Autobau, Chemie, Pharma – Deutschlands Vorzeige-Branchen stürzen ab

Die Wirtschaftsbereiche, die lange einen großen Teil des Wohlstands erarbeiteten, leiden unter hohen Energiepreisen, Bürokratie, staatlichen Eingriffen. Die Ampel schenkt den Managern kaum Gehör – sie hat gerade Wichtigeres zu tun

IMAGO

Am Donnerstag fand wieder einmal ein Krisentreffen im Kanzleramt statt. Dieses Mal mit Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Vertretern der Pharmaindustrie. Deren Botschaft war eindeutig: falls sich die Standortbedingungen in Deutschland nicht schnell und durchgreifend ändern, bleibt der Branche nichts anderes übrig, als Arbeitsplätze und Wertschöpfung massiv zu verlagern.

Der Branche, die 2022 einen mit Umsatz von 56 Milliarden Euro erwirtschaftete, gehörte wie die Auto- und die Chemieindustrie lange zu den profitabelsten Wirtschaftsbereichen mit den bestbezahlten Arbeitsplätzen. Für die deutsche Volkswirtschaft waren sie, was in der Managersprache Cash Cow heißt: die besten Geldbringer. Heute müssen alle drei gegen massive Probleme kämpfen, manche selbst erzeugte, aber sehr viele, die ihnen die Politik beschert. Nach dem Treffen in Berlin zeigte sich, dass Gesundheitsminister Lauterbach vor allem eins gut beherrscht: die politische Kommunikation. „Lauterbach will Pharma-Produktion nach Deutschland holen“, titelten die „Süddeutsche“ und ein gutes Dutzend anderer Medien, so, als könnte ein Politiker Produktion ähnlich mühelos herbeischaffen, als würde es sich um wie Milch aus dem Supermarkt handeln.

Bei dem Treffen in Berlin ging es vor allem darum, die existierenden Pharmaunternehmen überhaupt in Deutschland zu halten. Denn die leiden wie andere Wirtschaftsbereiche unter der toxischen Kombination aus Bürokratie und hohen Energiekosten. Bürokratie beutet hier konkret: schon die Genehmigung von Testverfahren und erst recht die Zulassung neuer Medikamente dauert in Deutschland deutlich länger als anderswo – falls es sich nicht um ein politisch dringend gewünschtes Präparat wie den Corona-Impfstoff handelt. Neben den Hemmnissen bei der Forschung stöhnen Pharmaunternehmen unter den gestiegenen Strom- und Gaspreisen. Sie können die gestiegenen Kosten in vielen Fällen nicht weitergeben, da die Verträge mit den Krankenkassen die Preise für zahlreiche Medikamente deckeln. Viele Grundmedikamente lassen deshalb in Asien deutlich günstiger herstellen. In der Vereinigung „Gesunde Industriepolitik – der Fortschrittsdialog“ versuchen mit Amgen, Bayer, Gilead, GlaxoSmithKline, Novartis, Roche und Boehringer Ingelheim mehrere in Deutschland produzierende Firmen, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Lauterbach versprach nach dem Treffen eine „Reindustrialisierung in Deutschland“ und ein vereinfachtes Zulassungsverfahren. Ob das tatsächlich kommt, ist völlig offen. Der Rückstand in der Forschung im Vergleich zu anderen Ländern existiert nicht erst seit gestern.

Großbritannien verzeichnet etwa 20mal mehr Medizin-Patente als Deutschland. Aber selbst, wenn Lauterbachs vollmundige Versprechen bei der Entbürokratisierung Wirklichkeit würden – sie allein helfen der Branche kaum, wenn die Energiekosten weiter derart hoch bleiben. Hier will Robert Habeck offenbar den Unternehmen nicht entgegenkommen – weder in der Pharma- noch in der Chemie- und Fahrzeugbranche.

Die Krise trifft ein Unternehmen der Branche deutlich härter als andere: Bayer. Der Konzern leidet unter den Energiepreisen, aber auch unter ganz eigenen Krisensymptomen. Am 20. November sackte der Bayer-Aktienkurs um gut 18 ab. Das lag zum einen an der Beendigung einer Studie für ein Medikament, von dem Bayer sich viel erhoffte – und an einer neuen Niederlage im der Prozess-Serie um den Pflanzenschutzwirkstoff Glyphosat in den USA. Bayer stellte für die Verfahren ursprünglich 16 Milliarden Dollar zurück; gut 6 Milliarden Dollar befinden sich noch in der Kasse und binden Kapital, das für Investitionen fehlt. Die hohen Aufwendungen für Energie zehren zusätzlich an den Margen.

