Die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der Londoner Stockexchange scheitert - wie alle paar Jahre wieder. Klar ist: Weder Aktionäre noch Staat wollen das Technologie-Unternehmen. Es soll irgendwie wegfusioniert werden und möglichst verschwinden.
Die Deutsche Börse AG (DBAG) ist eine Erfolgsgeschichte. Aus dem ehemals biederen Frankfurter Unternehmen hat sich seit der Jahrtausendwende ein diversifizierter und profitabler Finanzkonzern mit einem Börsenwert von zurzeit rund 16 Milliarden Euro entwickelt. Das Produkt- und Dienstleistungsportfolio der führenden europäischen Börsenorganisation umfasst heute die gesamte Prozesskette vom Aktien- und Terminhandel über Clearing, Settlement und Custody Wertpapierhandelsabwicklung und –verwahrung). Zudem stellt sie Marktdaten bereit und betreibt elektronische Handelssysteme. Längst ist die DBAG auch ein wichtiges Mitglied ihres eigenen Börsenindex‘ DAX. Als vorausschauender Technologiekonzern fungiert sie neuerdings sogar als Inkubator für junge Fintech-Unternehmen, in denen viele Branchenkenner die Zukunft der Finanzwelt sehen. Denn Börse ist heute High-Tec. Und: Die Börse ist und bleibt das Herzstück der Finanzindustrie.
Spektakuläre Misserfolge
Doch wo viel Licht ist, ist meist auch Schatten – so auch bei der DBAG. Kaum ein anderes DAX-Unternehmen ist mit großen Fusions- und Übernahmeplänen so oft gescheitert. Da waren die Anläufe mit der London Stock Exchange (LSE) im Jahr 2000 – Aufgalopp, dann gescheitert. Mit der Swiss Exchange 2004 gescheitert, wieder mit der LSE in den Jahren 2004 und 2005, mit der Euronext 2006 sowie mit der transkontinental fusionierten New York Stock Exchange Euronext in den Jahren 2011 und 2012. Jedes dieser Fusionsprojekte war weit fortgeschritten und hat erheblichen personellen und monetären Aufwand verursacht. So viel Scheiten ist selten.
Good bye Frankfurt
Als die Vorstände von DBAG und LSE vor einem Dreivierteljahr erneut mit einem Fusionsvorhaben an die Öffentlichkeit gingen, mögen ihre Worte in den Ohren mancher Zuhörer wie der berühmte Gruß des Murmeltiers geklungen haben. Auch deshalb, weil die Vorschläge für die Megadeals stets ähnlichen Strickmustern folgen: Bereits die Auswahl der Fusionspartner folgt einem einheitlichen Schema, da es sich stets um westeuropäische oder US-amerikanische Börsenbetreiber handelt, deren geschäftlicher Schwerpunkt im weniger wachstumsstarken traditionellen Handelsgeschäft liegt.
Wie werden nun die Fusionsvorhaben den Stakeholdern und der Öffentlichkeit schmackhaft gemacht? Die Protagonisten beschreiben die geplante Transaktion – trotz divergierender Börsenwerte – gerne als „Merger of Equals“. Dann aber entpuppt sich die Transaktionsstruktur bei näherem Hinsehen meist als eine Übernahme durch die DBAG, welche den Anteilseignern des Fusionspartners folglich eine hohe Prämie für deren Aktien zu bezahlen hätte.
Als Holdingssitz des Gemeinschaftsunternehmens wird trotzdem fast immer der Sitz des Übernahmekandidaten propagiert. So sieht der neueste Fusionsplan mit der LSE denn auch London statt Frankfurt als Hauptsitz vor. Somit handelt es sich im Ergebnis regelmäßig um einen sogenannten Reverse Take-over. Und für den sollen die jeweils amtierenden Vorstandschefs der DBAG regelmäßig mit üppigen Vergütungspaketen und dem Chefposten des Gesamtkonzerns belohnt werden, allerdings unter der Kontrolle eines vom Partner beherrschten Verwaltungs- oder Aufsichtsrates.
