In der abgelaufenen Woche gab die EU-Kommission bekannt, dass sie gegen sieben Mitgliedsländer ein Defizitverfahren einleiten werde. Darunter sind mit Frankreich und Italien auch die nach Deutschland größten Volkswirtschaften in der Europäischen Union.
Die Kommission bemängelt die viel zu hohen Defizite, die 2023 mit 5,5 Prozent (Frankreich) und 7,4 Prozent (Italien) weit über der im Vertrag von Maastricht festgelegten Obergrenze von drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung lagen. Beide Länder wurden aufgefordert, nun große Anstrengungen zu unternehmen, um wieder dieses (und andere) Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Die EU ist allerdings ein zahnloser Tiger.. Frankreichs Ministerpräsident Gabriel Attal behauptet, man habe die zuvor erreichten Fortschritte zunächst in der Pandemie und seit zwei Jahren wegen des Ukraine-Krieges wieder verloren. Man merkt, es ist Wahlkampf in Grande Nation – niemand will den Wählern den gebotenen Sparkurs zumuten und die Aussage mit den Fortschritten ist mehr als zweifelhaft. In den vergangenen 15 Jahren hat Frankreich die Defizitgrenze 14mal überschritten. Die fiskalischen Probleme haben also keine konjunkturellen Ursachen. Die Ausgaben sind strukturell viel höher als die Einnahmen.
Dadurch ist die Verschuldung Frankreichs schleichend gestiegen, im vergangenen Jahr lag sie bei 111 Prozent des BIP. Erlaubt wären nach dem Vertrag von Maastricht eigentlich 60 Prozent. Und eine Trendwende ist nicht absehbar. Laut den Schätzungen der Kommission wird die Schuldenquote in diesem Jahr bei über 112 Prozent liegen. Zugespitzt hat sich die Lage auch, weil die Zinsen gestiegen sind. Schuldenmachen ist nach der langen Negativzinsphase nun wieder teuer. Unverständlich ist, dass die Kommission trotz des eingeleiteten Verfahrens weiter laviert. So sagte EU-Kommissar Paolo Gentiloni, dass man verlange von den Mitgliedern nicht fiskalische Austerität, allerdings wird es ohne diese auf Dauer nicht gehen.. Der fiskalische Spielraum ist jedenfalls weg – die Kommission hätte es nie so weit kommen lassen dürfen.
Die internationalen Börsen nehmen von der sich zuspitzenden Haushaltssituation in Europa allerdings noch kaum Notiz. Nach den erneuten Kursrekorden des Nasdaq 100 und des S&P 500 am Vortag war die Luft am letzten Handelstag der Woche jedoch raus. Die großen Aktienindizes inklusive Dow Jones Industrial bewegten sich am Freitag kaum von der Stelle. Bei den zuletzt von einem Rekordhoch zum nächsten geeilten Chip-Titeln nahmen Anleger wie schon am Vortag Kursgewinne mit.
Der Leitindex Dow Jones Industrial schloss mit einem minimalen Plus bei 39.150 Punkten. Auf Wochensicht schnitt der Dow mit einem Aufschlag von 1,5 Prozent erfreulich ab. Der Nasdaq 100 beendete den Freitagshandel mit einem Minus von knapp 0,3 Prozent bei 19.700 Zählern. Auf Wochensicht hat der Index leicht zugelegt. Der S&P 500 ging mit einem Minus von knapp 0,2 Prozent auf 5.465 Zähler ins Wochenende.
Gegenwind für Aktien gab es von der Konjunkturseite. Eine an den Finanzmärkten stark beachtete Umfrage unter Einkäufern in Unternehmen förderte im Juni eine optimistischere Stimmung zutage als von Experten erwartet. Das könnte tendenziell gegen Zinssenkungen durch die US-Notenbank Fed sprechen – und die Aktienbörsen im Zaum halten.
Auffällig waren wie schon am Vortag deutliche Kursverluste von Chip-Aktien. Die Abschläge für Branchengrößen wie Nvidia, Broadcom, Qualcomm und Micron reichten bis zu 4,4 Prozent. Vor allem der Hype um Künstliche Intelligenz und die für deren Einsatz notwendigen Komponenten hatte zuletzt die Aktien auf immer neue Höchststände getrieben. Nun machten Anleger „Kasse“.