Auch der zweiten großen Cash-Cow-Branche geht es schlecht. In der Chemieindustrie schlagen die Energiekosten noch deutlich stärker auf Ergebnisse und Jobs durch. Branchenprimus BASF legte deshalb mehrere Anlagen im Stammwerk Ludwigshafen still, darunter eine von zwei Ammoniak-Anlagen, und strich 700 Stellen in der Produktion, dazu 2600 Jobs im Service- und Forschungsbereich. Evonik, Nummer zwei in der chemischen Industrie, plant eine Kosteneinsparung von 250 Millionen Euro. Zu dem Plan gehört eine Auslagerung von drei Unternehmensbereichen, zwei davon in Deutschland, in denen zurzeit noch 4000 Beschäftigte arbeiten. Ob alle von den neuen Servicegesellschaften übernommen werden, ist wenig wahrscheinlich: Der Konzern gibt ausdrücklich keine Beschäftigungsgarantie. Der US-Chemiekonzern Dow, der in Deutschland rund 3600 Menschen beschäftigt, plant den Abbau von etwa 2000 Stellen. Bei dem Kölner Chemieunternehmen Lanxess fällt die Schrumpfung um 460 Stellen noch vergleichsweise mild aus. Aber quer durch die Branche heißt es: Bleibt die Energie in Deutschland so teuer, dann gehen Stellenstreichung und Produktionsverlagerung ins Ausland eher noch schneller weiter als bisher.

Die Autoindustrie, ehemals die ergiebigste der drei Milchkühe, leidet am stärksten. Sie trifft ein doppelter Schlag: natürlich auch die hohen Energiekosten – aber mehr noch das von der EU verfügte und von Wirtschaftsminister Robert Habeck eifrig unterstützte Verbrenner-Verbot bis 2035. Beides zusammen könnte für den gesamten Industriezweig am Ende tödlich ausgehen. Von den 27 000 Arbeitsplätzen der Automobil-Zulieferungssparte von Bosch etwa hängen etwa 80 Prozent am Verbrenner. Dem Konzern, der zum deutschen Industrieadel gehört, steht ein Umbau mit der Kettensäge bevor. Der Getriebehersteller ZF kündigte schon an, aus dem gleichen Grund in seinem Werk Saarbrücken 6000 Jobs abzubauen. Auch der CEO des Autobau-Zulieferers Mahle, wo derzeit noch 30 000 Beschäftigte ihr Geld verdienen, bereitet die Mitarbeiter auf ein großes Schrumpfen vor: „Wir werden deutlich weniger sein.“ Reifenhersteller Michelin will bis 2025 vier seiner deutschen Werke mit insgesamt 1500 Beschäftigten schließen. Für den Konzern geben die hohen Energiepreise im Vergleich zu den asiatischen Herstellern den Ausschlag – aber auch die Aussicht darauf, dass in Zukunft vermutlich insgesamt weniger Autos einen Käufer finden.

Habeck beschwört in seinen Reden, ohne den Begriff explizit zu verwenden, die „schöpferische Zerstörung“ nach Josef Schumpeter: Altes verschwindet, dafür kommt Neues. Die Habecknomics sehen allerdings nur die Zerschlagung der bewährten Geschäftsmodelle vor, also die unschöpferische Zerstörung. Die Illusion, wenigsten einen Teil der Wertschöpfung neu zu gewinnen, indem Deutschland die Produktionsstätten von Elektrofahrzeugen anzieht, zerfällt gerade. Die ersehnten Fabriken entstehen dort, wo günstige Strompreise und vergleichsweise niedrige Steuern locken: Der chinesische Elektroauto-Hersteller BYD baut sein Europa-Werk nicht wie erhofft in Saarlouis, wo Ford demnächst die Tore schließt. Sondern in Ungarn. Ford wiederum fertigt sein neues Elektroauto künftig im spanischen Valencia.

