Wer ist stärker in Konflikten wie derzeit mit Russland – Demokratien oder autokratische Regimes? Wem schadet ein Boykott mehr?
Sorgenvoll addieren wir die Kosten eines Russland-Boykotts; Konzerne bangen um Investitionen und Märkte. „Zahlen für die Krim?“ – das erinnert an „Mourir pour Dantzig?“: Französische Pazifisten signalisierten 1939 damit, dass eine Stadt wie Danzig einen Krieg mit Hitler-Deutschland nicht wert sei. Historische Vergleiche sind nie völlig korrekt. Wladimir Putin ist kein Hitler. Aber er demonstriert die typischen Mechanismen autoritärer Regime. Das ist zuallererst kühl kalkulierte Machtpolitik, die die Schwäche demokratischer Gesellschaften für sich auszunutzen weiß: Die entscheiden schwerfällig und sind damit kleinen, schnell agierenden Machtzirkeln unterlegen. Ein europäischer Gipfelprozess dauert länger als die Krim-Annexion. Zehn Jahre unzähliger Resolutionen, Friedensmissionen und Verhandlungsrunden kostete es, bis der Westen im Kosovo eingriff. Die Maidan-Krise der Ukraine dagegen schaute Putin sich nur ein paar Monate an und nutzte sie für sich. Eine zersplitterte öffentliche Meinung wirkt lähmend; straff geführte Staatspropaganda mobilisiert. Demokratien sind meist militärisch schwach gerüstet: In den USA unter Barack Obama wird das Militär geschrumpft und stattdessen in Gesundheitspolitik investiert – so wie die Europäer die Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Kriegs in Sozialleistungen umwidmeten. Demokratien kaufen sich gern von blutigen Konflikten frei: Helmut Kohl zahlte Milliarden, um die Bundeswehr nicht in den Golfkrieg schicken zu müssen. So opfern Demokratien zähneknirschend die vorerst schwächste Position – Frankreichs Premierminister Édouard Daladier und Großbritanniens Neville Chamberlain waren weder vertrottelt noch feige, als sie 1938 das Sudetenland und damit die Tschechoslowakei Hitler überließen – sie waren Realpolitiker, die Zeit für Aufrüstung kauften.
Aber auch Autokratien haben weiche Stellen. Eine allmächtige Politik zerstört die Freiheit, lähmt die Initiative der Menschen, zerstört die Effizienz der Wirtschaft zugunsten der Klientel der Machthaber. In seiner aufsehenerregenden Analyse über „Hitlers Volksstaat“ zeigt Götz Aly, wie Hitler Deutschland wirtschaftlich in den Ruin trieb: Beschäftigungsprogramme, teure Sozialleistungen und erst recht die Aufrüstung. Nicht nur Rassenwahn trieb Hitler – auch beim Blick ins Budget wird klar, „warum die deutsche Politik außenpolitisch zur Zerschlagung der Tschechoslowakei und im Inneren zum Pogrom gegen die Juden drängte. Der deutsche Fiskus brauchte Geld. Die Regierung mogelte sich um jeden Preis am Staatsbankrott vorbei. Als Ausweg bot sich unentwegter Aktionismus“, so Aly.
Schon in den Neunzigerjahren warnte Putins damaliger Wirtschaftsberater Andrei Illarionow, dass der autoritäre Führungsstil Putins zugunsten seines Clubs der Oligarchen die Wirtschaft schwächte, die Entwicklung bremste, das Land zum reinen Rohstoffexporteur degradierte. Dieser Prozess beschleunigte sich; immer mehr unrentable Betriebe werden von Putin mit den Gazprom-Milliarden am Leben erhalten. Russland blieb fast ein Entwicklungsland – „ein Obervolta mit Atomwaffen“, wie Helmut Schmidt schon in den Siebzigern spottete. Eine starke Wirtschaft ist die Rückseite militärischer Stärke.
Friedrich August von Hayek beschrieb 1944 „den Weg in die Knechtschaft“ – nationaler oder sowjetischer Sozialismus zerstört erst die Freiheit und dann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Liberale Demokratien entwickeln unter Druck Gegenkräfte. Winston Churchills Regierungsprogramm 1940 versprach nur „Blut, Schweiß und Tränen“. Er wurde gewählt. Die USA schalteten nach Pearl Harbour die Konsumgüterindustrie zur gigantischsten Rüstungsindustrie der Weltgeschichte um; zum Dienst in Uniform Verpflichtete organisierten die effizienteste Militärmaschine.
Kurzfristig wirken Demokratien schwach, uneinig, lasch. Aber langfristig siegen die Selbstverteidigungskräfte freier individueller Gesellschaften.
(Erschienen auf Wiwo.de am 29.03.2014)
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