Die Automobilindustrie im Mai 2020

Die Automobilindustrie steht im Mittelpunkt der durch die Coronapandemie ausgelösten Wirtschaftskrise. Eine Analyse von Helmut Becker

imago images / Geisser

Vorbemerkungen

Das CoViD-19 Virus beherrschte im ersten Halbjahr 2020 die Welt! Die Weltwirtschaft kollabierte. Einen solchen universalen Kollaps hatte es seit Ende des Zweiten Weltkrieges in dieser Form noch nicht gegeben – selbst während der Ölkrisen nicht.

Und dennoch ist es im Augenblick für Analysten schwer, die Heftigkeit des Einbruchs in Bild und Zahl widerzugeben. Darunter leidet auch der vorliegende -erste- Branchenreport. Der Grund für diese Schwäche jedweder, auf statistische Monatszahlen gegründeten aktuellen Berichterstattung liegt darin, dass die amtliche Statistik systembedingt der aktuellen Ist-Entwicklung um –manchmal – Monate hinterherhinkt. Dazwischen klafft eine Informationslücke! Vereinfacht ausgedrückt: Der Ökonom hat zwar die Erkenntnis, aber (noch) nicht die Zahlen, die das belegen können. 

Besonders krass zeigt sich diese Lücke, und umso befremdlicher wirkt sie auf den Leser, je dynamischer – in unserem Fall dramatischer – die tatsächliche Entwicklung abläuft. Wie das eben nun eben Mal in der Corona Krise der letzten Monate der Fall war. Stets war er kundige Leser durch Eigenbeobachtung und die Medien aktueller – nicht immer besser – informiert, als der Ökonom, der die –überholten – Daten der amtlichen Statistik analysieren und interpretieren musste. Getreu dem bekannten Kalauer aus der Ökonometrie-Vorlesung: „Hier sehen sie, was nicht sehen!“

Nachfolgend versucht der „Ökonom“ diese Diskrepanz zwischen Daten- und Erkenntnisstand verbal auszugleichen.

  1. Internationalen Automobilkonjunktur März 2020: Corona Krise lässt Automobilmärkte einbrechen (Tabelle 1)

Die galoppierende Corona -Pandemie führte zu einer bis dahin nicht gekannten Rezession der Weltwirtschaft. Das Zusammentreffen von Angebots- und Nachfrageschock sowie des fast totalen Lockdown des öffentlichen Lebens und der staatlichen Maßnahmen zur Virusbekämpfung haben im Osten wie im Westen zum Fast-Zusammenbruch aller Volkswirtschaften geführt

Im Mittelpunkt der Krise stand die Automobilindustrie: ihre globalen Absatzmärkte kollabierten, Fabriken wurden geschlossen, die Produktion stillgelegt, Händlerbetriebe zugesperrt, Zulassungsstellen dichtgemacht. Kurz: Es kam zum totalen Lockdown in Produktion und Beschäftigung in der Autobranche. Besonders schwer getroffen waren vor allem bei kleine und mittlere Zulieferunternehmen sowie automobilnahe Selbständige und Dienstleistern.

Die globale Corona-Pandemie hat die Automobilmärkte fest im Griff. Die zur notwendigen Eindämmung verhängten staatlichen Maßnahmen haben zu massiven Einbrüchen geführt. In Europa (EU27 & EFTA & UK), China und Indien hat sich der Pkw-Absatz im März jeweils halbiert. In den USA und Brasilien ging es ebenfalls deutlich zweistellig abwärts. Lediglich in Japan blieb das Minus einstellig.

In Europa wurden im März insgesamt 853.100 Pkw neu zugelassen, 52 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Die fünf größten Einzelmärkte zeigten sich durchweg rückläufig:

  • Am stärksten in Italien (-85 Prozent), wo bereits Anfang März ersten Eindämmungsmaßnahmenergriffen wurden. 
  • In Frankreich (-72 Prozent) und Spanien (-69 Prozent) gingen die Neuzulassungen jeweils um fast drei Viertel zurück. 
  • In Großbritannien wurde ein Minus von 44 Prozent verzeichnet.
  • In Deutschland gaben die Neuzulassungen im März bereits um 38 Prozent nach; der April wurde erheblich schlimmer (siehe unten)

Das erste Quartal 2020 schließt der europäische Pkw-Markt mit einem deutlichen Minus ab: 3,1 Mio. Neufahrzeuge entsprechen einem Rückgang von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Das war seit Anfang der 2000er-Jahre das zulassungsschwächste erste Quartal, das in Europa registriert wurde.

