Börsen mit großem Optimismus

Die Börse geht offensichtlich davon aus, dass Lindner sich der Aussetzung der Schuldenbremse 2024 verweigern wird. Ob in der Ampel oder nach Neuwahlen – die Politik wird sich wieder mehr an den wirtschaftlichen Realitäten orientieren müssen. Der Aufschwung der vergangenen beiden Wochen hat das an den Börsen bereits vorweggenommen.

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Wer Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Grünen-Parteitag in der Messehalle in Karlsruhe zuhörte, wähnte sich im falschen Film. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Unrechtmäßigkeit der von der Ampel über verschiedene Sondervermögen zur Finanzierung künftiger Ausgaben aus der Vergangenheit verschobener Kredite zeigte er sich weder demütig noch einsichtig.

Vielmehr schlug er unter großem Beifall der Delegierten vor, die Schuldenbremse aus der Verfassung zu streichen und beschimpfte die Opposition wegen ihres Beharrens auf einer ordentlichen Haushaltsführung. Mit dem Urteil stehe nun „plötzlich und endlich die Frage im Raum, ob Regeln aus einer Zeit, als Klimaschutz nicht ernst genommen wurde, Kriege der Vergangenheit angehörten und China unsere billige Werkbank war, heute noch so gelten können“. Die Antwort gab der Vizekanzler gleich selbst: „Nein.“

Da die Ampel die im laufenden Jahr aus den „Verschiebe-Fonds“ bereits getätigten Ausgaben nach dem Urteil nun dem Haushalt 2023 zurechnen muss, wird die Neuverschuldung die Höchstgrenze der Schuldenbremse um rund 50 Milliarden Euro überschreiten. Diese Summe lässt sich in den verbleibenden Wochen des Jahres nicht einsparen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat deshalb schon angekündigt, dem Bundestag die zur Aussetzung der Schuldenbremse nötige Anrufung der Notlagen-Klausel vorzuschlagen. Die Opposition wird dem nur zustimmen, wenn es ein Junktim mit einem verfassungsgemäßen Haushalt im kommenden Jahr gibt. Dazu müsste die Koalition den Haushaltsentwurf 2024 anpassen. Um das zu erreichen, müssten die SPD bei der Sozialpolitik, die Grünen bei der Klima- und Industriepolitik riesige Abstriche machen. Man müsste also zum Beispiel das Bürgergeld überdenken und beim Klimaschutz statt auf Subventionen eher auf den CO2-Preis. Ein verfassungsgemäßer Haushalt wäre durchaus möglich.

Wenn Christian Lindner Nachhaltigkeit zugunsten künftiger Generationen beim Haushalt für genauso wichtig hielte wie beim Klima, wird er sich einer nochmaligen Aussetzung der Schuldenbremse 2024 verweigern müssen. Die Börse geht offensichtlich davon aus, dass er hart bleibt und notfalls das Platzen der Koalition riskiert. In der Tat hat ihm das Bundesverfassungsgericht über Nacht einen Trumpf in die Hand gespielt. Ob in der Ampel oder nach Neuwahlen – die Politik wird sich künftig wieder mehr an den wirtschaftlichen Realitäten orientieren müssen. Der Aufschwung der vergangenen beiden Wochen hat das an den Börsen bereits vorweggenommen.

Der Dax konnte am Freitag bei dünnen Handelsumsätzen sogar über die Hürde von 16.000 Punkten klettern. Zeitweise stieg der deutsche Leitindex dicht unter den höchsten Stand seit Ende August. Mit einem Aufschlag von 0,2 Prozent auf 16.029 Zähler ging er schließlich aus dem Handel. Der Wochengewinn beläuft sich damit auf 0,7 Prozent. Seit dem Beginn der Erholungsrally Ende Oktober beträgt das Plus nun neun Prozent. Der Gewinn im Jahresverlauf summiert sich auf 15 Prozent. „Es war alles in allem ein ruhiger, aber doch erfolgreicher Wochenverlauf“, kommentierte Konstantin Oldenburger von CMC Markets den Tag. Das Überwinden und schließlich auch das Halten der 16.000er Marke verspricht ihm zufolge einen starken Monatsabschluss für das Börsenbarometer in der kommenden Woche. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen stieg um 0,4 Prozent auf 26.214 Zähler.

