Bundesregierung bricht Kostendämpfungs-Versprechen

Unternehmen und Gewerkschaften protestieren gemeinsam gegen den geplanten Kohleausstieg: das Wirtschaftsministerium kümmere sich nur um die Kraftwerks-Abschaltung – und ignoriere den steigenden Strompreis.

Unternehmerverbände und Gewerkschaften werfen der Bundesregierung in einem gemeinsamen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Wortbruch beim Kohle-Ausstieg vor. In dem so genannten Kohle-Kompromiss, so die Autoren des Briefes, sei ein Gesamtpaket vereinbart worden: schrittweise Abschalten der Kohlekraftwerke und Schließung der Tagebaue bis 2038, aber auch eine gleichzeitige Dämpfung des Strompreises, um die Belastungen für die Wirtschaft in Grenzen zu halten. So sah es die regierungseigene WBS-Kommission („Wachstum. Struktur, Beschäftigung“ jedenfalls vor. Von den versprochenen Maßnahmen zur Zügelung des Strompreises sei aber nichts zu sehen – stattdessen konzentriere sich das Wirtschaftsministerium ganz auf die Kraft auf sie zügige Kraftwerksabschaltung.
„Die bisherigen Vorstellungen Ihres Hauses für die Stilllegung von Steinkohlekraftwerken erfüllen uns mit Sorge“, heißt es in dem Schreiben: „Es widerspricht der Zusage, die Empfehlungen der WSB-Kommission als Gesamtpaket umzusetzen, wenn sich das Bundeswirtschaftsministerium auf die Gesetzgebung zum Kohleausstieg fokussiert und sich beim Thema Strompreis-Entlastung für unzuständig erklärt.“

Ohne Drehbuch
Der leise Abschied der Industrie
Unterzeichnet hatten den Brief Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), und Stefan Körzell vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Arbeitgebern und Gewerkschaften geht es nicht nur um die Beschäftigten der Kohleindustrie, sondern um zwei Themen, die die gesamte Wirtschaft betreffen:

Strompreis und Versorgungssicherheit. Schon jetzt sind die deutschen Strompreise die höchsten in Europa. Der Preis für eine Kilowattstunde Haushaltsstrom liegt für den Endverbraucher bei durchschnittlich 30,43 Cent – ein Rekordwert seit 1998. Aber auch die Kosten für Industriestrom rangieren in Deutschland deutlich über denen der umliegenden Länder und erst Recht der USA.

  • Im ersten Quartal 2019 stieg der Haushaltsstrompreis im Vergleich zu 2018 nach Angaben des Branchenverbandes BDEW um 3,3 Prozent
  • die Netzentgelte erhöhten sich um 1,4 Prozent
  • und die Strompreise am Terminmarkt der Börse um 10 Prozent.

Im Jahr 2019 beträgt der Anteil von Steuern und Abgaben am Strompreis 53 Prozent. Größter Anteil darin: die Erneuerbare-Energien-Umlage von derzeit 6,405 Cent pro Kilowattstunde. Dazu kommen im Schnitt noch einmal 20 Prozent Netzgebühren. Weniger als 30 Prozent entfallen auf das eigentliche Produkt – den Strom.

Besonders stark steigen die Netzgebühren, weil es immer teurer und schwieriger wird, die starken Schwankungen von Sonnen- und Windenergie auszugleichen. Dafür müssen konventionelle Kraftwerke immer öfter kurzfristig hoch- und heruntergefahren, aber auch Windparks abgeregelt werden, die Netzbetreiber müssen in wind- und sonnenschwachen Phasen teuren Strom aus dem Ausland zukaufen, in Phasen des Überschusses Elektroenergie zu Negativpreisen ins Ausland drücken, um das Netz stabil zu halten. Im Jahr 2018 stiegen die so genannten Redispatch-Kosten auf einen historischen Spitzenwerkt von 1,1 Milliarden Euro. Von Januar bis März 2019 fielen für diese Netzsicherheitsmaßnahmen schon fast eine halbe Milliarde Euro an. Die Kosten werden über die Netzgebühren auf die Verbraucher umgelegt.

Glosse
Nach-Wahl-Wehen: Handeln und nichts tun, reden und nichts sagen
Als besonders teuer erweist sich die Regelung, dass Windpark-Betreiber den Strom, den sie in die immer häufiger überlasteten Netze nicht einspeisen können, voll vergütet bekommen. Im Jahr 2018 fielen allein für diesen Phantomstrom (Fachausdruck: Ausfallarbeit) 364 Millionen Euro an. Selbst ohne Kohle-Ausstieg würde der Strompreis in den kommenden Jahren weiter steigen. Durch den Kohleausstieg dürften sich die Kosten noch einmal kräftig erhöhen. Noch tragen Braun- und Steinkohle gut 40 Prozent zur Stromerzeugung in Deutschland bei.

