Die Deutschen mauern sich ein und betonieren am persönlichen Schutzwall gegen die Krise. Das wertvollste Kapital ist Vertrauen.
Der private Wohnungsbau boomt wie schon seit der Wiedervereinigung nicht mehr; wer nicht bauen oder kaufen kann, renoviert oder modernisiert Heizung und Fassade. In München, Düsseldorf, Frankfurt und Berlin wird es eng vor Geld und Nachfrage, der Luxus lässt der Krise keinen Raum, wie unsere Reportage entlang der teuersten Straßen Deutschlands zeigt: Lieber das Geld bei Versace oder Gucci versenken, als es den Griechen schenken, so lautet das Motto der neuen Freude am Luxuskonsum. Diese Schwarm-Intelligenz verlängert die deutsche Sonderkonjunktur: Da mögen die Aufträge aus den krisengeschüttelten Nachbarländern einbrechen und die Exporte nach Asien verwelken – die Lust am Betongold und die Freude an der Immobilie wirken wie ein gigantisches Konjunkturprogramm. Während Spanien und Italien durch hohe Zinsen erdrückt werden, heizen Niedrigzinsen in Deutschland die Konjunkturlokomotive an: Nach Abzug der Inflationsrate ist die Verzinsung neuer Schulden negativ – Staat wie auch Private kriegen sogar noch Geld zurück, wenn sie nur bereit sind, Geld aufzunehmen.
In der Euro-Krise wiederholt sich für die meisten Deutschen die Erfahrung der Finanzkrise nach Lehman Brothers: Die Schlagzeilen sind bedrohlich, die Talkshows beunruhigend, das politische Schlachtgeschrei ist laut – bloß daheim kommt die Krise nicht an. Viele spüren nichts von dem, was die Welt im Innersten erschüttert. Zum Ersten liegt es an der beschönigenden Politik: Deutschland bürgt zwar für dreistellige Milliardensummen, aber noch sind kaum Zahlungen fällig. Zwar wird es immer aufwendiger, Griechenland durchzuschleppen – aber solange sie in der Euro-Zone bleiben, müssen die Kredite nicht abgeschrieben und die deutsche Staatsverschuldung nicht um diese jede Vorstellung sprengenden Beträge erhöht werden. So ist auf den ersten Blick der deutsche Haushalt solide. Erst beim genauen Hinschauen fällt das Wort Konkursverschleppung – der Fehler der ersten Griechenlandrettung wird zum Sprengsatz im Haushalt. Aber noch ist nicht Zahltag.
Der zweite Grund ist die stoische Ruhe der Bundeskanzlerin. Sie vermittelt den Eindruck, dass sie die Sache schon irgendwie im Griff hat; dass sie zwar immer wieder zurückweicht, aber nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, und dann noch einen Fiskalpakt dafür herausholt. So schafft sie Kapital, das fast alle anderen verloren haben: Es heißt Vertrauen.
Solches Vertrauenskapital fehlt in anderen Ländern noch dringender als Geld und Kredit. Griechenlands Krise ist nicht durch immer neue Kredite anderer Staaten bewältigbar – solange die Bürger ihr Geld in Koffern heraustragen und niemand eigenes Geld dorthin bringt aus Angst, statt harter Euro morgen nur weiche Drachmen zurückzuerhalten. Und weil dieses Vertrauen auch in Spanien und Italien verloren geht, gewinnt Deutschland durch den Zufluss von Fluchtkapital und ohne weiteres Zutun; einzige sichtbare Maßnahme sind die herabgezogenen Mundwinkel der Kanzlerin, mit denen sie die Versuche abwehrt, noch tiefer in die deutschen Kassen hineinzugreifen. Leicht ist das nicht, denn Vertrauen ist schwer zu gewinnen und schnell verloren. Fast jeden Tag schwadronieren US-Hedgefondsmanager vom Weltuntergang. Dabei haben sie ihre Finanzwetten darauf ausgerichtet und gewinnen viel, wenn sie die Weltfinanzmärkte näher an die Katastrophe heranreden – das zerstört weiteres Vertrauenskapital und torpediert die Hoffnung, dass die Krise sich schon beruhigen wird.
So torkeln wir durch eine Krise, die sich immer weiter verschärft. Noch sprechen wenige über die grotesken Schulden der USA, und noch gilt Deutschland als vertrauenswürdig. Also hoffen wir das Beste und fürchten doch, dass die Chose schiefgeht.
Bis dahin hat Angela Merkel den Deutschen wenigstens Zeit verschafft, ihre Häuser buchstäblich winterfest zu machen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 23.06.2012)
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