Widerstände gegen Wegzug
Albert Einstein wird das Zitat zugeschrieben, dass „die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Vielleicht fällt der eine oder andere Fusionsbeteiligte bei der DBAG spätestens jetzt dem Wahnsinn anheim, da auch der jüngste Versuch zu scheitern droht, nachdem die LSE am 26. Februar 2017 eine Bedingung der EU-Kommission für die deutsch-britische Börsenhochzeit abgelehnt hat. Folglich werden die Wettbewerbshüter die Hochzeit wohl untersagen. Zusätzliche Widerstände gibt es seit dem Brexit-Votum der Briten vor allem aus der hessischen Landespolitik wegen des geplanten Holdingssitzes in London.
Realistische Synergieprognosen
Angesichts dieser vielen Fusionspleiten fragen sich erstaunte Beobachter, ob die Chronologie des Scheiterns tatsächlich einer Art rotem Faden folgt und welche Lehren sich daraus ziehen lassen. An der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen wurde kürzlich im Rahmen einer Bachelorarbeit ein solcher Faden gefunden: Eindeutige Parallelen bei allen bisherigen Fusionsversuchen der DBAG bestehen bei den kommunizierten Motiven. Die verantwortlichen Manager hoben jeweils die Stärkung der Markposition hervor und versprachen Kostensynergien von bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr sowie Umsatzsynergien von bis zu 110 Millionen Euro pro Jahr. Im gemeinsamen Papier der DBAG und der LSE vom 1.6.2016 werden den Investoren mit €450m p.a. und €250 Mio. p.a. nach 3 bzw. 5 Jahren sogar noch deutlich höhere Synergien in Aussicht gestellt.
Diese Zahlen erscheinen durchaus plausibel, weil Börsenbetreiber anfangs hohe Technologieinvestitionen tätigen müssen, dafür aber später wachsenden Umsätzen nur geringe variable Zusatzkosten gegenüberstehen. Es ist auch für Laien unschwer zu erkennen, dass die genannten Synergien bei Anwendung einschlägiger Multiplikatoren oder Diskontierungsfaktoren erhebliche Barwerte für die Aktionäre der Fusionspartner generieren. Allein schon deshalb ist verständlich, dass Aktionäre der DBAG immer wieder auf Fusionen mit synergieträchtigen Partnern drängen. Die Realisierung der Synergiepotenziale setzt allerdings zwangsläufig auch drastische Einsparungsmaßnahmen voraus. Alles allerdings Murmeltiergerede.
Kleinanleger abgehängt?
Ein prominentes Beispiel für aktive Großaktionärseinmischung war der britische Hedge Fund TCI. Dessen Topmanager Chris Hohn hatte in den 2000-er Jahren als bedeutender Aktionär sowohl der DBAG als auch der Euronext lange den Zusammenschluss dieser beiden Börsenbetreiber durchdrücken wollen. Aktionäre, die – wie damals TCI – an beiden Fusionspartnern beteiligt sind, brauchen sich allerdings auch weniger um die Frage zu sorgen, welcher der Partner eine Übernahmeprämie zahlt und welcher die höchsten Synergiegewinne kassiert. „Nur-DBAG-Aktionäre“, darunter tausende Kleinanleger, müssen sich allerdings fragen, ob das DBAG-Management ihre Interessen angemessen berücksichtigt – oder ob dieses Unternehmen ein klassisches Beispiel für einen Prinzipal-Agent-Konflikt ist. Charakteristisch für derartige Konflikte ist, dass ein Markakteur einen Informationsvorsprung zum eigenen Vorteil und auf Kosten seines Auftraggebers ausnutzt, dass also im konkreten Fall die Manager ihre Eigentümer übervorteilen. Wie im aktuellen Fall: Für die Fusion hatte Börsen-Vorstand Carsten Kengeter sich einen Millionenbonus zum Dienstantritt versprechen lassen und den Dienstsitz nach London – wo bereits seine Familie lebt.