Zum einen macht die Abschaltung von Kohlekraftwerken deutlich mehr Stromimport aus dem Ausland nötig, um die nötige Grundlast zu sichern. Außerdem wird dadurch der Bau von noch mehr Gas-Reservekraftwerken nötig, wie es etwa der Netzbetreiber Tennet schon jetzt im bayerischen Irsching errichtet. Nach der Abschaltung des letzten Atomkraftwerkes 2022 sollen diese Reserveanlagen immer dann kurzfristig einspringen, wenn Strom durch Wetterschwankungen im Netz knapp wird. Ein wirtschaftlicher Betrieb ist durch diese Standby-Funktion nicht möglich; die Kosten legt der Netzbetreiber ebenfalls auf die Stromverbraucher um.

Werden Bergarbeiter zu Beamten?
Gebrochene Versprechen: Wie der Kohleausstieg die Lausitz trifft
Unternehmer fordern seit langem von der Bundesregierung, wenigstens die Stromsteuer von 2,05 Cent pro Kilowattstunde zu streichen. Doch dafür gibt es von Peter Altmaier bisher keine konkreten Schritte. Stattdessen, so die Autoren des Brandbriefes, plane sein Ministerium schon einseitig konkrete Stilllegungstermine für mehrere Kohlekraftwerke. Eigentlich sollte bis 2038 drei Mal überprüft werden, ob auch die anderen Versprechen erfüllt sind – Kostendämpfung und Netzstabilität – bevor Kohleanlagen wirklich vom Netz können.

„Aus unserer Sicht sollte der Ausstieg der Kohleverstromung so ausgestaltet sein, dass die im Monitoring-Kapitel genannten Kriterien zu den geplanten Überprüfungszeitpunkten 2023, 2026 und 2029 tatsächlich erfüllt sein müssen, bevor die Abschaltung weiterer Kohlekraftwerke angeordnet werden kann“, mahnen Wirtschaftsverbände und DGB.

Sowohl Unternehmer als auch Gewerkschaften wissen, dass die bisherige Geschichte der Energiewende eine der gebrochenen Beteuerungen ist. Im Jahr 2011 versprach Angela Merkel vor dem Bundestag: „Die EEG-Umlage soll nicht über ihre heutige Größenordnung hinaus steigen; heute liegt sie bei etwa 3,5 Cent pro Kilowattstunde.“

Heute liegt sie – siehe oben – bei 6,405 Cent, demnächst dürfte sie auf das Doppelte von 2011 steigen.

Im ihrer Rede versprach Merkel damals auch den Ausbau fossiler Kraftwerke, um den Ausstieg aus der Kernenergie abzusichern:

„Die schnelle Fertigstellung der in Bau befindlichen fossilen Kraftwerke mit einer Leistung von rund zehn Gigawatt bis 2013 ist aus Gründen der Versorgungssicherheit und der Netzstabilität unabdingbar. Mindestens zehn, eher 20 weitere Gigawatt müssen in den nächsten zehn Jahren hinzugebaut werden.“

Jetzt sollen fossile Anlagen bis auf Gaskraftwerke auch verschwinden; das moderne Steinkohlekraftwerk Datteln 4, das damals zu den „unabdingbaren“ Neubauten zählte, soll gar nicht erst ans Netz gehen.

Auch heute versichert Wirtschaftsminister Altmaier wie Merkel 2011, die Begrenzung von Stromkosten und die Netzstabilität seien unabdingbar. Was er dafür konkret tut, beantwortet er nicht.

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Kommentare ( 22 )

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K. Sander
5 Jahre her

Herr oder Frau MerGau, wo kommen dann die Kerzen her? Da müssen wir wieder wie früher Wale fangen, um das Walöl für die Kerzenherstellung zu bekommen. So endete das vor ungefähr 100 Jahren. Es ging mit der Kohle los und die Fischer waren sauer, weil niemand mehr Wale brauchte. Nun ändert es sich wieder. Kerzen aus Walöl, kann man dann „nachhaltig“ und „erneuerbare Energie“ nennen … sind doch Bioprodukte.

MerGau
5 Jahre her

Der Windkraftausbau wird durch Klagen ausgebremst.
Die DUH legt Tagebaue lahm.
AKW gehen vom Netz.
Noch ordentlich Kerzen und Streichhölzer besorgen, bevor die knapp werden.
Und weiter CDU und SPD wählen.

mmn
5 Jahre her

Wer sich bei dieser Regierung und ihren Versprechungen immer noch auf irgendetwas verläßt, hat’s noch nicht kapiert. Tröstet es uns, daß in diesem Fall auch die Unternehmen bluten? Eher nicht, denn an unserer Lage ändert das nichts; und die Unternehmen können sich sogar mit ihrer Lobbyarbeit bessere Bedingungen verschaffen (oftmals dann auch noch zu unseren Lasten).

