Börsenwoche: EZB lässt Zinsen unverändert, widersprüchliche Signale, Berichtssaison, Anleger werden vorsichtiger

Wer geglaubt hatte, dass mit der Zinssenkung durch die Schweizerische Nationalbank vor knapp vier Wochen die Zinswende eingeläutet sei, sieht sich inzwischen getäuscht. Dem Beispiel der Eidgenossen folgten bislang weder die US-Notenbank (Fed) noch die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Bank of England.

IMAGO / Dirk Sattler

Am Donnerstag ließ die EZB einmal mehr ihre Sätze unverändert. Der Leitzins notiert weiterhin bei 4,5 und der Einlagensatz bei vier Prozent. Analysten hoffen aufgrund verschiedener Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde nun jedoch mit einer Reduktion um 0,25 Prozentpunkte bei der nächsten EZB-Sitzung im Juni. Es wäre die erste Senkung seit September 2019, als die EZB die Leitzinsen letztmalig (von -0,4 auf -0,5 Prozent) herabgesetzt hatte.

Die Inflation sei weiter zurückgegangen, erklärte Lagarde, was vor allem dem schwächeren Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln und Waren zuzuschreiben gewesen sei. Zugleich wies sie daraufhin, dass die Teuerung bei Dienstleistungen weiterhin hoch sei. Es könnte also auch alles ganz anders kommen – wie schon mehrfach in den vergangenen Monaten, als die Erwartungen der Anleger auf eine Zinssenkung enttäuscht wurden.

Im März ist die Inflationsrate in der Euro-Zone gemäß einer ersten Schätzung von Eurostat von 2,6 auf 2,4 Prozent gesunken. Damit liegt die Teuerung in der Nähe des Zielwerts der EZB. Die Notenbank strebt eine Inflationsrate von mittelfristig zwei Prozent an.

Die neue Unsicherheit über das Timing der Zinssenkungen ließ die Anleger auch am Ende einer geschäftigen Woche und zum Auftakt der Unternehmensberichtssaison an der Wall Street deutlich auf die Bremse treten. Enttäuschende Quartalszahlen und Ausblicke einiger Großbanken drückten Händlern zufolge auf die Stimmung. Frische US-Konjunkturdaten fielen unterschiedlich aus. So stiegen die Preise von in die USA importierten Gütern im März stärker als erwartet. Die Stimmung der US-Verbraucher – gemessen am Konsumklimaindex der Universität Michigan – trübte sich unerwartet deutlich ein.

Der Dow Jones Industrial fiel am Freitag auf den tiefsten Stand seit Ende Januar und schloss gut 1,2 Prozent im Minus bei 37.983 Punkten. Daraus resultierte für den US-Leitindex ein Wochenverlust von 2,4 Prozent. Der marktbreite S&P 500 fiel um knapp 1,5 Prozent auf 5.123 Zähler. Der technologielastige Nasdaq 100 verlor fast 1,7 Prozent auf 18.003 Punkte.

Am Mittwoch hatte eine überraschend hohe US-Inflation die Anleger zunächst vergrault, da damit die Erwartungen an eine Zinssenkung durch die US-Notenbank Fed noch weiter nach hinten verschoben worden waren. Am Donnerstag griffen Investoren dann aber zumindest bei Tech-Aktien schon wieder zu, und die Standardwerte holten nach einem schwachen Start zum Handelsende hin zumindest wieder auf.

Experten verwiesen darauf, dass die Geldpolitik nun etwas in den Hintergrund rücke, da die Anleger auf die insgesamt guten US-Konjunkturdaten schauten. Diese zeigten, dass die Wirtschaft der Vereinigten Staaten bislang mit dem hohen Leitzins gut zurechtkomme. Deshalb setzten Investoren auf eine ordentliche Berichtssaison, hieß es.

