denn seit 2015 sucht der Aktienkurs seinen Boden.
KWS Saat verzeichnete ein starkes viertes Quartal und übertraf so im vergangenen Geschäftsjahr die eigenen Erwartungen. Gewinnmitnahmen beeinträchtigten zeitweise den Kurs, doch letztlich stand bei dem SDax-Wert ein Plus von 1,2 Prozent auf der Kurstafel. Die Titel des Indexkollegen Borussia Dortmund gewannen nach der Vorlage des Geschäftsberichts 2,7 Prozent.
Unter Druck gerieten einige Werte nach Abstufungen durch Analysten, etwa Thyssenkrupp Nucera mit einem Minus von 7,4 Prozent. Die Berenberg Bank hatte die Kaufempfehlung für die Aktien des Elektrolyse-Spezialisten gestrichen. Warburg Research wurde zudem für den Online-Portalbetreiber Scout24 pessimistischer, hier verloren die Aktien als MDax-Schlusslicht 4,2 Prozent.
Am Rentenmarkt stieg die Umlaufrendite von 2,20 Prozent am Vortag auf 2,25 Prozent.
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, rät nach der fast euphorischen Woche zur Vorsicht: „Trotz der zuletzt günstigen Signale bewegt sich die Kerninflation in den USA, die besonders die Preisdynamik bei Dienstleistungen abbildet, hartnäckig über der Drei-Prozent-Schwelle“. Daher gelte der Blick in der kommenden Woche besonders den anstehenden Konjunkturdaten und dem Treffen von Zentralbankern in Jackson Hole. Notenbanker und Ökonomen aus aller Welt kommen dort zusammen, um ihre Einschätzungen zur weiteren geldpolitischen Entwicklung zu präsentieren.
Auch die Einkaufsmanager-Indizes für den Euroraum am Donnerstag könnten Akzente setzen. Angesichts der jüngsten Frühindikatoren sollte die Erwartungen an die Daten nicht zu hoch angesetzt werden, warnt Kater: „Die Industrie fällt als Wachstumsmotor weiterhin aus und der gut laufende Dienstleistungssektor reicht für eine hohe Konjunkturdynamik alleine nicht aus.“
Der Dax könnte daher mit seiner jüngsten Erholung das Potenzial weitgehend ausgeschöpft haben. Dies gilt um so mehr, als der Index die entscheidende Hürde noch nicht übersprungen hat. „Eine besondere Bedeutung kann im Dax nun dem Widerstand bei 18.600 Punkten beigemessen werden“, heißt es vom Handelshaus CMC Markets. „Dort begann der ganze Spuk, der den Index in der Spitze um über 1.500 Punkte einbrechen ließ.“ Immerhin: Sollte es gelingen, diese Marke zu überwinden, würde sich die technische Lage merklich aufhellen. Angesichts der bestehenden Risiken sollten Anleger aber auch das gegenteilige Szenario im Kopf behalten. „Übertriebener Optimismus könnte wieder in eine Korrekturwelle führen, wie sie gerade über die Aktienmärkte geschwappt ist“, so Kater.
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