Biskaborn
5 Jahre her

Gewerkschafter und Arbeitgeberverbände sind die größten Opportunisten des Landes, insofern gebe ich diesem Pseudobrief keine Chance auf Gehör. Längst geht es ausschließlich um die Umsetzung einer grünen Ideologie, da stören solche Briefe nur. Die Freitagshüpfer mit ihren Lehrern, grüne NGO‘s und weitere Umwelteiferer, die grünen Medien nicht vergessen, werden dafür sorgen, das dieser Brief schnell im Papierkorb verschwindet. Arbeitgebervertreter und Gewerkschaftsbosse werden sich dann schnell wieder dem Kampf gegen Rechts zuwenden und Herr Kempf wird vor der AfD warnen die aufgrund des Wahlergebnisses Investitionen verhindert.

mlw_reloaded
5 Jahre her

Aja. Atom weg Kohle her, und dann ein paar Jahre später Kohle weg EEs her. Wird nicht teurer, großes Indianerehrenwort. Und wenn doch, check erstmal your priviledge, verwöhnter Michel! Dieser Staat verfügt de facto über kein Organ, das die Lügen von Politikern sanktioniert. Wer denkt die Medien und Wähler wären das, überschätzt die Herden-Intelligenz um viele Größenordnungen.

Wolfgang M
5 Jahre her
Antworten an  mlw_reloaded

Eigentlich müsste die Opposition und die Medien die Regierung kontrollieren. Da die Regierung das macht, was sich Opposition und die linksgrünen Medien wünschen, gibt es keine Widerworte. Alle 4 Jahre kann der Wähler ein Votum dazu abgeben. Bei der letzten Bundestagswahl bekam Merkel durch die Wähler eine Klatsche. Die Medien interpretierten das anders. „85 % haben gegen die AfD und deshalb für die Merkelpolitik gestimmt.“ Bei mir waren es 32% Zuspruch. Merkels Kommentar: „Ich weiß nicht, was ich an meiner Politik ändern müsste.“ Weil die Medien behaupten, dass die AfD gewinnt, wenn die CDU mehr konservative Politik macht (man wählt… Mehr

W aus der Diaspora
5 Jahre her

Soll doch der Preis ruhig bei 0,50 Euro /KWh landen. Und bitte alle konventionellen Kraftwerke ausschalten. Dann dürfen die in Berlin mal richtig Tretroller fahren – ganz ohne Strom – hey, das wird lustig 🙂

Snakebite
5 Jahre her

Ich mache mal eine Prophezeiung: Irgendein „schlauer“ Politiker wird auf die Idee kommen die „Stromkosten“ zu deckeln, also den Preis pro Kilowattstunde festzulegen den die Stromkonzerne verlangen dürfen. Trotzdem wird der Strompreis steigen…. Nicht weil die Stromkonzerne den „Strompreisdeckel“ nicht einhalten, sondern durch neue Steuern und Abgaben. (zB. durch die CO² Steuer/CO² Zertifikate etc.) Und was macht dieser „schlaue“ Politiker wenn er darauf hingewiesen wird, das der „Strompreisdeckel“ nicht gewirkt hat? 1. Den Stromkonzernen die Schuld geben. 2. Enteignung der Stromkonzerne fordern. 3. Wenn die Strompreise dann trotz Enteignungen trotzdem weiter steigen, sind dann „böse rechte Nichtenergiesparer“ und der Kapitalismus… Mehr

Tesla
5 Jahre her

Wer sich heutzutage auf (regierende) Politiker verlässt, der ist verlassen. Von allen guten Geistern.

Heinrich Niklaus
5 Jahre her

Eben gerade haben in Sachsen wieder über 30 Prozent CDU gewählt. Weshalb kommen die Unternehmerverbände und Gewerkschaften jetzt erst mit dieser Lagedarstellung?

Da fehlt es wohl an der Zivilcourage!

norbertb783
5 Jahre her

Wenn man sich die Qualifikation unserer „RegierungsdarstellerInnen“ anschaut, dann wundert einem gar nichts mehr. Auch das Ergebnis bzw. der Mißerfolg der ideologischen Energiewende nicht. Es war schon hirnlos überstürzt aus der Kernenergie aus zu steigen, wenn jetzt noch die Stromerzeugung aus Kohle abgeschaltet ist, dann heißt es zurück auf die Bäume oder ausgewandert sein.