  • In den USA sank das Volumen der Verkäufe im März um 38 Prozent auf 992.400 Light Vehicles (Pkw und Light Trucks). Zuletzt wurden im November 2011 weniger Fahrzeuge verkauft. 
  • In China musste der Markt auch im März einen starken Rückgang verbuchen: Das Marktvolumen ging um 48 Prozent auf 1,0 Mio. Neufahrzeuge zurück. Mit 2,8 Mio. ausgelieferten Fahrzeugen war das erste Quartal 2020 damit das absatzschwächste Quartal seit 2011. Das Minus in Höhe von 45 Prozent im bisherigen Jahresverlauf ist der größte Rückgang in einem Quartal auf dem chinesischen Markt.
  • Der japanische Pkw-Markt gab im März um 9 Prozent nach und erreichte ein Niveau von 485.200 Einheiten. Im laufenden Jahr wurden bisher 1,1 Mio. Pkw verkauft, 10 Prozent weniger als in den ersten drei Monaten des Vorjahres.
  • In Brasilien fiel der Absatz im März um 22 Prozent auf 156.300 Neufahrzeuge. Im ersten Quartal wurden insgesamt 534.300 Pkw neu zugelassen, 8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
  • Der russische Markt entwickelte sich im ersten Quartal noch entgegen dem weltweiten Abwärtstrend positiv: Mit 398.500 Neufahrzeugen wurden sogar rund 2 Prozent mehr Fahrzeuge verkauft als im Vorjahreszeitraum.- Das wird sich allerdings im April bereits erheblich ändern.

 

  1. Automobilkonjunktur Deutschland: Massiver Einbrüche bei allen Schlüsselindikatoren (Schaubild, Tabelle 2)

Bereits bevor das Corona Virus die deutsche Autoindustrie im März 2020 voll erwischt hat, befand sich die Branche im konjunkturellen Abwärtstrend. Die Auftragseingänge sowohl aus dem Ausland wie aus dem Inland schwächten sich seit Beginn 2019 fast stetig ab, lagen im Februar 2020 aber immer noch auf dem Höchststand, den sie vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 erreicht hatten.

In den Folgemonaten kam es dann sowohl auf dem deutschen Automobilmarkt wie in der gesamten Branche zu drastischen Einbrüchen bei Produktion und Export. Im April zeigte sich dann folgendes Bild:

  • Die Pkw-Neuzulassungen brachen gegenüber dem Vorjahresmonat um 61 Prozent ein. Insgesamt wurden 120.800 Pkw neu zugelassen – so wenig wie noch nie in einem Monat im wiedervereinigten Deutschland. In den ersten vier Monaten 2020 wurden 822.200 Pkw neu zugelassen (-31 Prozent). 

Diese Zahle dürfte auch Richtschnur für das gesamte Jahr 2020 sein.

  • Auch der Auftragseingang aus dem Inland ist nach Angaben des VDA im April massiv unter das Vorjahresniveau gesunken (-70 Prozent). In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres gingen 32 Prozent weniger Aufträge aus dem Inland ein. Aus dem Ausland wurden im April 47 Prozent weniger Bestellungen verbucht. Im bisherigen Jahresverlauf lag der Auftragseingang aus dem Ausland um 25 Prozent unter Vorjahresniveau.
  • Die Pkw-Produktion wurde von den Auswirkungen der Corona Krise so stark betroffen wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik.  Im April haben die deutschen Pkw-Hersteller ihre Produktion nahezu vollständig eingestellt: Es liefen lediglich 10.900 Pkw vom Band (-97 Prozent). Nach vier Monaten lag die Fertigung bei 1,0 Mio. Einheiten (-38 Prozent). 
  • Was nicht produziert wird kann auch nicht exportiert werden: Auch das Exportgeschäft ist im März/April 2020 fast vollständig zum Erliegen gekommen: nur noch 17.600 fabrikneue Pkw wurden exportiert (-94 Prozent). Im bisherigen Jahresverlauf wurden 794.700 Fahrzeuge exportiert (-38 Prozent). – Angesichts einer vergleichbaren Rezession in allen Partnerstaaten sind spürbare Nachholeffekte im Rest des Jahres wenig wahrscheinlich. 

Dr. Helmut Becker war Mitglied des Sachverständigenrates („Fünf Weise“), begleitete 24 Jahre als Chefvolkswirt den Expansionskurs der BMW AG und war Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Business Economists (VDBE). Mit seinem Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) berät er Unternehmen, Banken, Dienstleister in strategischen, gesamtwirtschaftlichen, wirtschaftspolitischen und automobilspezifischen Fragen.

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Kommentare ( 2 )

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2 Comments
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Gottfried
4 Jahre her

Ist doch super. Der erste Schritt zur Deindustrialisierung ist gemacht.

Ratax
4 Jahre her

Die Covid-Krise ist ein Brandbeschleuniger für die ohnehin bereits bestehende Krise der Automobilindustrie. Es treffen einige Faktoren zusammen, welche die Industrie und den Wohlstand in vielen Regionen Deutschlands langfristig deutlich vermindern werden, nämlich – die Marktsättigung, welche zuletzt mehrfach durch Abwrackprämien geschoben wurde – die Bekämpfung der Autoindustrie durch Grüne und Linke, die sich in Medien, Ministerien und Verwaltungen, auch in der EU, in Stellung gebracht haben – der staatliche Druck zur Förderung der Elektromobilität, die als Nieschenlösung sinnvoll sein kann, in der Breite aber nicht – die ständige Erhöhung von Stromkosten und anderen Energieträgern durch EEG-Abgabe und Besteuerung –… Mehr