Still und heimlich teilt sich die Euro-Zone wieder in nationale Währungsräume auf: Geld und Kapital entziehen sich der Politik.
Schuldenbremsen, Schuldenbegrenzung und Schuldnerkontrolle: Dass sich die Euro-Länder dazu bekennen, ist ein persönlicher Erfolg von Angela Merkel. Sie intoniert damit ein Leitmotiv ihrer Amtszeit – das der Eisernen Kanzlerin, die die lausigen Schuldensünder zurück auf den Pfad der Tugend zwingt. Es ist ein verschlungener Weg. Und so ist Europa gerade da wieder angekommen, wo seine Irrfahrt begonnen hat: in Maastricht. Alle Regeln, die heute als Erfolg gefeiert werden, waren im Gründungspakt zum Euro 1992 schon vorgesehen, sogar in juristisch belastbarer Form. Aber Nationalstaaten lassen sich nicht so einfach an die Kette legen. Anders als private Schuldner gibt es keine Richter, die säumige Schuldner zur Zahlung zwingen; es gibt keinen Gerichtsvollzieher, der den Kuckuck – sagen wir mal – auf die Insel Samos klebt. So bleiben alle Stabilitätsversprechungen nur politische Willenserklärungen. Schon die Nachfolger der heutigen Regierungschefs fühlen sich nicht daran gebunden. So erklärt Sarkozys Gegenkandidat um das Amt des französischen Präsidenten, François Hollande, er wolle das Merkozy-Paket zur Schuldenbegrenzung wieder aufschnüren. Die Botschaft: Stabilitätsversprechen sind dazu da, gebrochen zu werden. Oder zumindest, um über ihre Einhaltung zu verhandeln. Schließlich wird an keinem Ort der Welt der politische Kuhhandel gerissener und routinierter betrieben als in Brüssel. Das geht dann etwa so: Gibst du mir deine Zustimmung zu einem satten Schuldenzuschlag, kriege ich von dir Hilfe im Kampf für/gegen Frauenquoten, Agrarpreissteigerungen oder Chemierichtlinien. Oder wie wär’s mit einer Zugabe bei der Ursprungsbezeichnung von Weißwurst oder Champagner? Auf dem politischen Marktplatz Brüssel wird alles gegen alles getauscht und verhökert, was Politiker und Lobbyisten gerade so im Angebot haben. Das erklärt, warum der Jubel der Politik über ihren Verhandlungserfolg in so einem auffallenden Gegensatz zur kühlen Aufnahme bei den Sparern und Geldgebern steht. Diese bereiten sich vorsorglich auf den D-Day vor, dem Tag, an dem sich ein oder mehrere Länder aus dem Euro verabschieden. Die Euro-Zone ist dabei, sich stillschweigend aufzulösen. Lebensversicherungen gestalten ihre langfristigen Verpflichtungen und Geldanlagen “Länder-kongruent”: Deutsche Beiträge werden nur in deutschen Vermögenswerten angelegt, spanische nur in Spanien. Das hilft, dass die jeweilige Landesgesellschaft bei Einführung einer nationalen Währung ganz entspannt bleiben kann: Ihr Währungsrisiko ist sehr gering.
Stille Renationalisierung
Banken können Staatsanleihen nach dem Schuldenschnitt in Griechenland nicht mehr als sichere Anlage führen, sondern müssen sie wie Hoch-Risikopapiere behandeln. Das soll zwar jetzt korrigiert werden. Aber auch Kreditversicherungen, die solche Länderrisiken begrenzen, wurden ausgehebelt. Dafür erhalten gerade die Länder, die auf neue Kredite angewiesen sind, jetzt keinen Zufluss mehr aus den Ländern mit Kapitalüberschüssen. Auch wenn es den Euro weiter gibt – die Kapitalmärkte beginnen sich zu renationalisieren. Unternehmen entwickeln Strategien, um grenzüberschreitende Geschäfte gegen ein Zerbrechen des Euro abzusichern. In Verträgen werden wieder Währungsklauseln und ein Gerichtsstand in der eigenen Währungszone eingebaut. Damit verliert der Euro seinen Vorteil – den Wegfall der Transaktionskosten bei unterschiedlichen Währungen.
Die Politik verstärkt die Desintegration, indem jede nationale Aufsichtsbehörde eigene Risikopuffer verlangt. Die Strafen, mit denen Banken für ihre Fehler belegt wurden, schlagen jetzt auf ihre Erfinder zurück: Die Staaten müssen die Banken mit so viel Geld rekapitalisieren, das sie ihnen vorher als Strafe abgenommen haben. Früher wusste man: Kapital ist ein scheues Reh, das mit dem Büchsenknall flüchtet.
Es ist ein Wettlauf zwischen der Politik und dem flüchtigen Kapital, das den Knall genau gehört hat.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.12.2011)
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