Einfluss auf den Handelsverlauf hatte wohl auch das Ifo-Geschäftsklima; die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im November den dritten Monat in Folge verbessert. Der Ifo-Index gilt als wichtigster Konjunkturindikator Deutschlands.

Spekulationen über Kaufinteressenten für Wintershall Dea gaben der zuletzt ins Stocken geratenen Erholung der BASF-Aktie neuen Schub. Sie stiegen um 1,8 Prozent und zählten damit zu den Spitzenwerten im Leitindex. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Donnerstagabend berichtete, sind sowohl der arabische Ölkonzern Adnoc als auch der britische Ölkonzern Harbour Energy an der Öl- und Gastochter der Ludwigshafener interessiert.

Covestro profitierten ebenfalls und legten um 2,2 Prozent zu. An diesem Chemie- und Kunststoffkonzern ist die von Abu Dhabi kontrollierte Adnoc schon seit geraumer Zeit interessiert. Covestro hatte im September Gespräche bestätigt. Seither herrscht jedoch weitgehend Funkstille.

Im Automobilsektor stand eine Studie der britischen Bank Barclays im Fokus. Die Analysten hoben die Aktie von Continental auf „Overweight“ und senkten die von Mercedes-Benz und Porsche SE auf „Equal Weight“. Zudem senkten sie das Kursziel für die Volkswagen-Vorzüge.

Die Zulieferer seien zwar noch nicht ganz aus dem Gröbsten heraus, es sei aber Licht am Ende des Tunnels zu sehen, schrieb Analyst Erwann Dagorne. Die großen europäischen Autohersteller dürften dagegen laut Barclays-Kollege Henning Cosman ihren Gewinngipfel erreicht haben. Während es für Conti um zwei Prozent hochging, verloren die Papiere der VW-Beteiligungsgesellschaft Porsche 0,4 Prozent. Mercedes und VW legten moderat zu.

Die Papiere von Evonik gewannen nach einer Kaufempfehlung der Investmentbank Stifel 1,2 Prozent. Das Vertrauen in eine Erholung der Gewinne nehme zu, schrieb Analyst Andreas Heine. Die Markterwartungen an den Spezialchemiekonzern seien realistisch.

Der Euro kostete am frühen Abend 1,0932 US-Dollar. Am Anleihemarkt stieg die Umlaufrendite von 2,60 Prozent am Vortag auf 2,66 Prozent.

Später beendeten die US-Börsen den verkürzten Handel am „Black Friday“ mit nur wenig Veränderung. Der Leitindex Dow Jones Industrial legte um 0,3 Prozent auf 35.390 Punkte zu. Das Plus für die gesamte Woche liegt bei 1,3 Prozent. Der technologielastige Nasdaq 100 verlor 0,1 Prozent auf 15.982 Zähler, verbuchte aber für die abgelaufene Woche ein Plus von 0,9 Prozent. Der marktbreite S&P 500 stieg zum Wochenschluss um 0,1 Prozent auf 4.559 Zähler. Die Anleger bleiben zuversichtlich, dass die Leitzinsen ihren Gipfel erreicht haben und die Wirtschaft nicht in eine Rezession treiben wird.

Am wichtigsten Shopping-Tag des Jahres, dem Brückentag nach „Thanksgiving“, dem sogenannten „Black Friday“, wurde an den US-Börsen nur bis 19.00 Uhr (MEZ) gehandelt. Der „Black Friday“ gilt als besonders wichtiger Tag für das Weihnachtsgeschäft der Einzelhändler. Diese könnten zum Wochenschluss bereits mitteilen, ob sie mit der Kundenfrequenz zufrieden sind. Die Aktien der Branchenvertreter Walmart und Target gewannen 0,9 beziehungsweise 0,7 Prozent, für Best Buy ging es um 2,2 Prozent hinauf.