Weltstadtflair macht auch was her
Aber auch bei den Gründen für das Scheitern der Fusionsversuche zeigen sich Parallelen. So haben die amtierenden Topmanager immer wieder wettbewerbsrechtliche Aspekte ignoriert. Gelegentlich kam es zu Bewertungskontroversen. Auch die Hauptquartiersdebatte polarisiert die Stakeholder immer wieder aufs Neue, wobei diese in den jeweiligen Heimatländern der Börsenbetreiber einen unterschiedlichen Stellenwert zu haben scheint. In Deutschland wurde dieser Frage bis dato kaum Bedeutung beigemessen. Lediglich die hessische Landespolitik, die eine Börsenaufsichtsfunktion innehat und ein ausgeprägtes fiskalisches Interesse an der Sitzfrage hat, fragt immer wieder kritisch nach.
Berlin dagegen verlautbart seit eh und je gebetsmühlenhaft, dass man in marktwirtschaftliche Prozesse nicht eingreifen wolle, derweil die britische und US-amerikanisch Politik hinter den Kulissen vehement für den eigenen Börsenplatz Partei ergreift. Das mag erklären, weshalb die Hauptsitzfragen stets contra Frankfurt beantwortet wurden.
Adam Smith hat nichts zu sagen
Selbst nach dem Brexit-Votum, der offenbar alle Beteiligten auf dem falschen Fuß erwischt hat, sahen Londoner Bankerkreise ein Börsenholdingsitz in Frankfurt nicht einmal als diskussionswürdig an, obwohl dadurch auch wesentliche regulatorische Argumente für Frankfurt sprechen. Dabei verweist das wirtschaftsliberale Großbritannien doch bei der Übernahme britischer Unternehmen aus anderen Ländern regelmäßig auf seine Tradition des Laissez-faire. Die ausländischen Übernahmen von Rover, Jaguar oder auch von BOC durch Linde waren in der politischen Debatte jedenfalls kein großes Thema. Doch beim Geld und dem Finanzplatz stößt die marktwirtschaftliche reine Lehre wohl auch im Heimatland von Adam Smith an Grenzen. Wissen die Entscheidungsträger andernorts den strategischen Wert eines Börsenbetreibers für den eigenen Finanzplatz und die eigene Wirtschaft mehr zu würdigen als die Entscheider hierzulande?
Zur Erinnerung: Börsen sind nicht nur beliebige steuerzahlende Unternehmen mit einigen gutbezahlten Arbeitsplätzen, sondern auch zentrale Orte für die Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital der produzierenden Wirtschaft. Zudem werden über Börsen wichtige regulatorische Standards gesetzt. In ihrem unmittelbaren Umfeld siedeln sich Banken, Fondsgesellschaften und Dienstleister wie Börsenmakler, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer an. Allenfalls eine große Zentralbank hat eine ähnlich große Bedeutung für einen Finanzplatz.
Durchwurschteln mit Salamitaktik
Nach großen Fusionen bleibt auf Dauer branchenunabhängig aber fast immer nur ein zentraler Standort übrig. Anfänglich anderslautende Beteuerungen sind lediglich Salamitaktik. Politiker sollten diese Vorgehensweise kennen, wenden sie doch oft bei heiklen Themen wie der Einführung von „Solidaritätszuschlägen“, sogenannten Eurorettungsinstrumenten wie dem ESM oder der angestrebten Bargeldabschaffung eine ähnliche Strategie an.
Es spricht wenig dafür, dass die DBAG ihre Börsenfusionsversuche ad acta legt. Das Synergiepotenzial sticht. Zudem hat die DBAG noch lange nicht alle potenziellen Partner ausprobiert. So könnte sie es mal mit der US-Technologiebörse NASDAQ versuchen – oder mit unabhängigen Plattformen wie BATTS und Kandidaten aus ganz anderen Regionen, etwa aus Asien. Die Aktionäre und das Management dürften also auch künftig viel Zeit und Geld in Fusionspläne investieren. Ob die Beteiligten endlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, ist offen. Allein schon die Änderung zentraler inhaltlicher Parameter – vor allem mit Blick auf den Holdingsitz – und eine geschicktere Kommunikation könnten die Erfolgschancen erhöhen. Irgendwann wird es den Börsenschefs schon gelingen, ihr Unternehmen zu verkaufen und den Bonus einzustreichen.