Diese startete am Freitag traditionell mit ersten Resultaten einiger Geldhäuser. Der US-Großbank JPMorgan bescherten geringere Rückstellungen für Kreditausfälle im ersten Quartal überraschend viel Gewinn, allerdings blieb das Nettozinsergebnis hinter der Erwartung zurück. Zudem rechnet das Finanzinstitut mit höheren Kosten in diesem Jahr als bisher. Die Aktien sackten nach ihrem jüngsten Rekordhoch auf den tiefsten Stand seit Ende Februar ab und verloren als Schlusslicht im Dow 6,5 Prozent. Die Papiere von Citigroup fielen um 1,7 Prozent. Das Kreditinstitut verbuchte einen Gewinneinbruch im ersten Jahresviertel. Die Anteilscheine von Wells Fargo büßten 0,4 Prozent ein. Bei der Bank übertrafen die Gesamterträge die Marktschätzungen, wobei der Zinsüberschuss etwas schwächer als erwartet ausfiel. Die Titel von State Street gewannen nach guten Quartalszahlen 2,5 Prozent.

Die Aktien der Chipkonzerne Intel und AMD verbuchten Kursabschläge von 5,2 beziehungsweise 4,2 Prozent und gehörten zu den schwächsten Werten im Nasdaq-100-Index. Auslöser war ein Bericht des „Wall Street Journal“, wonach chinesische Telekomkonzerne auf Geheiß der Regierung in Peking mittelfristig keine Computerchips aus dem Ausland mehr nutzen sollen. Laut einem Branchenexperten ist das aber eher eine Erweiterung dessen, was im Grunde schon bekannt sei.

Auf den Papieren des Saatgut- und Agrarchemiekonzerns Corteva lastete eine Abstufung durch JPMorgan von „Overweight“ auf „Neutral“. Laut den Analysten dauert der Lagerbestandsabbau bei Agrarchemikalien in Südamerika und Europa an, die Preise fielen weiter. Die Aktien verloren 4,8 Prozent.

Der Euro blieb im US-Handel unter Druck. Zuletzt kostete die Gemeinschaftswährung 1,0642 US-Dollar. Im europäischen Geschäft war der Euro auf den niedrigsten Stand seit Anfang November gefallen. US-Staatsanleihen bauten ihre anfänglichen Kursgewinne im Handelsverlauf aus. Die Rendite zehnjähriger Staatspapiere fiel auf 4,52 Prozent.

Der Dax hatte zuvor nach einem zunächst freundlichen Verlauf mit leichten Verlusten geschlossen. Der Druck auf den deutschen Aktienmarkt kam am Nachmittag sowohl durch US-Konjunkturdaten als auch die enttäuschten Reaktionen auf Quartalsberichte von US-Banken. Die Stimmung der Anleger, die am Morgen noch frischen Mut gefasst hatten, trübte sich schlagartig wieder ein.

Der deutsche Leitindex, zeitweise noch in Richtung 18.200 Punkte geklettert, büßte letztlich gut 0,1 Prozent auf 17.930 Punkte ein. Auf Wochensicht verbuchte der Dax damit ein Minus von 1,4 Prozent. Der MDax, der Index der mittelgroßen Börsenwerte, gab um knapp 0,5 Prozent auf 26.577 Punkte nach. Europaweit sah es mit Ausnahme der Londoner Börse ähnlich aus. Der EuroStoxx 50, der Leitindex der Eurozone, verlor gut 0,2 Prozent auf 4.955 Zähler. In den USA verbuchte vor allem die technologielastige Nasdaq-Börse deutliche Verluste, aber auch der bekannteste Wall-Street-Index Dow Jones zeigte sich zum Börsenschluss in Europa schwächer.

„Die Anleger haben eine stressige Börsenwoche hinter sich“, resümierte Marktanalyst Konstantin Oldenburger vom Broker CMC Markets. Die noch zu Wochenbeginn erhoffte Stabilisierung über der 18.000-Marke sei gescheitert. In der nun anlaufenden Berichtssaison in den USA und Europa könne bald die Entscheidung fallen, ob es eine Chance für ein Wiederaufleben der Börsenrally gebe oder ob es zu einer größeren Korrektur komme.

Die Papiere der Deutschen Bank, die stark gestartet waren, verringerten ihr Plus auf letztlich 1,4 Prozent. Die Commerzbank schloss mit 0,4 Prozent in der Verlustzone. Ansonsten war es in erster Linie die Aktie des Batterieherstellers Varta, die mit einem Kurssturz von fast einem Drittel die Aufmerksamkeit auf sich zog. Der SDax -Konzern hält das eigene Umstrukturierungskonzept nicht mehr für ausreichend und bat seine Geldgeber erneut um Hilfe. Ein Nachfrageeinbruch, billige Konkurrenz aus Asien und ein Cyberangriff seien die Hauptbelastungsfaktoren.