Bis jetzt scheinen Kanzler Olaf Scholz und sein Wirtschaftsminister noch nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen, was der Volkswirtschaft droht, wenn die drei stärksten Branchen des Landes gleichzeitig in eine überwiegend von der Politik verursachte Krise stürzen. Und zwar nicht in eine konjunkturelle Krise, nach der es wieder bergauf geht, sondern in eine Tiefe, für die sich bis jetzt kein Ende absehen lässt.

Scholz kündigte kürzlich trotz Haushaltssperre und 60-Milliarden-Loch gerade eine kräftige Vier-Milliarden-Spritze an – für die „EU-Afrika-Wasserstoffinitiative“. Und reiste anschließend mit dem halben Kabinett zur Klimakonferenz nach Dubai, um dort 100 Millionen Euro für einen Weltklimafonds zu versprechen. Die heimische Wirtschaft? Kann warten. Irgendwann gibt es wieder einen Gipfel im Kanzleramt.

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Kommentare ( 57 )

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Grumpler
1 Jahr her

Wenn Demokratie das politische System darstellt, in dem der Regierungswechsel unblutig und nicht durch einen gewaltsamen Umsturz herbeigeführt wird, darf man mal fragen, wie das vor Ablauf der Legislaturperiode geschehen kann? Meine Frage bezieht sich nicht nur auf die jetztige Regierung, sondern wahrscheinlich auch auf de nächste. Mitwirkung der Bürger bei uns ist nicht vorgesehen, das Befolgen von Vorschlägen aus dem Irrenhaus allerdings schon. Zeitenwende? Für wen? Nebenbei: Automobil-, Chemie-, Pharma- und auch die Maschinenbaubranche sollen jetzt nicht jammern. Die haben qualifizierte Kompetenz in Form von Experten in ihren Reihen — etwas, was die Grünen nicht haben. Vielleicht hätte man… Mehr

drnikon
1 Jahr her

Die Zerstörung Deutschlands begann spätestens mit der Abwicklung von Hoechst und Einführung des Euros. Dann wurde Hanau verkauft und die modernste Kokerei ging nach China. Dann kam Merkel und erklärte die KKW für überflüssig und wollte gefälligst nur noch E-Autos sehen.
Wer profitiert davon?
Die meisten deutschen Firmen planen einen Sprung über den Teich. Dort ist die Energie nicht nur deutlich günstiger, man hält nicht nur frisch gedrucktes Geld für Industrien bereit, sondern die Amis brauchen unbedingt Industrieperlen, weil sie immer öfters am Weltmarkt nicht mithalten können. Wenn hierbei Europa als Konkurrent wegfällt, wird das sicherlich keinen drüben traurig machen.

rbayer
1 Jahr her

machen sie doch einmal folgendes einfaches experiment: setzen sie sich in eines der noch existierenden klassischen deutschen gasthäuser auf dem land (einfache speisen, die auf zwei din-a5-blätter passen: 1x warm, 1x kalt; in meist noch hervorragender qualität), und zwar unweit des stammtisches. hören sie bei ein, zwei glas wein (anders ist es kaum zu ertragen) den stammtischlern zu. Wikipedia: „Dem Stammtisch wird oft eine vereinfachende, undifferenzierte Argumentationsweise unterstellt“. heutzutage ist der stammtisch aber, im gegensatz zu der weit verbreiteten vorstellung, es handle sich um alte tumbe (sozusagen, gruß an tilde michels: trumpe) verbohrte rechte männer, meist zu 80% von grünen… Mehr

Carl22
1 Jahr her
Antworten an  rbayer

Hier noch ein Exemplar des allwissenden Grünlings aus dem Biergarten in Oberschwaben, Sommer 2022. Stentorstimme, gewohnt daß man ihm Gehör schenkt und Kompetenz zutraut. Es ging um „den Putin“ und seine Schliche. Eine älteres Fräulein am Tisch sorgte sich um die Energielage, da man ja das billige russische Gas jetzt sanktioniert habe. Dem Grünling sträubten sich die Augenbrauen, und jeder im Biergarten hörte seine Entgegnung: „Der Putin hat uns ja lange genug mit seiner billigen Energie g e k ö d e r t , jetzt hat das Gottseidank ein Ende!“. Kurzes Schweigen, dann das Fräulein: „Da haben Sie auch… Mehr

