Die Hoffnungen, die sich mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz verbinden, waren der Treibsatz, der die Börsen in den vergangenen Wochen von Rekord zu Rekord trieb. Nun hat das EU-Parlament mit breiter Mehrheit das weltweit erste Gesetz zu ihrer Regulierung beschlossen.
Vorgesehen ist etwa eine Kennzeichnungspflicht der mit künstlicher Intelligenz (KI) erzeugten Texte, Töne und Bilder, um Menschen nicht in die Irre zu führen. In der Tat können KI-generierte „Deepfakes“ gewaltigen Schaden anrichten. Mit Deepfakes kann man Menschen Dinge sagen oder tun lassen, die sie nie gesagt oder getan haben. Man kann höchst realistische Bilder von Geschehnissen zeigen, die tatsächlich gar nicht geschehen sind. Hochrealistische Deepfakes können die Reputation von Menschen zerstören, wie im Fall von Deepfake-Pornografie. Man kann damit betrügen, manipulieren oder Falschinformationen verbreiten.
Die Definition ist allerdings nicht so klar, wie es scheint. In gewisser Weise ist jedes KI-generierte Bild ein „Fake“, wenn es etwas zu sein vorgibt, was es nicht ist – wie zum Beispiel das Midjourney-Bild einer Person, die in Wahrheit gar nicht existiert. Als Deepfakes im engeren Sinn könnte man KI-generierte Inhalte definieren, wie Bild, Audio oder Video, die uns über die Realität täuschen sollen.
Das tieferliegende Problem solcher Deepfakes besteht darin, dass sie das Vertrauen in die Authentizität von Informationen überhaupt untergraben. Für sogenannte „risikoreiche“ Anwendungen sollen verschärfte Vorschriften gelten, etwa für die Gesichtserkennung an Bahnhöfen oder anderen öffentlichen Orten. Nötig ist künftig eine richterliche Anordnung. Grundsätzlich verboten wird eine Massenüberwachung mit biometrischen Daten wie in China.
Sogenannte Allzweck-KIs wie der Chatbot ChatGPT werden nicht als Hochrisikoanwendung eingestuft. Durch ChatGPT hatte KI vor gut einem Jahr schlagartig große Aufmerksamkeit bekommen. Die Anwendung kann mit Nutzerinnen und Nutzern über Textnachrichten kommunizieren und in Sekundenschnelle ausführliche Antworten auf Fragen geben. Inzwischen kann sie auch Bilder erstellen, die täuschend echt aussehen.
Hier kommt dann der Börsen-Case wieder ins Spiel: „ChatGPT erreichte 100 Millionen Nutzer innerhalb von zwei Monaten, nachdem der Dienst verfügbar wurde. Man braucht kein neues Gerät, muss nichts Neues lernen. Man kann mit menschlicher Sprache kommunizieren und bekommt etwas Wertvolles zurück“, beschreibt Richard Curtis, Anlagechef von Franklin Equity mit dem Finanzportal „Cash“ die Phantasien der Investoren. Das Geschäft vieler KI-relevanten Unternehmen sei vermutlich heute sogar noch unterbewertet. Welche Titel er favorisiere? „Generell denken wir in zwei Kategorien, wenn es um Investments in KI geht. Einerseits Unternehmen, welche die digitale Infrastruktur für die KI-Applikationen bauen, andererseits die Entwickler der KI-Applikationen.“ Die Top-Titel im letzten Jahr waren sicherlich Nvidia und Microsoft.
Die New Yorker Börsen mussten am Freitag gleichwohl Verluste verzeichnen. Damit knüpften sie an ihre jüngste Schwäche an – und neue Rekordhochs rückten noch etwas weiter in die Ferne. Zum Handelsende notierte der Leitindex Dow Jones Industrial 0,5 Prozent tiefer bei 38.715 Punkten. Auf Wochensicht ergab das ein kleines Minus. Der marktbreite S&P 500 schloss am Freitag 0,7 Prozent im Minus mit 5117 Punkten. Beim technologielastigen Auswahlindex Nasdaq 100 stand letztlich ein Kursrückgang um 1,2 Prozent auf 17.808 Punkte zu Buche. Das Wochenminus war ähnlich hoch.
Die veröffentlichten Konjunkturdaten waren insgesamt schwach ausgefallen. Der Empire-State-Index, der die Industriestimmung im US-Bundesstaat New York misst, sank im März deutlich stärker als erwartet. Auch trübte sich das von der Universität Michigan ermittelte Verbrauchervertrauen entgegen den Erwartungen ein. Derweil stiegen die amerikanischen Einfuhrpreise im Februar im Monatsvergleich weiter – allerdings im erwarteten Rahmen. Dem unerwarteten Anstieg der Industrieproduktion im Februar stand ein deutlicherer als zunächst ermittelter Rückgang im vorangegangenen Monat gegenüber.
Doch gleichzeitig schoben die jüngsten Preisdaten Hoffnungen auf eine baldige Zinssenkung der US-Notenbank Fed einen Riegel vor. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde auf eine geldpolitische Lockerung schon vor deren Juni-Sitzung spekuliert. Doch inzwischen ziehen immer mehr Anleger selbst diese als Startzeitpunkt in Zweifel. Entsprechend gespannt wartet der Markt auf Signale der Fed auf ihrer Sitzung am Mittwoch.
