Facebooks Niedergang findet nicht nur an der Börse statt

Die Facebook-Mutter „Meta Platforms“ ist an der Börse eingestürzt. Die Aktie verlor zwischenzeitlich ein Fünftel ihres Wertes. Die Quartalszahlen sind schlechter als vermutet. Doch die eigentlichen Gründe liegen tiefer. Der Zeitgeist ist gegen Facebook.

IMAGO / NurPhoto

Das soziale Netzwerk ist aus einem Streit um das Thema Datenschutz hervorgegangen. Leitung und Studenten der Elite-Universität Harvard waren sich nicht einig, ob die Jahresbücher, die sogenannten Face Books, digital erscheinen sollen. Der Student Mark Zuckerberg ergriff die Initiative und stellte die Daten online, ohne eine Entscheidung abzuwarten.

Das Thema Datenschutz hat Facebook in seiner knapp 20-jährigen Geschichte nie verlassen. Auch jüngst sorgte es für schlechte Schlagzeilen: Apple zwingt Facebook neuerdings zu Transparenz und dazu, Kunden um ihr Einverständnis zu bitten, wenn es darum geht, deren Nutzungsverhalten für Werbezwecke auswerten zu dürfen. Facebooks Kerngeschäft. (Zu) viele Apple-Nutzer verweigern Facebook diesen Zugriff. Solcher Trubel trübt die Bewertungen an der Börse.

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Doch in erster Linie geht es um Zahlen. Und die sind im Meta-Quartalsbericht nicht gut: Der Umsatz des Konzerns wuchs zwar von 29,8 auf 33,7 Milliarden US-Dollar, aber der Gewinn ging um acht Prozent zurück auf 10,3 Milliarden Dollar. Vor allem die Sparte „Reality Labs“, in der es um virtuelle Realität geht, trübt die Bilanz: Hier ist der Umsatz zwar von 717 auf 837 Millionen Dollar gestiegen – aber auch der operative Verlust von 2,1 auf 3,3 Milliarden Dollar. Die Nutzerzahlen von Facebook sind weltweit zum ersten Mal rückläufig – um eine Million, von 1,93 auf 1,929 Milliarden Nutzer. Im Vorjahr war die Zahl im gleichen Zeitraum noch um knapp 30 Millionen Nutzer gewachsen. Die Analysten hatten eigentlich auf ein weiteres Wachstum von 20 Millionen Nutzern gesetzt.

In der chinesischen Konkurrenz sieht Zuckerberg derzeit das größte Problem: „Die Leute haben jede Menge Auswahl, wie sie ihre Zeit verbringen wollen – und Apps wie TikTok wachsen sehr schnell“, soll der 37-Jährige in einer Telefonkonferenz mit Analysten gesagt haben. Die Chinesen von TikTok setzen vor allem auf Videos. Um in diesem Bereich besser mithalten zu können, hat Meta „Reels“ gegründet – bisher mit geringem Erfolg.

So lässt TikTok Facebook alt aussehen. Auf mehreren Ebenen. Denn der weltweite Rückgang an Nutzern kommt nicht überraschend. In den Ländern, in denen sich Facebook zuerst ausbreitete, gab es diesen Effekt schon früher: Im Mai 2017 verzeichnete Facebook in Deutschland noch 30 Millionen aktive Nutzer, Ende 2019 waren es schon nur noch 25,9 Millionen Nutzer.

Das ist zum einen ein Generationenproblem: Als auf Facebook plötzlich Mama, Opa und Tante aufschlugen, wurde es für jüngere Menschen weniger interessant, weil junge Menschen auch im Netz den Wunsch verspüren, unter sich zu bleiben. Außerdem haben sie ein anderes Nutzungsverhalten. Text spielt für sie eine immer geringere Rolle, Bewegtbild eine immer größere.

Und in diesem Feld ist Facebook nicht der Platzhirsch: Marktführer ist YouTube. Laut dem Marktforschungsportal App Annie verbrachten Handynutzer in diesem Januar im Schnitt 23,7 Stunden monatlich auf YouTube – bei Facebook und TikTok waren es jeweils nur 19,6 Stunden. Wobei insgesamt die Jüngeren zu TikTok gehen, wie die deutsche „JIM-Studie“ des Forschungsverbundes Südwest feststellte: Demnach sah sich 2020 jeder Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren mehrfach in der Woche Kurzvideos auf TikTok an.

Doch es gibt noch einen anderen Grund für Facebooks Schwäche. Und der ist gefährlicher, denn er greift tiefer: Der Zeitgeist ist gegen Facebook.