Eine Studie von JPMorgan brachte den Aktien des Versorgers Eon ein Kursplus von 1,3 Prozent. Analyst Javier Garrido sieht für die Gewinnschätzungen noch Luft nach oben. Auch RWE legten weiter zu und waren mit plus 3,7 Prozent Dax-Spitzenreiter.

Nach dem starken ersten Quartal und einem bisher schwachen April dürfte die Stimmung am deutschen Aktienmarkt vorerst launisch bleiben. Börsenexperten sehen den deutschen Leitindex weiter im Korrekturmodus. Die Optimisten unter ihnen sprechen von einer „Schaukelbörse“ oder auch einer „Verschnaufpause“. Einen raschen neuen Versuch des Dax, wieder in Richtung des nach Ostern erreichten Rekordhochs von 18.567 Punkten zu klettern, erwartet so schnell niemand.

Die Probe aufs Exempel lässt nicht mehr lange auf sich warten. Nachdem die ersten US-Banken die Berichtssaison in der weltgrößten Volkswirtschaft eingeläutet haben, werden in der neuen Woche weitere Unternehmen folgen: Die US-Investmentbank Goldman Sachs legt am Montag Zahlen vor und Morgan Stanley, die Bank of America sowie das Pharma- und Konsumgüterunternehmen Johnson & Johnson am Dienstag.

In Europa wird der Auftakt von Chipindustrie-Ausrüster ASML am Mittwoch gemacht und hierzulande vom Dax-Konzern Sartorius. Der Pharma- und Laborausrüster will seine Quartalsbilanz am Donnerstag veröffentlichen. Zuvor berichtet am Dienstag der Konsumgüterhersteller Beiersdorf über seine Umsatzentwicklung. So richtig Fahrt aber nimmt die Berichtssaison erst in der übernächsten Woche auf.

Damit dürften die Anleger weltweit zwischen Zinssorgen und zunehmend überprüfbar werdender Gewinnfantasien hin- und hergerissen bleiben. Das Enttäuschungspotenzial könnte dabei in den USA höher sein, denn während in der weltgrößten Volkswirtschaft die Messlatte hoch hängt, haben die Analysten in Europa ihre Erwartungen bereits etwas heruntergeschraubt, wie Analyst Frank Klumpp von der LBBW konstatiert.

Konjunkturseitig gilt in den USA in der neuen Woche vor allem den zu Wochenbeginn anstehenden Einzelhandelsdaten für März die Aufmerksamkeit. Es geht immerhin um die Frage, ob «der US-Verbraucher unverwüstlich ausgabefreudig» geblieben ist, wie Christian Apelt von Helaba schreibt.
Er und Christoph Balz von der Commerzbank rechnen zwar nicht mehr mit demselben starken Anstieg wie zuvor, aber immerhin noch mit einem moderaten. Unter den weiteren wichtigen US-Daten rückt am Dienstag vor allem die Industrieproduktion in den Blick. Sollten beide Daten stärker als erwartet ausfallen, dürfte dies das derzeitige US-Zinsszenario «höhere Zinsen für längere Zeit» weiter anheizen, erwartet LBBW-Experte Klumpp.

Hierzulande könnten zuvor noch die ZEW-Konjunkturerwartungen bewegen. LBBW und Helaba rechnen nach zuletzt positiven Überraschungen bei den Frühindikatoren für die deutsche Wirtschaft und global mit einem leichten Anstieg. Der erwartete Konjunkturaufschwung scheine sich nun durchzusetzen, schreibt Helaba-Analyst Stefan Mütze. Der jüngste Anstieg der Produktion auch in der deutschen energieintensiven Industrie zeige, dass diese trotz der schwierigen Rahmenbedingungen konjunkturell nicht abgeschrieben werden sollte.

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Kuno.2
8 Monate her

Wenn man die annähernd 200 Mrd. Neuschulden die mit dem Ukraine und Israel Krieg zusammen hängen zur ohnehin aufgeblähten Geldmenge zurechnet, bleibt ohnehin keinerlei Spielraum für eine Zinssenkung. Wenn doch, geht das sofort in die Aufblähung der Inflation.