Dr. Ragotzky hat Wirtschaftswissenschaften an der European Business School Oestrich-Winkel sowie der Universität Bonn studiert und wurde an der Handelshochschule Leipzig (HHL) mit einer Arbeit über Unternehmensverkäufe promoviert.
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Werter Herr Hellerberger, ich schätze sehr Ihre Beiträge, Ihre Ansichten, sind sie oftmals ein Spiegelbild der Lebenswirklichkeit, weniger des Mainsreams. Was nun das Thema „Deutsche Börse“ angeht, sehe ich einige Punkte etwas anders. Dieses Deutschland war noch nie eine „Hochburg“ der Finanzen. Eher die „Hochburg“ der Forschung, der Naturwissenschaft und Technik. Diesen „Hochburgen“ verdanken wir unseren Wohlstand, unsere Handelsbilanzüberschüsse von ca. 250 Mrd. Euro jährlich, auch zum Vorteil für Europa. Die „Hochburgen“ der Finanzen, Wallstreet und City of London vermögen es nicht, Handelsbilanz-Defizite zu verhindern….. Ca. 500 Mrd.“Miese“ in den USA, ca. 150 Mrd. „Miese“ in GB. Wenn, eher ein… Mehr
Das ist doch schon lange ein Thema, eigentlich seit etwa 20 Jahren.
Ich sehe hier seit den 70er Jahren keine Wirtschafstpoltik oder besser Industriepolitik mehr, was hier dann gemacht wurde war sonstwas.
Ich sehe es eher so wie es im Artikel angedeutet wird. Unsere Polit-Gurken verstehen -im Gegensatz zu den Angelsachsen und auch Franzosen – absolut NICHTS von der Bedeutung eines starken Finanzplatzes, zu dem eine technische und regulatorische Basis in Form einer starken Börse ganz einfach einfach gehören muss. Die Hessen haben auch das erste mal ernsthaft interveniert, obwohl jedesmal erkennbar war, dass „höhere“ Interessen von Managern und Großaktionären (Prinzipal-Agent-Konflikte) die eigentlichen Triebfedern der Fusionen sind, bis hin zu so lächerlich provinziellem Gedankengut wie dem des Wohnorts der Familie des aktuellen Managers. Dafür gibt Berlin einen wichtigen Finanzplatzfaktor auf. Manchmal ist… Mehr
Meiner Ansicht nach benötigt die Deutsche Börse nicht unbedingt eine Fusion. In Sachen Euronext könnte man jedoch nochmal ausloten ob ein Zusammenschluss sinnvoll und durchführbar wäre. Ganz ehrlich: Was will beispielsweise die NASDAQ mit der Deutschen Börse ? Das passt meiner Ansicht nach null zusammen, und außerdem ist absehbar das da die Wettbewerbsbehörden genauso dazwischen funken werden wie bei der angedachten Fusion mit der NYSE. Auch stelle ich mir die Frage ob Börsenbetreiber aus Asien die Deutsche Börse kaufen wollten. Warum ? Wegen dem Handelssystem Xetra ? Andererseits ist auch hier absehbar, das angedachte Fusionen mit Asiatischen Wettbewerbern spätestens von… Mehr
Da hat Hessen auch „Recht“, wenn die Banken gehen oder vergehen (= kaputt gehen), dann wäre dies eine Sogwirkung für alle möglichen Dienstleister, dagegen würde dann nur noch der strateg. Standort inkl. Riesenflughafen Rhein-Main sprechen. Würde es aber echt mal soweit kommen, wäre in Frankfurt Bürgerkrieg, da keine Knete f. Transferleistung mehr da wäre.