Letztlich steht dahinter die Frage, ob sich in Konflikten Autokratien oder Demokratien als stärker erweisen. Die Antwort gibt die Geschichte und eine ökonomische Theorie der Diktaturen.
Die Debatte um wirtschaftliche Sanktionen, die Russland für die Annexion der Krim bestrafen sollen, spaltet Europa und insbesondere Deutschland: Kein Wunder, der deutsche Außenhandel mit Russland beträgt rund 40 Milliarden Dollar; etwa so viel wie die an Wirtschaftskraft vier Mal größeren USA. Rund 7000 deutsche Unternehmen haben Töchter in Putins Reich; Daimler und VW bauen Lastwagen und Autos, Siemens baut die Kraftwerke, die dann der deutsche Stromkonzern E.On betreibt, die Deutsche Post sorgt für die Logistik. BASF, Bosch oder der mittelständische Landmaschinenkonzern Claas – German Engineering, Chemie und Dienstleistung treiben Russland in die Moderne. Kein Wunder, dass Siemens-Chef Joe Kaeser die weitere Zusammenarbeit persönlich bei Putin verspricht – just an dem Tag, an dem sich die Bundeskanzlerin öffentlich zu verschärften Sanktionen bekennt.
Die deutschen Konzerne dämpfen Angela Merkels kritische Haltung zu Putin. „Zahlen für die Krim?“ – das erinnert an „Mourir pour Dantzig?“: Französische Pazifisten signalisierten 1939 damit, dass eine Stadt wie Danzig, ein erstes Opfer von Hitlers Expansionsstrategie, einen Krieg mit Hitler-Deutschland nicht wert sei.
Historische Vergleiche sind nie völlig korrekt. Wladimir Putin ist kein Hitler. Aber er demonstriert die typischen Mechanismen autoritärer Regime – und auf der anderen Seite stehen Demokratien mit ihren eigenen Verhaltensweisen. Konflikte sind nicht gut fürs Geschäft in einer globalisierten Welt mit verflochtenen Liefer- und Absatzmärkten. Die Angst der Konzerne um ihre Jahresbilanzen und Quartalsberichte überträgt sich schnell auf die Politik, die ihrerseits besorgt auf Wachstumsraten, Steueraufkommen und Arbeitslosigkeitsraten blickt. Gerade in Deutschland war es ja der Erfolg des Wirtschaftswunders, das die Zustimmung zur Demokratie befeuerte, nicht umgekehrt. Wirtschaftliche Krisen wiederum sind die Hochzeiten eher autoritärer, demokratiefeindlicher Bewegungen. Solche Rücksichten auf Bruttosozialprodukt und Lohnsteigerungen brauchen Autokratien kurzfristig nicht zu nehmen. Sie kalkulieren nicht in Dollar und Cent, sondern mit dem Glanz und Gloria nationaler Größe.
Dazu kommt kühl kalkulierte Machtpolitik. Autokratien müssen sich dafür nicht rechtfertigen oder auch nur erklären, so wie sie spiegelbildlich die Welt der Demokratien als Schwäche verstehen und für sich auszunutzen wissen: Demokratien entscheiden schwerfällig und sind damit kleinen, schnell agierenden Machtzirkeln unterlegen. Ein europäischer Gipfelprozess in Brüssel dauert länger als die Krim-Annexion. Zehn Jahre unzähliger Resolutionen, Friedensmissionen und Verhandlungsrunden kostete es, bis der Westen im Kosovo eingegriffen hat. Die Maidan-Krise der Ukraine dagegen schaute Putin sich nur ein paar Monate an, ehe bewaffnete Banden ohne Hoheitsabzeichen vollendete Tatsachen schufen. Eine kontrovers diskutierende öffentliche Meinung wirkt lähmend; straff geführte Staatspropaganda mobilisiert und sorgt für die Jubelveranstaltungen zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Demokratien sind meist militärisch schwach gerüstet: In den USA unter Barack Obama wird das Militär geschrumpft und stattdessen in Gesundheitspolitik investiert – so wie die Europäer die Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Kriegs in Sozialleistungen umwidmeten und nur noch beschränkt verteidigungsfähig sind. Demokratien kaufen sich gern von blutigen Konflikten frei: Helmut Kohl zahlte Milliarden, um die Bundeswehr nicht in den Golfkrieg schicken zu müssen. So opfern Demokratien zähneknirschend die vorerst schwächste Position und deren Menschen – Frankreichs Premierminister Édouard Daladier und Großbritanniens Neville Chamberlain waren weder vertrottelt noch feige, als sie 1938 das Sudetenland und damit die Tschechoslowakei Hitler überließen. Sie waren Realpolitiker, die Zeit für Aufrüstung kauften.