Carl22
1 Jahr her

Die pharmazeutische Industrie in der BRD hat sich bis heute vollkommen der verderblichen Ideologie der Energiewende verschrieben, indem sie auf Gas „im Zuge der Energiewende als umweltverträglichere Überbrückungslösung auf dem Weg zu einer emissionsfreien Energieversorgung“ gesetzt hat. Der Gasverbrauch der pharmazeutischen Industrie in Deutschland hat sich zwischen 2010 und 2019 verdreifacht, von 10 TJ auf 32 TJ! Es ist unfaßbar: Im blind-blöden Vertrauen auf die sog. Energiewende fußt die derzeitige deutsche pharmazeutische Industrie zu 40% auf ununterbrochener Gasanlieferung! Und hofft immer noch auf baldigste Erlösung durch die „emissionsfreie Energie“. Nun ist das täglich Gas, diese „umweltverträglichere Überbrückungslösung auf dem Weg zu einer… Mehr

Reinhard Schroeter
1 Jahr her

Die Ampel schenkt den Managern kaum Gehör. Warum sollte sie, wenn doch die Manager sich darin zu überbieten versuchen, der Ampel Gehör schenken ? Nicht einer von denen macht das Maul auf, in vorauseilendender Beflissenheit den Politikclowns gegenüber, kann niemand weltweit den deutschen Managern das Wasser reichen. Diese schon sprichwörtlichen Nieten in Nadelstreifen, sehen sich nur sich selbst gegenüber in der Pflicht. Wenn die Autobude, der sie heute vorstehen Pleite geht, finden sie sich morgen in der Chefetage einer Käserei oder einer Hühnerfarm wieder. Sie müssen weder was vom Autobauen, noch vom Käsen und schon gar nichts vom Eierlegen verstehen.… Mehr

AL
1 Jahr her

Alles gut und richtig so und mehr als verdient für ein schlafwandelndes Volk von Staatsgläubigen. Leider bin ich hier gefangen und muss das bis zum Ende aushalten.

Karl Moritz
1 Jahr her
Antworten an  AL

mein Opa ( Gott hab Ihn selig ) sprach davon dass man in der Gemeinschaft immer so schlau ist wie der Dööfste und immer so schnell wie der Langsamste .

Sonny
1 Jahr her

Ich glaube, der hier oft beschriebene, deutsche „Dumm-Michel“ bekommt das mittlerweile doch in der überwiegenden Mehrheit sehr wohl alles mit. Natürlich gibt es einen unbelehrbaren oder völlig versifften Grundstock von ca. 20%, der die Realität nicht sehen will, aber der Rest sitzt völlig schockiert wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor der hundertköpfigen Schlange, die mit der Rassel klappert und den Todesstoß im Blick hat. Und wir hier, die wir die Augen weit offen haben, fühlen uns hilflos ausgeliefert, denn was können wir denn wirklich tun? Was? Demonstrieren, um mit Wasserwerfern und Schlagstöcken dafür „belohnt“ zu werden? Da pellen die sich, wie… Mehr

Hannibal ante portas
1 Jahr her

„Die Ampel schenkt den Managern kaum Gehör – sie hat gerade Wichtigeres zu tun“ Werte Redaktion, Sie sollten sich einmal auf den sicherlich verschwörungstheoretischen Ansatz einlassen, dass es haarklein genauso gewollt ist, so wie es ist. Man ist auch ohne Geständnis schuldig, wenn alle Beweise gegen den Angeklagten sprechen. Es riecht wie ein Hase, es rennt wie ein Hase und es sieht aus wie ein Hase. Was könnte es sein??

Axel Fachtan
1 Jahr her

Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Mit Euro und EU ging es steil aufwärts. Die Energiewende seit 1998 hat Deutschland groß und stark gemacht. Die Zuwanderung aller Ingenieure und Ärzte dieser Welt seit 2015 hat dem Land einen unfassbaren Aufstieg ermöglicht. Niemand braucht mehr Sozialleistungen. Alle leben hier von ihrer Hände Arbeit. Die Infrastruktur ist im besten Zustand aller Zeiten. Keine Brücken sind hier älter als 30 Jahre. Der Tag der Befreiung liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. Der Weg zur Befreiung ist durch die Parteien exzellent präpariert worden. Von Scholz lernen heißt siegen lernen. Es gibt keine Staatsschulden und keine… Mehr

Kaktus 61
1 Jahr her

Ein Minister spricht schon von „Reindustrialisierung in Deutschland“. Also ein Offenbarungseid und Wunschdenken zugleich. Was weg ist, ist weg.