Die Industrie läuft Sturm gegen Habecks Gasumlage

Die Gasumlage wird die Inflation deutlich antreiben. Die Industrie schlägt Alarm: Viele energieintensive Unternehmen seien durch die erhebliche Kostensteigerung überfordert. Deutschland droht im internationalen Wettbewerb zurückzufallen.

IMAGO / Emmanuele Contini
Wirtschaftsminister Robert Habeck im Kanzleramt in Berlin, 27.07.2022

Am Montag haben die Fernleitungsnetzbetreiber auf der Grundlage politischer Entscheidungen der Ampel-Koalition die Höhe der neuen Gasumlage festgelegt, mit der sie ihre gestiegenen Kosten des Gaseinkaufs an Kunden weitergeben können: 2,419 Cent je Kilowattstunde. Auf den Rechnungen der Verbraucher wird sie wohl gegen Jahresende erstmals auftauchen – auch bei alten, langfristig laufenden Lieferverträgen. Für einen Durchschnittshaushalt mit einem Jahresverbrauch von 15 bis 20000 Kilowattstunden bedeutet das nach Angaben des Handelsblatts zwischen 432 und 576 Euro Mehrkosten im Jahr, zusätzlich zu den ohnehin schon sehr deutlich gestiegenen Gaspreisen. Der durchschnittliche Gaspreis für Neukunden hat sich von 6,29 Cent pro Kilowattstunde im August 2021 auf 17,84 Cent mehr als verdreifacht (+184 Prozent). Diese Tendenz bestätigt auch eine Umfrage unter TE-Lesern. 

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Was laut Wirtschaftsminister Robert Habeck dazu gedacht ist, systemrelevante Gasimporteure vor der drohenden Pleite zu bewahren („kein einfacher Schritt, aber notwendig, um die Wärme- und Energieversorgung in den privaten haushalten und der Wirtschaft aufrechtzuerhalten“), ist ein weiterer Antrieb für die ohnehin schon explodierende Inflation. Laut Berechnungen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) dürfte die Inflationsrate allein durch die Umlage um 0,8 bis einen Prozentpunkt höher ausfallen, je nachdem, ob auf die Umlage auch noch die Mehrwertsteuer erhoben wird. 

Die Inflationsrate hatte sich im Juli ein klein wenig gemäßigt – 7,5 Prozent zum Vorjahresmonat. Wenn nun Neun-Euro-Ticket und Tankrabatt entfallen, dürfte sie schnell wieder über 8 Prozent steigen. Die Inflation ist außerdem längst neben dem Ukrainekrieg der zentrale Unsicherheitsfaktor für die deutsche Wirtschaft. Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer sieht sie laut Handelsblatt, als „ein wichtiges Argument, warum die Wirtschaft im Winterhalbjahr schrumpfen, also in die Rezession abgleiten sollte“.

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Mehrere Industrievertreter haben mittlerweile angesichts der Gasumlage Alarm geschlagen und Entlastungen gefordert. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Peter Adrian fordert schnell Klarheit über die angekündigten Entlastungsmaßnahmen, sonst drohe eine Welle an Betriebsschließungen und Produktionsstopps. Der Branchenverband der energieintensiven Industrie EID erwartet laut Handelsblatt allein für seine Unternehmen Mehrkosten von 5,3 Milliarden Euro jährlich. Dabei sind die Gaskosten für die Industrie ohnehin schon explosionsartig gestiegen: Vor rund einem Jahr kostete die Megawattstunde Erdgas an der niederländischen TTF-Börse noch knapp 25 Euro, für den September kostet sie dort nun 206 Euro. Das Handelsblatt macht am Beispiel der Papierindustrie klar, was das bedeutet: Eine durchschnittliche Papierfabrik mit einem Gasbedarf von 170 Gigawattstunden im Jahr muss allein für die jetzt beschlossene Umlage laut Branchenverband 4,1 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Der Bundesverband für Baustoffe erwartet für die gesamte Baustoff-Steine-Erden-Industrie eine Mehrbelastung von rund 375 Millionen Euro.

Die Mehrfachbelastungen gefährden energieintensive Unternehmen am Standort Deutschland massiv, kritisiert Jörg Rothermel, Geschäftsführer der EID: „Wir haben nicht nur international ein Problem. In anderen EU-Mitgliedstaaten wurden statt zusätzlicher Belastungen drastische Entlastungen für Unternehmen und Verbraucher beschlossen, die weit über den ‚Schutzschirm‘ in Deutschland hinausgehen.“

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„Die Kosten werden viele Unternehmen überfordern“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) laut Handelsblatt. Er fordert, die Umlage wenigstens über das Jahr 2024 hinaus zu strecken.

In den Chor der Alarm-Rufer stimmte übrigens auch Habecks Parteifreundin Kerstin Andreae ein. Die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen ist Chefin des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft und will die Mehrwertsteuer auf den Gas- und Strompreis von 19 auf sieben Prozent senken.

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Kommentare ( 135 )

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Teide
2 Jahre her

Uniper wird mit deutschem Geld gerettet.
Uniper gehört dem finnischem Konzern fortum.
Das ist schön für fortum. Spart fortum viel eigenes Geld.
Philipp Rösler ist im Aufsichtsrat von fortum.
Macht die Verhandlungen mit unserem Finanzminister geschmeidiger.
Beziehungen schaden dem der sie nicht hat.