Aber auch Autokratien haben weiche Stellen. Eine allmächtige Politik zerstört die Freiheit, lähmt die Initiative der Menschen, zerstört die Effizienz der Wirtschaft zugunsten der Klientel der Machthaber. In the long run, it‘s the Economy, stupid! Der Satz gilt auch für Autokraten. In seiner aufsehenerregenden Analyse über „Hitlers Volksstaat“ zeigt Götz Aly, wie Hitler Deutschland wirtschaftlich in den Ruin trieb: Beschäftigungsprogramme, teure Sozialleistungen und erst recht die Aufrüstung. Der Rassenwahn trieb Hitler, aber die Zwänge seiner Geschenkpolitik auf Aufrüstung zeigen beim Blick ins Budget, „warum die deutsche Politik außenpolitisch zur Zerschlagung der Tschechoslowakei und im Inneren zum Pogrom gegen die Juden drängte. Der deutsche Fiskus brauchte Geld. Die Regierung mogelte sich um jeden Preis am Staatsbankrott vorbei. Als Ausweg bot sich unentwegter Aktionismus“, so Aly. Hitler kaufte sich Zustimmung innenpolitisch mit grandiosen Sozialleistungen, die zum größten Teil noch heute gelten und die ständig ausgebaut wurden. General Pattons Panzerspitzen rückten auf Würzburg tief im deutschen Kernland vor, da beschloss Hitlers Reichsregierung im von den Sowjets schon fast völlig eingekesselten Berlin noch eine Rentenerhöhung. Selbst in der Götterdämmerung wurde die Zustimmung noch materiell erkauft.
Blut, Schweiss, Tränen
Geschichte wiederholt sich nicht, nur gelegentlich als Farce. Schon 2005 warnte Putins damaliger Wirtschaftsberater Andrei Illarionow, der heute in den USA lehrt, dass der autoritäre Führungsstil Putins zugunsten seines Clubs der Oligarchen die Wirtschaft schwächte, die Entwicklung bremste, das Land zum reinen Rohstoffexporteur degradierte. Dieser Prozess beschleunigte sich seither. Immer mehr unrentable Betriebe werden von Putin mit den Gazprom-Milliarden am Leben erhalten. Die Wirtschaft beginnt zunehmend der im Sowjetsystem zu ähneln. Russland blieb so fast ein Entwicklungsland – „ein Obervolta mit Atomwaffen“, wie Helmut Schmidt schon in den Siebzigern spottete. Eine starke Wirtschaft aber ist die Rückseite militärischer Stärke; und eine schwache Wirtschaft das Echo autoritärer Regimes, die alles besser wissen, Alternativen blockieren und Initiative lähmen.
Friedrich August von Hayek beschrieb 1944 „den Weg in die Knechtschaft“ – nationaler oder sowjetischer Sozialismus zerstört erst die Freiheit und dann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Liberale Demokratien entwickeln unter Druck Gegenkräfte. Winston Churchills Regierungsprogramm 1940 versprach nur „Blut, Schweiß und Tränen“. Er wurde gewählt. Die USA schalteten nach Pearl Harbour die Konsumgüterindustrie zur gigantischsten Rüstungsindustrie der Weltgeschichte um; zum Dienst in Uniform verpflichtete Manager organisierten die effizienteste Militärmaschine.
Kurzfristig wirken Demokratien schwach, uneinig, lasch. Aber langfristig siegen die Selbstverteidigungskräfte freier individueller Gesellschaften. Das marode Russland braucht den Westen mehr, als der Westen Russland. Auch wenn Quartalszahlen deutscher Konzerne etwas anderes vermuten lassen.
(Erschienen in der Jewish Voice of Germany, April 2014)
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