Unter den Technologiewerten sanken die Papiere von Nvidia um 1,9 Prozent. Einem Bericht zufolge teilte der Chiphersteller Kunden in China mit, dass er die Einführung neuer Chips für Künstliche Intelligenz (KI) bis zum ersten Quartal verschiebt. Bei Tesla verwiesen Börsianer auf Berichte über womöglich deutliche Preisnachlässe zum Jahresende durch den chinesischen Wettbewerber BYD. Ferner streiken Tesla-Arbeiter in Schweden weiter. Belastet wurden die Papiere gleichwohl nicht, der Kurs stieg um 0,5 Prozent.

Irobot sprangen um 39 Prozent nach oben. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge will die EU die Übernahme des Reinigungsroboter-Herstellers durch den Online-Händler Amazon ohne Einschränkungen genehmigen. Amazon schlossen nahezu unverändert.

Die Rendite für zehnjährige Bonds stieg auf 4,47 Prozent.

Die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Jahresendrally geht in die nächste Runde. Nachdem das Thanksgiving-Fest den Börsen in den USA eine Ruhepause beschert hat und sich daher auch hierzulande nicht viel bewegt hat, sollte es in der neuen Woche wieder mehr Impulse für Dax & Co. geben. Diese hält einige interessante Daten aus den USA und Europa parat, zudem werden die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, und am Freitag der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, jeweils eine Rede halten, von der sich die Marktteilnehmer Aufschlüsse über den weiteren Kurs der Geldpolitik erhoffen.

In der Euroregion sollten vor allem die Inflationsdaten im November im Mittelpunkt stehen. Sie werden am Mittwoch und Donnerstag veröffentlicht. Experten rechnen für den zu Ende gehenden Monat mit einem weiteren leichten Rückgang. Im Oktober hatte die Inflationsrate mit 2,9 Prozent den niedrigsten Stand seit über zwei Jahren erreicht.

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Kommentare ( 4 )

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Talleyrand
1 Jahr her

Nur die deutsche Grosschemie hat wohl einen schwer heilbaren Schaden genomen. Immerhin eine der Säulen des deutschen Wohlstands.

Edwin
1 Jahr her

Eine Regierung, die einen nicht verfassungsgemäßen Haushalt aufstellt, sollte eigentlich automatisch ihres Amtes enthoben werden. Wenn die Regierung schon nicht mehr die Verfassung achtet, was bitte, soll man dann von dem Bürger erwarten.
Das ist natürlich nur noch reines Wunschdenken. Es geht stetig bergab und das Ende des gesamten öko-sozialistischen Systems mit marktwirtschaftlichen Maßnahmen (ergo Subventionen) kommt mit zunehmender Zeit in Sicht. Die Wirtschaft des Industrielandes Deutschland wird bis dahin irreparabel beschädigt. Ausbaden werden wir es alle, aber wir haben es nicht anders verdient, weil wir uns dagegen weder an der Wahlurne, noch auf der Straße gewehrt haben.

D. Ilbert
1 Jahr her

Heißt es nicht, an der Börse werde Zukunft gehandelt?

Dax und Mdax und Tecdax. Alle scheinen sich darauf zu setzen, daß diese Regierung sehr bald Geschichte sein wird. Schätzten die Börsianer dies anders ein, wäre der Aufschwung der vergangenen Wochen mit Nichts zu rechtfertigen.

Aegnor
1 Jahr her

Ein verfassungsgemäßer Haushalt wäre durchaus möglich“
Klar. Aber sicher nicht durch Einsparungen bei Sozialausgaben und Subventionen, sondern durch auslassen versprochener Erleichterungen für Heizgesetz, CO²-Steuer etc – und natürlich durch Abgabenerhöhungen. Massive Erhöhungen…