Eine Höchstmarke erreichten Alphabet. Die A-Aktie stieg in der Spitze um 2,6 Prozent auf knapp 181 US-Dollar.
Die Aktien des Biotech-Pioniers Sarepta Therapeutics schnellten nach einer erweiterten Zulassung ihres Medikaments Elevidys durch die US-Arzneimittelbehörde FDA um 30 Prozent nach oben. Das Mittel darf nun auch bei Patienten ab vier Jahren eingesetzt werden, die an der schweren genetischen Erkrankung Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) leiden.
Die Titel von Abacus Life sackten um fast 11 Prozent auf 8,71 US-Dollar ab, nachdem der Vermögensverwalter die Ausgabe weiterer zehn Millionen Aktien zu einem Preis von 8,00 Dollar je Stück angekündigt hatte.
Nach einem starken Vortag hatte zuvor schon der Dax nachgegeben. Er ging mit einem Abschlag von 0,5 Prozent auf 18.164 Punkte ins Wochenende. Damit behauptete er sich gleichwohl klar über der runden Marke von 18.000 Zählern, die er vor einer Woche sowie zu Wochenbeginn zeitweise noch unterschritten hatte. Das Wochenplus für den Dax beläuft sich auf 0,9 Prozent.
Der MDax der mittelgroßen Unternehmen verlor am letzten Handelstag der Woche 1,6 Prozent auf 25.296 Zähler. Für den Nebenwerteindex SDax, der an diesem Freitag sein 25-jähriges Jubiläum hatte, ging es um 0,9 Prozent auf 14.474 Punkte nach unten.
„Die in dieser Woche vermeintlich gestiegene Risikobereitschaft hat eher technische Ursachen, als dass fundamentale Verbesserungen dafür verantwortlich sind”, sagte Analyst Pierre Veyret vom Broker Activtrades. Es habe zum Beispiel Eindeckungen durch Spekulanten gegeben, die auf fallende Kurse gesetzt hätten. Er glaube, dass die Volatilität an den Börsen hoch bleiben werde, solange die Anleger nicht mehr Klarheit über die künftige politische Situation in Frankreich hätten.
Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 sank zum Wochenschluss um 0,8 Prozent auf 4.907 Punkte. Die Leitbörsen in Paris und London schlossen ebenfalls.
Die Technologie-Schwäche in den USA färbte auch auf Tech-Werte hierzulande ab. Die Aktien von Infineon und die des Branchen-Ausrüsters Aixtron sanken um drei respektive 2,7 Prozent. Bei letzteren verwiesen Händler als Belastung auch auf einen Bericht, wonach sich der projektierte Bau eines deutschen Werkes durch den US-Chipkonzern Wolfspeed zu verzögern scheint.
Schlechte Stimmung herrschte außerdem im Stahlsektor: Thyssenkrupp und Salzgitter verzeichneten Verluste von jeweils mehr als fünf Prozent, nachdem Analyst Alain Gabriel von der US-Bank Morgan Stanley seine Kursziele gekürzt hatte. Die Stahlpreise in Europa mögen zwar ihren Boden gefunden haben, doch es fehle den Kunden am Willen, die Lager wieder zu füllen, hieß es.
Stark unter Druck gerieten im MDax die Kion-Aktien mit minus 7,6 Prozent. Die Schweizer Großbank UBS hatte sich zurückhaltend mit Blick auf die Auftragserholung geäußert. Im Sog von Kion ging es auch für den Lagertechnik-Konkurrenten Jungheinrich um drei Prozent nach unten.
Der Euro rutschte am Freitag unter 1,07 US-Dollar, nachdem sich die Stimmung in den Unternehmen aus dem Euroraum im Juni deutlich verschlechtert hatte. Nach Börsenschluss wurde die Gemeinschaftswährung zu 1,0687 US-Dollar gehandelt. Am Rentenmarkt sank die Umlaufrendite von 2,48 Prozent am Vortag auf 2,42 Prozent.