Fieselsteinchen
2 Jahre her

Moment mal! Die Industrie läuft Sturm? Wo waren die denn in den letzten Jahren? In einer Erdhöhle? In einer anderen Dimension? Wo eigentlich? Ich erinnere an Koryphäen wie Diess und Kaeser, die gemeinsam, insbesondere der Joe, mit Klima-Luisa gehüpft sind: Klima, Klima über alles! Nullwachstum, klimaneutral, CO2-Ausstoß verringern – das waren doch deren Zauberwörter, und wer das Gegenteil aussprach, wurde mit dem Zauberwort der vier Buchstaben bedacht (N…). Der Trigema-Grupp hat sogar in einem Interview über seine Wahlentscheidung gesprochen (die Grünen!). Und jetzt war niemand von denen dabei? Aber, heidernei, es wurden gerade ihre Wünsche der Vergangenheit erfüllt und nun… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Fieselsteinchen
RA.Dobke
2 Jahre her

Ah ja – versuche alles zu verstehen, aber der Souverän der BRD ist das deutsche Volk, die Gesellschaft und die von ihr betriebene Wirtschaft sind Maß der Dinge und werden von ihm bestimmt. Oder tun es in gewisser Weise neben den USA nun auch noch die Bürokraten aus Brüssel? Ich möchte hier zur Diskussion stellen, ob wir ein souveränes Land sind oder nicht!

hoho
2 Jahre her
Antworten an  RA.Dobke

Eine ehrliche Antwort auf die Frage ist: wir sind hier nur um ein Paar Leute ab und zu zu wählen und diese Wahl ist auch nach Bedarf beschränkt wie man das bei der Wahl in Berlin, bei Brexit und bei der POTUS Wahl in USA sehen konnte. Echten Einfluss haben wir nicht. Egal ob wir ÖR, Masken, NS2, Krieg usw wollen oder nicht – die Entscheidung sind nicht bei uns. Das kann man weiter Republik und Demokratie nennen aber das sind nur leere Begriffe jetzt. Nur neben bei: NRW bereitet sich auf Zerschlagung der Proteste in Winter vor. Ich habe… Mehr

St.Elmo
2 Jahre her

Wenn man Angst hat das die Unternehmen Pleite gehen, hätte man statt die Bürger zu schröpfen und die Inflation weiter anzuheizen, den Energieunternehmen auch Zinsgünstige bzw. Zinsfreie KfW Kredite mit sehr langer Laufzeit anbieten können.
Und wenn es VdL und ihrer Laienspieltruppe nicht gefällt sollen sie die BRD doch verklagen. Bei ca. 80 Klagen der EU gegen die BRD kommt es auf eine Klage mehr oder weniger auch nicht an.

Julius Schulze-Heggenbrecht
2 Jahre her

Es fehlen Millionen, wenn nicht Milliarden Euro, um durch „Entlastungspakete“ die Folgen der selbst herbeigeführten Inflation abzumildern? Ach was?! Dann sollte man sich z.B. mal fragen, wieso wir noch immer „Entwicklungshilfe“ an die ganze Welt zahlen. Die Weltmacht China erhielt von Deutschland allein im Jahr 2020 sage und schreibe 630 Millionen Euro. Deutschland verschenkt Jahr für Jahr mehrere Milliarden Euro an alle möglichen Länder. Dieses Geld wird HIER erarbeitet und dann einfach so weggegeben. Die gleichen Politiker, die das völlig in Ordnung finden, jammern an anderer Stelle, es wäre „nicht genug Geld da“, um die einheimische Wirtschaft zu unterstützen …… Mehr

Mausi
2 Jahre her

Keiner beschreibt im Detail, wie die Gasumlage funktioniert und vergleicht sie mit der freien Wirtschaft. Zweck der Umlage: Stützung der „Gasversorger“. Sind die Gasversorger = die Unternehmen, die an unserem Ende der Pipelines sitzen? Könnten Sie das nicht mal beschreiben? Ich unterstelle das jetzt mal so. Dann muss der „Gasversorger“ an den nächsten Kunden Gasumlage plus Umsatzsteuer auf die Gasumlage abrechnen. Die Gasumlage führt der Verkäufer an den Staat ab. Wer ist der Staat? Das Finanzamt? Hat das FinA genug Personal? Um die Programme zu entwickeln, um die Umlageerklärung aufzusetzen, um die Umlage zu kontrollieren, um die Umlage zu verteilen?… Mehr

Harry777
2 Jahre her

Die Industrie läuft Sturm? So wie in den letzten 20 Jahren bei ihrer Beschneidung, Verzwergung und Verdummung? Oha, da muss die Regierung jetzt aber zittern.

Wilhelm Roepke
2 Jahre her

Echt? Die Industrie läuft Sturm? Sie spendet also für die einzige echte Oppositionspartei und engagiert sich dort auch persönlich? Habe ich gar nicht mitbekommen.

USE
2 Jahre her

Wo sind die Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände? Ich vergass, die „Entscheider“ sind bestens angesichert. Die „Big“ haben alle über 100.000 Euro im Jahr.

Werner Martin
2 Jahre her
Antworten an  USE

Diese Organisationen haben längst die Seite gewechselt. Sie tragen eine Mitschuld an dem was zurzeit geschieht. Schlimm daran ist, dass viele Menschen diesen Organisation vertrauen und nicht merken wie ihr Vertrauen missbraucht wird.

2 Jahre her

Ich bin gespannt, ob wir diese Gasumlage jemals wieder komplett los werden werden oder ob man irgendwann in 20 Jahren auch wieder nur einen Teil zurücknehmen wird wie beim Soli. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen aber deutlich, dass jede Abhängigkeit vom Staat eine extrem schlechte Idee ist. Wahrscheinlich wird es in der Industrie bald eine Renaissance für alles geben, was das Unternehmen unabhängiger vom staatlichen Stromnetz macht.