Zehn Jahre nach der Insolvenz der Lehman Brothers sind immer noch nicht alle Probleme gelöst. Es könnte wieder krachen. Ein Gastbeitrag von Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen.
Die Insolvenz der Lehman Brothers Investmentbank am 15. September 2008 hat wie ein monetärer Urknall gewirkt. Heute noch hallt der Schock nach. Eine international vernetzte Bank hat das gesamte Bankensystem an den Abgrund geführt. Ohne Rücksicht auf neoliberale Verbotsschilder schaltete die deutsche Politik auf ein Bankenrettungsprogramm von über 480 Mrd. € um. Als dann auch noch die weltweite Bankenkrise vor der Gesamtwirtschaft nicht Halt machte und in Deutschland die Wertschöpfung 2009 um knapp 5 Prozent einbrach, wurde in der Not die zuvor verpönte antizyklische Konjunkturpolitik à la Keynes mit zwei Programmen reaktiviert. Auch war die Hektik anfangs groß, die Finanzmärkte durch Ge- und Verbote zu bändigen.
Um die Geschäfte zu forcieren, sind vergleichbar dem Werk von Finanzalchimisten, Spekulationsinstrumente oftmals von Investmentbank-Abteilungen kreiert und ohne Kundenauftrag verramscht worden. Im Zentrum stand der Handel mit Derivaten. Das sind oftmals auch Wetten, die nichts mehr mit der realwirtschaftlichen Produktion zu tun haben. Ohne Informationen über die Bonität sind Kredite für den Hauskauf bis zur Unkenntlichkeit verpackt worden. Als die Hypotheken wegen schrumpfenden Arbeitseinkommens durch die „Häuslebauer“ nicht mehr bedient werden konnten, platzte die Immobilienblase. Im heutigen Finanzmarktkapitalismus steht die hoch konzentrierte Herrschaft der Investitions- Hedge- und Private Equity-Fonds sowie das Investmentbanking machtvoll im Zentrum. Diese Fonds wirken wie Staubsauger, die weltweit Geldkapital einsammeln und bei der Suche nach rentablen Anlagen Druck auf Unternehmen der Realwirtschaft ausüben. Um die von der Realwirtschaft entkoppelten Geschäftsfelder entfalten zu können, mussten jedoch erst noch die institutionellen Barrieren der streng geordneten und kontrollierten Finanzmärkte eingerissen werden. Deshalb ist das entscheidende Datum für den Start entfesselter Finanzmärkte nicht der 15.9.2008, sondern der 27. Oktober 1986. An diesem Tag hat Maggie Thatcher mit dem „Big Bang“ den Finanzplatz London komplett dereguliert.
Trotz der vielen Aktivitäten zur Regulierung der Finanzmärkte zusammen mit der „makroprudenziellen“ Beobachtung der Systemrisiken durch Finanzstabilitätsräte sind die Risiken einer neuen Krise nach zehn Jahren nicht gebannt. Die alten Risiken wie die erhöhte Eigenkapitalausstattung von Banken und die Trennung von Kundengeschäften und spekulativem Investmentbanking sind unzureichend geregelt worden. Neue Risiken kommen hinzu. Dazu zählen gigantische Summen an „faulen Krediten“ in den Bankbilanzen sowie die drohende Zins¬satzerhöhung durch die Notenbanken. Vor allem aber die Flucht aus dem regulierten Bankensektor in das Reich der Schattenbanken entwickelt sich zum Megarisiko, denn diese sind mit den kontrollierten Banken stark verbandelt. Schließlich werden nicht nur in den USA wichtige Gesetze zur Bankenregulierung wieder demontiert. Die eigentliche Kerngefahr eines erneuten Absturzes der Finanzmärkte ist immer noch nicht gebannt. Durch die Suche nach rentablen Finanzanlagen wird der Druck auf den Finanzmärktekessel erzeugt. Und wer steckt dahinter? Es sind die Vermögenden und Unternehmen, die anstatt ihre Gewinne für Sachinvestitionen einzusetzen, der Illusion der Geldvermehrung auf den Finanzmärkten verfallen sind. Die wichtigste Lehre zur Bändigung der Finanzmärkte ist: Regulierungen der Finanzmärkte sind unverzichtbar, aber reichen nicht aus, die Finanzmärkte zu bändigen. Das Übersparen muss durch eine gerechte Umverteilung abgebaut und Investitionen in Unternehmen der Realwirtschaft sowie staatliche Infrastrukturausgaben gelenkt werden.