Für den nach der schwachen ersten Juni-Hälfte jüngst wieder stabilisierten Dax sind in der neuen Börsenwoche weitere Kursgewinne keineswegs gesichert. Zu hoch ist nach wie vor die Unsicherheit angesichts der Ende des Monats und Anfang Juli vorgesehenen Neuwahlen in Frankreich. „Die Angst, dass Frankreich je nach Wahlausgang noch weniger schuldenbewusst agiert, könnte die Finanzmärkte spürbar belasten”, schreibt Robert Greil, Chefstratege bei der Privatbank Merck Finck, in seinem Ausblick.
Auch eine Pause der jüngsten Rekordrally am US-Aktienmarkt, oder gar eine Korrektur, könnten Druck auf die hiesigen Kurse ausüben. Dass sich der Dax zuletzt von einigen Gewinnmitnahmen in den USA nicht beeindrucken ließ, sei eher ein seltsames Bild, wie Analyst Konstantin Oldenburger vom Broker CMC Markets feststellte. Mögliche EU-Strafzölle auf E-Autos aus China und ein damit möglicher Zollstreit stellen weitere Belastungsfaktoren für die Börsen dar.
Analyst Frank Wohlgemuth von der Essener National-Bank rät dagegen, gelassen zu bleiben, auch in unruhigen Zeiten. „Es sollte auch nicht in Vergessenheit geraten, dass die globalen Aktienmärkte bisher in diesem Jahr deutlich zugelegt haben und dies nach einem mehr als erfolgreichen Jahr 2023.“ Ein Ausatmen sei daher von vielen Seiten sicherlich erwünscht, um eine Neupositionierung auf etwas ermäßigtem Niveau vornehmen zu können. Wohlgemuth bleibt zuversichtlich, warnt aber davor, dass sich die Börsen kurzfristig im Schwitzkasten der Politik befänden und dies zu merklichen Schwankungen führen könne.
Die Zahl der Konjunkturdaten und Unternehmensnachrichten, die in der neuen Woche die Kurse bewegen könnten, fällt überschaubar aus. Beachtung findet gleich am Montag der Ifo-Index. Er wird neueste Eindrücke zur Lage und den Aussichten der deutschen Wirtschaft liefern.
Interessant werde vor allem sein, wie die Unternehmensstimmung auf die politischen Unsicherheiten durch die Europawahl reagiere, erläuterte der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater. Neben dem Ifo-Index dürften zum Ende der Woche Verbraucherpreise aus einigen Ländern der Eurozone sowie Preisdaten aus den USA Beachtung finden.
Quartalszahlen veröffentlichen am Dienstag der Baumarktkonzern Hornbach Holding und am Donnerstag der Pharmazulieferer Schott Pharma . Beide sind im Nebenwerteindex SDax notiert.
Ferner könnten Quartalsberichte einiger nicht-deutscher Unternehmen die Aktien deutscher Wettbewerber beeinflussen. So dürften die Anleger nach den Zahlen des US-Logistikers Fedex (am Dienstag nach US-Börsenschluss) die Kursreaktion der DHL Group im Auge behalten. Bei den am Donnerstag anstehenden Zahlen der schwedischen Textilkette Hennes & Mauritz (H&M) könnte ein Blick auf den Wettbewerber Hugo Boss lohnen.
Jahreszahlen von Varta stehen am Freitag auf der Agenda. Fraglich ist, ob diese noch bewegen können, hatte der Batteriehersteller doch gerade erst seine Umsatzprognose für das laufende Jahr gekappt und daraufhin bei Anlegern – einmal mehr – für Ernüchterung gesorgt. Unlängst erst waren die Varta-Aktien aus dem SDax geflogen, weil infolge eines Hackerangriffs der geprüfte Jahresfinanzbericht nicht fristgerecht veröffentlicht werden konnte.
Adidas und Puma SE wiederum könnten am Freitag auf den Quartalsbericht von Nike reagieren, den der US-Sportartikelhersteller am Donnerstag nach dem Wall-Street-Schluss vorlegen wird.
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