Zurück auf null

Der Gipfel der 20 Staats- und Regierungschefs ist im dreifachen Sinne rekordverdächtig: Er ist ein sensationeller Erfolg – der in sensationell kurzer Zeit zum sensationellen Misserfolg verfallen könnte. 

Kaum jemand, der Gipfeldiplomatie verfolgt, hatte eine so weitreichende Einigung erwartet. Schließlich sind schon unter den G7, also dem traditionellen Gremium der führenden Industrienationen, die Interessenunterschiede gewaltig. In London aber musste auch China einbezogen werden sowie Russland, Indien, Argentinien, Mexiko, Brasilien, Südafrika – gegensätzlichere Positionen sind kaum vorstellbar. Und doch sollen nun Hedgefonds an die Informationskette gelegt werden, Ratingagenturen ihre Methoden offenlegen, beim Weiterverkauf von Krediten der Verkäufer mit in der Verantwortung bleiben und erweiterte Eigenkapitalvorschriften die Bankbilanzen sicherer machen. Und eine Liste der Steueroasen soll helfen, die Schwarzgeldparadiese zu bekämpfen.

Aber schon am Tag danach begann die Aktion „Zurück auf Los“. Großbritannien schert bei der Umsetzung der Beschlüsse aus. Die Interessenlage ist klar: Die Finanzindustrie erwirtschaftet rund neun Prozent der britischen Wirtschaftsleistung – die letzte Branche, in der die Insel noch Weltgeltung besitzt. Die City of London ist nicht nur ein Finanzdistrikt – hier überlagern sich das wirtschaftliche und politische Machtzentrum, verschränken sich die Interessen von Bankern und Politikern in unauflöslicher Direktheit, und des Premierministers Aufgabe ist es, die Spielräume der City zu erweitern – nicht einzugrenzen.

Deshalb will London die Integration eines gemeinsamen Gremiums, das die Finanzmärkte überwacht, torpedieren – als ersten Schritt: Keinesfalls dürfe eine Mehrheitsentscheidung für Finanzmarktregelungen auf europäischer Ebene eingeführt werden, lautet die Vorgabe für die bürokratische Umsetzung der Gipfelbeschlüsse.

Vor allem in Brüssel, auf europäischer Ebene, setzt London den Hebel an – und Europa ist führungsschwach. Als Ratspräsident amtiert wegen der tschechischen Regierungskrise bald der Chef des tschechischen Statistikamtes – eher Statist als Gestalter. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso will im Juni einfach nur wiedergewählt werden. Er laviert daher um jede Festlegung und ist für die Sprachlosigkeit der Kommission seit Beginn der Finanzkrise verantwortlich. Ohnehin haben die Briten die Finanzmarktregulierung als Schwerpunkt ihrer nationalen Interessenpolitik in Europa definiert und sich zielsicher wie entschlossen durchgesetzt.

So gilt der für Finanzmarktregulierung zuständige stellvertretende Generaldirektor David Wright als beamteter Lobbyist der City; derzeit werden Personalpakete geschnürt, um bei der anstehenden Neubesetzung der Kommissare im Herbst den eigenen Einfluss noch zu erweitern. Und während beispielsweise der Finanzplatz Frankfurt in Brüssel nicht bekannt ist, bearbeitet die City dort gezielt Parlamentarier und Entscheidungsträger.

Da wundert es nicht, zu hören, dass die neuen EU-Regeln zur Managervergütung die Boni in der City nicht mindern werden. Deutschland hat dem wenig entgegenzusetzen. Der Bundesfinanzminister und sein Staatssekretär sind selbst in die IKB-Pleite verwickelt, die Zuständigkeiten zersplittert. Wer unfähig ist, die eigenen Landesbanken auf Kurs zu bringen, hat das Recht verloren, auf europäischer Ebene mitzureden. Deutsche Banken, die Standortinteressen formulieren, gibt es nicht mehr, seit die Dresdner und Commerzbank zu Sparkassen schrumpfen und die Deutsche Bank sich operativ als Unternehmen der City definiert.

Und seltsam: Jersey und die Isle of Man stehen nicht auf der Liste der Steueroasen – für die Schwarzgeldparadiese Ihrer Majestät gelten eben laxere Regeln als für die Schweiz.

(Erschienen am 09.04.2009 auf Wiwo.de)

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