Gekürzt erschienen in der FR am 10.9. 2018 unter dem Titel: Lehman Brothers war kein Zufall.
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„Heute stellt sich die Frage: Gibt es Anzeichen für einen neuen Absturz des Bankensystems mit brutalen Folgen für die Gesamtwirtschaft?“ Die Frage beantwortet Ihnen gern ein Herr Namens Olaf Scholz. Der gab dem Handelsblatt ein Interview, und antwortete auf die Frage, wie er denn sein Geld anlege, dass er es auf dem Konto habe, und dafür keine Zinsen von der Bank bekommt. Im richtigen Leben ist der Mann Finanzminister, und man sollte meinen, dass es der Bank peilich sein sollte, ihm nichts Verzinsliches anzubieten. Aber nein, es ist der Bank weder peinlich, noch hat sie Kompetenzen den Leuten saubere Anlagegeschäfte… Mehr
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Keynesianer meinen, wenn gespart wird, nehme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ab, und das schwäche die Wirtschaftsleistung. (Übersparen) Die Menschen sollten daher vor allem in einer Phase schwachen Wirtschaftswachstums konsumieren. Was ist davon zu halten? In modernen kapitalistischen Volkswirtschaften wird ein Teil des Einkommens gespart (nicht konsumiert), um es zu investieren (es in produktive Verwendungen zu lenken). Durch das Investieren wächst der Kapitalstock. Das wiederum erhöht die Produktivität, und dadurch steigen die Reallöhne. Wenn mehr gespart wird, heißt das also nicht, dass die Nachfrage sinkt, sondern nur, dass weniger Güter zu Konsumzwecken und mehr Güter zu Investitionszwecken nachgefragt werden. Das Sparen ist… Mehr
Diejenigen, welche die Aufteilung in „normale“ Banktätigkeit und Investmentbank verhindert haben, und das nicht nur in Deutschland, Europa sondern weltweit, gehören hinter Schloss und Riegel. Gibt es eigentlich so viele Gefängnisplätze=
Wenn ich mich recht erinnere, war es die Politik (Clinton), der es jedem Bürger ermöglichen sollte ein eigenes Haus zu kaufen. Banken, die unsichere Kandidaten ablehnten, wurde mit Strafen gedroht. Nun machten die Banken mit, wissend, dass es dann viele faule Kredite gab. Um nicht selbst unterzugehen, wurden diese Kredite schnell weitergereicht. Große Banken vermischten gute und schlechte Kredite und machten Zertifikate daraus, die dann in aller Welt mit einem gutem Rating verkauft wurden. Hereinfielen vor allen deutsche Landesbanken. Denn die Vorstände wurden nicht nach Können, sondern nach Parteibuch ausgesucht. Des Weiteren wurden diesen Banken die Grundlagen durch die EU… Mehr
Das Finanzwesen ist bei vielen Leuten, insbesondere auch Politiker, sakrosant. Banken wurden gerettet und durften einfach weitermachen. Die geordnete Abwicklung und Entlassung der Mitarbeiter wäre die korrekte Reaktion gewesen. Ebenso hätte man den Ex-Mitarbeitern einer solchen Bank die Betätigung im Finanzwesen verbieten müssen. Aber nein, die Bänker kassierten ihre Boni und zogen sich auf ihre Landschlösser zurück. Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Praktisch legaler Raub an Gemeineigentum und zwar in der Größenordnung von tausenden Milliarden. Das ist möglich, weil das Finanzwesen mit allen Wassern gewaschen ist. Als ein Herr Steinbrück sie an die Kandare nehmen wollte, wurde er mit dicken Vortrags-Zahlungen… Mehr
Solange die Geschäfte nicht unterbunden werden und es keine PERSÖNLICHE HAFTUNG gibt wird es wieder zu Krisen kommen. Ob man die Leute entlässt oder gar Berufsverbot verhängt ist egal – da finden sich schon ein paar neue skrupellose Bankster.