Der ursprüngliche Antrieb Zuckerbergs war, Kommunikation zu fördern und dafür den Menschen selbst transparent zu machen. Dabei unterlief ihm der Fehler, der Visionären gerne unterläuft: Er hielt die Menschheit für gut und selbstlos. Die Menschen würden Facebook nutzen, um sich auszutauschen und so Fortschritt zu ermöglichen. Doch stattdessen nutzten Spamer die Daten, um für Penispumpen zu werben oder die Nutzer dazu zu bringen, in Nigeria festsitzenden, vermeintlichen Geschäftsleuten zu helfen.

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Das waren noch die guten Zeiten. Dann entdeckte die Politik Facebook. Und Verleger. Facebook wurde zur Plattform für Parolen, PR und Presseartikel. Verlage beschäftigten hoch bezahlte Social-Media-Manager, die viele Worte für Konzepte fanden, die letztlich nur darauf beruhten, Inhalte auf Facebook auszuspielen. Statt ehrwürdigen Verkäufern hilfreicher Penispumpen forschten jetzt Wahlkampfmanager die Bedürfnisse von Wählern und potenziellen Wählern aus, um diese besser bedienen zu können. Geheimdienste von Diktaturen nutzten die Chance ebenfalls, um in demokratische Wahlen einzugreifen. Facebook wurde zum Politikum.

Sein Gründer Mark Zuckerberg glich somit immer mehr dem Zauberlehrling, der die Geister nicht beherrscht, die er rief: Die Politik forderte Regulierungen. In Diktaturen wie in freiheitlichen Demokratien. Die Wirtschaft setzte Facebook unter Druck – etwa im Juni 2020. Da boykottierten Konzerne wie Unilever oder Coca Cola das soziale Netzwerk, weil dies nicht genug tue, um „Hass-Botschaften“ zu unterbinden. In diesem Spannungsfeld laviert Facebook: Das soziale Netzwerk fördert direkten privaten Austausch, setzt aber gesponsorte Beiträge nach oben, weil Unternehmen dafür bezahlen. Bekämpft Hass-Botschaften und muss sich damit auseinandersetzen, dass diese von Land zu Land anders definiert werden.

Das Gleiche gilt für „Fake News“. So versieht Facebook in Deutschland nahezu jeden Beitrag zu Corona mit einer Verlinkung zu Botschaften des Gesundheitsministeriums. Wer sich über die Impfpflicht beschwert, bekommt diesen Hinweis ebenso zwangsverordnet wie der, der ein Bild seiner Impfung oder Boostung feiert. Wobei gerade das Gesundheitsministerium seine „Wahrheit“ schon öfters korrigieren musste als mancher Verschwörungstheoretiker.

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Mit dem Grundgedanken von Facebook hat das alles längst nicht mehr zu tun. Der Mensch ist durch das soziale Netzwerk mit Sicherheit transparenter geworden. Aber nicht freier. Und schon gar nicht ist sein Diskurs freier geworden. Zumal der Verbrauchertrend der Zeit – gerade unter den Jüngeren – der Schutzraum ist. In dem will der junge Nutzer von allem verschont werden, was sein Gemüt angreifen könnte. Der Begriff von dem, was da alles drunter fällt, wird ebenfalls immer weiträumiger.

So scheitert Facebook nicht nur an dem Wechsel von Wort zu Video. Es scheitert mit seiner amerikanischen Philosophie vom mündigen Bürger, der sich zum Wohle der Freiheit und des Fortschritts besser austauschen kann. Die Welt ist diesbezüglich chinesischer geworden. Der Nutzer ist ein Untertan und zwischen seiner Regierung und ihm entscheidet das Medium, was und wie er es sehen darf – wie in Deutschland beim Thema Corona. Transparenz bedeutet dabei, dass Staat und Unternehmen sehen können, ob der Untertanen-Nutzer sich wohlgefällig verhält. In China fließen Äußerungen in sozialen Netzwerken längst ins „Social Scoring“ ein, mit dem der Staat seine Bürger bewertet und anhand dessen er ihn belohnt oder bestraft. Für dieses Treiben hat Facebook die Ideen geliefert. Und die Technik. Aber gebraucht wird es nicht mehr.

349 Millionen Nutzer hat Facebook in Indien, in den USA sind es 194 Millionen – in China spielt es so gut wie keine Rolle. Russland hat Telegram entwickelt, China TikTok. Dass dessen wirtschaftliche Eckdaten nur teilweise besser sind als die von Facebook, spielt keine Rolle – solange es Herzen und Daten westlicher Nutzer erreicht.

