Der Euro entpuppt sich als deprimierendes Experiment an Menschen und Wirtschaft: Er wurde gegen den Rat der Bundesbank eingeführt, die warnte, dass eine Währungsunion ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik kaum werde funktionieren können. Jetzt zeigt sich: Der Euro hat nur verdeckt, dass sich die Volkswirtschaften, statt sich zu harmonisieren, ständig weiter auseinanderentwickeln: In Deutschland fuhren alle Regierungen seit Helmut Kohl einen letztlich neoliberalen Kurs; die Angebotsseite wurde gestärkt; Sozialleistungen begrenzt; die Haushalte halbwegs solide finanziert, der Arbeitsmarkt flexibilisiert.
Die Arbeitnehmer haben Anpassungsarbeitslosigkeit und stagnierende Löhne hingenommen. Ohne die Sonderlasten der Wiedervereinigung wäre der Bundeshaushalt sogar vorbildlich, die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung könnten im Geld schwimmen. Jetzt zeitigt die Rosskur Erfolge – da ist es ein Treppenwitz der Wirtschaftsgeschichte, dass diese jetzt in eine europäische Transferunion abfließen sollen. Man reibt sich die Augen, weil klar wird, was sich andere leisten, die sich an billigen Euro-Krediten bedienten und an der aufgeblasenen Scheinstärke ihren Konsum ausrichteten: ein Mindestlohn in Irland von 8,65 Euro, Rentenbeginn in Griechenland mit 52, und 300 000 auf Kredit gebaute Wohnungen in Spanien, die keiner kauft.
Die ökonomischen Folgen dieser disparaten Politik drohen die Währungsunion zu sprengen. Da helfen nicht neue Hilfskredite für Irland; Kredite, und zwar zu billige und zu hohe, gab es ja gerade genug. Sie wurden nur nicht investiv eingesetzt, sondern für Konsum, Umverteilung und zu hohe Löhne verpulvert – oder wie in Dublin verzockt. Es ist wahr, dass Griechenland, Portugal, Spanien und Irland jetzt im Eiltempo Reformen durchpeitschen wollen, für die Deutschland zwei Jahrzehnte gebraucht hat. Aber im zu lange kreditfinanzierten Kuschel-Europa illuminieren jetzt brennende Müllcontainer Generalstreiks; und dabei sind wir erst am Anfang: Mit Spanien, Frankreich und Italien kommen jetzt auch große Länder unter Reformdruck. Kann Europa das aushalten, wenn die Deutschen als verhasste „Zuchtmeister“ ein strenges Währungsregiment führen, wie Frederick Forsyth schon 1997 fürchtete? Umgekehrt: Halten die Deutschen still, wenn die Rettungskredite zu Sozialkürzungen führen? Es ist gruselig, wie da alte Feindbilder und Vorurteile aus dem Keller des Grauens hervorgeholt werden. Der Euro, der Preis für die Wiedervereinigung und als Klammer gedacht, um das erstarkende Deutschland in Europa einzubinden, wird zum Sprengsatz, weil politischer Wille auf wirtschaftliche Realität prallt.
Schon denken manche an eine Aufspaltung, in der Holland, Skandinavien, Österreich und Polen mit Deutschland einen Hartwährungsblock bilden und der Süden austritt. Wofür entscheidet sich Frankreich – bleibt es an der Seite Berlins, oder wiederholt sich der alte Antagonismus am Rheingraben? Wie auch immer, der Euro-Crash wäre teuer, eine Schockwelle würde die Wirtschaft zumindest vorübergehend lähmen, die Banken ruinieren.
Das Gegenmodell klingt weniger brutal, ist aber folgenreicher: Die offizielle Politik versucht, den Euro-Crash zu schönen und zu verzögern. Mit der Transferunion soll so viel Zeit gekauft werden, bis die neoliberalen Reformen europaweit wirken. Mit Koordinations-, Überwachungs- und Sanktionsinstrumenten wird zugleich eine gemeinsame Wirtschaftsregierung etabliert: Das Luftschloss Europa wird damit zentralisiert und harmonisiert.
Aber ist nach dem Verlust der Währung auch die Aufgabe eigener Wirtschaftskompetenz, eine europäisch gestaltete Steuer-, Lohn- und Investitionspolitik „im originären deutschen Wirtschaftsinteresse“, wie Jürgen Trittin schreibt? Ist eine europäische Planwirtschaft die Rettung für den Euro, wird ganz Europa dann germanisch-effizient?
Keine schönen Alternativen. Aber wir müssen uns der Debatte stellen. Jetzt. Europa darf nicht treiben, es muss agieren.
(Erschienen am 27.11.2010 auf Wiwo.de)
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