Kräftig unter Druck gerieten die Anteilsscheine von Nasdaq-Schlusslicht Adobe mit einem Abschlag von 13,7 Prozent. Der Softwarekonzern enttäuschte mit seinem Ausblick auf das laufende Quartal. Anleger haben Adobe besonders im Blick, seit die Fortschritte bei künstlicher Intelligenz mehr Start-ups hervorbrachten, die Bildinhalte generieren können. Analyst Kash Rangan von der US-Investmentbank Goldman Sachs erklärte die Kursverluste mit Skepsis an den Zielen für das Geschäftsjahr 2024, die unter seinen optimistischeren Prognosen liegen.
Halbleiterwerte gerieten ähnlich wie zuvor schon in Europa unter Druck. Die chinesische Regierung drängt heimische Elektroautobauer wie BYD und Geely dazu, deutlich mehr Elektronikchips von chinesischen Anbietern zu kaufen, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg erfuhr. Damit solle Chinas Halbleiterindustrie gestärkt und die Abhängigkeit von westlichen Lieferungen verringert werden. NXP Seminconductors und Broadcom gehören mit Kursabschlägen von jeweils mehr als zwei Prozent hinter Adobe zu den größten Verlierern.
Dagegen konnten Boeing-Aktionäre erst einmal durchatmen. Nach den jüngsten Negativ-Schlagzeilen und Kursverlusten stabilisierten sich die Titel etwas. Mit einem Plus von 0,8 Prozent gehörten sie zu den besseren Werten im Dow und trotzten der Nachricht, dass die US-Ratingagentur Fitch den Bonitätsausblick für den Flugzeughersteller von „Positiv“ auf „Stabil“ senkte.
Der Euro zeigte sich mit 1,0887 US-Dollar wenig bewegt. Die Kurse der US-Staatsanleihen waren ebenfalls kaum verändert. Die Rendite zehnjähriger Staatspapiere lag bei 4,31 Prozent.
Zuvor hatte sich der Dax am großen Verfallstermin an den Terminbörsen weiter in Sichtweite der Marke von 18.000 Punkten gehalten. Dabei war der deutsche Leitindex zeitweise dicht an sein tags zuvor erreichtes Rekordhoch herangerückt. Angesichts der etwas schwächelnden US-Börsen schloss der Dax dann aber 0,03 Prozent im Minus bei 17.937 Punkten. Der MDax, der Index der mittelgroßen Werte, fiel um 0,8 Prozent auf 26.064 Punkte. Am Vortag hatten nach dem Rekord im Dax bei gut 18.039 Punkten unerwartet deutlich gestiegene US-Erzeugerpreise die Inflationssorgen wieder angefacht und die Zinssenkungshoffnungen weiter gedämpft. Laut Analyst Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets rechne inzwischen nur noch eine knappe Mehrheit am Markt mit einer ersten Zinssenkung in den USA im Juni. Die Spannung vor dem Leitzinsentscheid der US-Notenbank Fed kommende Woche steige deshalb, denn gehofft werde auf Signale für eine mögliche Lockerung.
Unter anderem die Hoffnungen auf Zinssenkungen hatten auch die Rally im Dax in den vergangenen Monaten am Leben gehalten. Seit dem Jahreswechsel hat das Börsenbarometer 7,1 Prozent hinzugewonnen, und auf Wochensicht ergibt sich für den deutschen Leitindex ein Plus von 0,7 Prozent.
Das hohe Zinsniveau hat indes die Lage am Immobilienmarkt merklich angespannt, weil viele Gesellschaften stark kreditfinanziert sind. Der komplette Sektor stand vor dem Wochenende im Sog von Vonovia unter Druck, da Deutschlands größter Vermieter mit einer neuen Dividendenpolitik und veränderten Schlüsselkennziffern die Anleger verschreckt hatte. Beobachter sprachen von sehr komplexen Neuerungen, die Papiere rutschten am Dax-Ende um 10,6 Prozent ab.
Nachfragesorgen überschatteten derweil die Kurse der Chipwerte: Infineon-Papiere verloren als einer der schwächsten Dax-Werte sechs Prozent. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge versucht die chinesische Regierung heimische Elektroautobauer zum verstärkten Kauf heimischer Elektronikchips zu bewegen, um Chinas Halbleiterindustrie zu stärken und die Abhängigkeit vom Westen zu verringern.
Hellofresh zogen nach endgültigen Zahlen auf dem ersten Platz im MDax um fast elf Prozent an. Einige Anleger dürften erleichtert gewesen sein, dass der Kochboxenversender nicht mit weiteren dramatischen Nachrichten aufgewartet hatte. In der vergangenen Woche war der Kurs unter anderem wegen kassierter Mittelfristziele auf einem Rekordtief angekommen. In den hinteren Börsenreihen rauschte wegen einer gestrichenen Dividende der Kurs des Agrarhändlers Baywa um knapp zehn Prozent ab. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 gab um 0,14 Prozent auf 4986,02 Punkte nach. Der CAC 40 in Paris rettete ein Mini-Plus ins Ziel, während der FTSE 100 in London leicht im Minus schloss. In New York fiel der Dow Jones Industrial zum europäischen Börsenschluss um 0,6 Prozent.
Am Rentenmarkt stieg die Umlaufrendite von 2,42 Prozent am Vortag auf 2,49 Prozent.
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