Zuckerberg setzt in diesem Duell auf Technik: Die Tochter „Oculus“ soll Meta die Gewinne der Zukunft garantieren. Mit virtuellen Räumen, in denen die Grenzen zwischen digitalem Erleben und Realität verschwimmen. Der Nutzer der Zukunft trägt dabei Brillen, die ihm die digitale Welt buchstäblich vor Augen führen sollen. Daher auch die starken Investitionen und die hohe Verlustbereitschaft in diesem Bereich. Behält Zuckerberg recht, würde er die Welt ein zweites Mal prägen. Ob er aber dann die Geister im Griff behält, ist zweifelhaft. Denn der Zeitgeist ist gegen ihn.

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Kommentare ( 12 )

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Regenpfeifer
2 Jahre her

Eine Welt ohne monopolisierte asoziale Netzwerke wäre sowieso eine bessere Welt.

meckerfritze
2 Jahre her

Dieses Fratzenbuch stirbt und das ist gut so.

CIVIS
2 Jahre her

Es gibt nichts unsozialeres als ´Soziale Netzwerke` !

Was soll daran sozial sein ?

  • dass man sich nicht mehr sieht
  • dass man keine persönlichen Kontakte mehr pflegt
  • dass man plötzlich 500 Freunde hat, die man gar nicht kennt

Die Steigerung der „unsozialen Netzwerke“ stellt heutzutage die Maskenpflicht dar, die einen als „anonyme Wesen“ durch die Welt gehen lässt.

Gernoht
2 Jahre her

Bisher ist jedes dieser „sozialen“ Netzwerke untergegangen. Ich habe noch keinen Grund gefunden, warum Facebook hier eine Ausnahme sein sollte. Was ist eigentlich aus Second Life geworden? Ein weiteres totes Pferd.

Bernd Simonis
2 Jahre her

Vor vielen Jahren habe ich in Facebook einen Fake-Account angelegt, um mal hineinschauen zu können. Der Fake-Account hat erstaunlich viele Freunde gefunden. Den Account gibt es heute noch. Was ich sagen will: Facebook war mir schon immer langweilig. Wer braucht so einen Quatsch?

Ralf Poehling
2 Jahre her

Ein exzellenter Artikel in der Beschreibung des Problems. Allerdings hat das meiner Ansicht nach weniger mit Zeitgeist zu tun, als vielmehr mit globalen Mehrheiten: China ist Teil des Marktes. Als Kunde wie auch als Anbieter. Und da es etwa 1,4 Milliarden Menschen in China gibt, in den USA hingegen nur 330 Millionen und in der EU auch nur knapp 448 Millionen, ist die Anzahl an Kunden mit ihren speziellen, kulturell geprägten Kundenwünschen in China deutlich größer, als die Anzahl an Kunden in den USA und der EU zusammen. Und da der Kunde König ist und größere Absatzmärkte und Gewinne für… Mehr

blake
2 Jahre her

Facebook ist total überbewertet. Die ganzen Kids nutzen Instagram. Ich tippe mal auf mindestens 40% User, die zwar bei FB ein Konto haben, aber inaktiv sind und zu faul bzw. blöd sind es zu löschen. Ich jedenfalls kenne niemanden mehr, der noch auf FB aktiv ist.

littlepaullittle
2 Jahre her

Sie scheiterten auch klaeglich an ihrem Versuch eine Kryptowaehrung (DIEM) zu etablieren, u.a. weil sie diese „zentral“ (entgegen dem Geiste der DEzentralen Idee von Kryptowaehrungen) aufbauten.
Wer sich in die Abhaengikeit einer Regierung/Politik begiebt – wasch mich, aber mach mich nicht nass- kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen.
FB ist Zensur in ihrem Sinne.

Franz O
2 Jahre her

Ach, was soll ich in irgendwelchen virtuellen Räumen herumgammeln? Montagabend den Nachbar in der Fußgängerzone treffen macht viel mehr Spaß.

Alfonso
2 Jahre her

Facebook als soziales Netzwerk wird weiter verlieren.

Es ist doch ganz normal, dass der Nachwuchs nicht das macht, was ihre Eltern machen. Das ist in sehr vielen Bereichen des täglichen Lebens so und das betrifft auch Facebook.
Die Eltern tummeln sich auf Facebook. Insoweit ist Facebook aus dem Blickwinkel der jungen Generation etwas für die Alten. Wer als Jugendlicher macht schon das, was auch seine Eltern machen?