Bei VW fliegen die Fetzen. Ferdinand Piëch, Großaktionär und Aufsichtsratschef von VW hat einen Konflikt zwischen Aufsichtsrat, Großaktionären und Vorstand richtig schön groß und öffentlich gemacht.
Er sei auf „Distanz zu Winterkorn“, sagte der 77-Jährige Ende der Woche dem „Spiegel“ über den 10 Jahre jüngeren Vorstandschef. Martin Winterkorn ist der Vorstandsvorsitzende des größten europäischen Autokonzerns, hat einen Vertrag bis Ende 2016 und die volle Unterstützung des mächtigen Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh und des Landes Niedersachsen, das 20 Prozent an dem Zwölf-Marken-Konzern hält.
Winterkorn strahlte bis Ende dieser Woche allergrößtes Selbstbewusstsein und ungehemmte Angriffslust aus, er sei nicht abgeneigt, seinen Vertrag noch mal zu verlängern, ließ er hier und da fallen. Perdu. Der Kandidat für die Nachfolge Winterkorns und seiner selbst seien schon im Unternehmen, es müssten auf jeden Fall Techniker sein, so Piëch im Spiegel. Die Nachricht kommt überraschend. Winterkorn war immer Piëchs treuester Diener. Er stieg unter ihm vom Chef der Qualitätssicherung zum Vorstandsboss auf; revolutionierte die VW-Welt mit seinem Baukastensystem, das in allen 107 Werken weltweit gilt und die Kosten beachtlich senkt. Unter Winterkorn schickte sich VW an, der größte Auto-Konzern der Welt zu werden und damit Toyota zu überholen. Von 6,7 Millionen Autos stieg die verkaufte Stückzahl auf an die 10 Millionen. Und nun?
Nicht nur ein Machtkampf alter Männer
Winterkorn ist ein Chef auf Abruf, sein Einfluss schmilzt seit Freitag, auch wenn er mächtige Unterstützer hat. Ähnlich verhält es sich mit Rupert Stadler, dem Chef der wirtschaftlich erfolgreichen Tochter Audi. Er galt als aussichtsreicher Kandidat für die Winterkorn-Nachfolge, ist aber Betriebswirt und kein Techniker. Also raus.
Aber worum geht es wirklich? Ist es nur ein Machtkampf alternder Alpha-Männchen?
Gerne wird auf die Probleme verwiesen, die VW derzeit hat: Der Golf wird in Deutschland mit hohen Rabatten verscherbelt; die neue Fabrik in den USA sei unterausgelastet. Die Rendite liegt unter den Kapitalkosten – VW verliert faktisch Geld mit jedem verkauften Auto. Kein Wunder, dass Winterkorns Freunde bei den Gewerkschaften zu finden sind und beim Ministerpräsidenten von Niedersachsen. Im Neo-Sozialismus wird eben nicht genau gerechnet, in volkseigenen Betrieben gelten eigene Regeln. Das stimmt alles – aber trägt nicht bis ganz zum Ende, denn die Rendite wollte auch Winterkorn mit einem 5-Milliarden-Sparprogramm steigern.
Die Gefahr für die grösste deutsche Industriebranche ist in der Tat größer, als die Manager offen zugeben. Sie werden in die Zange genommen – von den Internetkonzernen wie Apple und Google auf der einen, und von Elektro-Autos auf der anderen Seite. Google und Apple setzen darauf, dass Menschen zukünftig keine Autos mehr kaufen, sondern Mobilität. Wer fahren will, geht nicht mehr in die Garage oder überlegt, unter welcher Laterne das Auto zuletzt geparkt wurde, sondern bestellt per Smartphone ein passendes Modell. Darf es heute ein Cabrio für den Sonntagsausflug sein oder ein Kombi für den Wochenendeinkauf? Apple und Google haben gezeigt, dass den Menschen letztlich der Nutzen wichtiger ist als das Haben: Musik steht nicht mehr als Platte oder CD im Regal, sondern wird bei Bedarf gestreamt, also per Internet abgerufen. Warum nicht auch Autos? Und beide Giganten wissen, wie man Datenströme organisiert, steuert und verknüpft: Während Autokonzerne auf einzelne Fahrzeuge konzentriert sind, denken die Internetkonzerne im Verkehrsfluss: Sammeln die Daten aus Autos, die vorausfahren und verknüpfen sie mit den Daten aus den Auto-Sensoren zu einer Gesamtinformation, die das fahrerlose Fahren erst ermöglichen.
Ende des Verbrennungsmotors
Nicht weniger gefährlich ist das E-Auto. Deutsche Konzerne haben zwei wichtige Technikgebiete perfektioniert: Niemand baut so leistungsstarke, perfekte Verbrennungsmotoren, deren Steuerung extrem schwierig ist. Niemand baut so sichere und komfortable Autos mit unübertroffen perfekter Straßenlage. Aber wenn das E-Auto kommt, ist beides wertlos: Der E-Motor ist simpel und lässt sich mit einem einfachen Schieberegler steuern statt mit hochkomplexer Motorentechnik. Der vergleichsweise große Benzin- oder Dieselmotor sitzt über der Achse des Autos. Damit liegt der Schwerpunkt des Fahrzeugs sehr hoch, was ein komplexes Fahrwerk und Abstimmung erfordert. Doch die schweren Batterien liegen tief im Fahrzeugboden, die Motoren an den Rädern: Die Fahrwerksabstimmung ist simpel.
Die deutschen Autobauer haben zudem einen politischen Feind: Umweltbesorgte Politiker wollen bis 2030 den Anteil der E-Autos auf 50 Prozent Marktanteil hochhieven. Das heisst im Umkehrschluß: Halbierung des Marktanteils der Benziner und Diesler.
…und noch mehr Radikale gegen Industriegeschichte
Noch radikaler sind andere Konzepte. Brauchen wir überhaupt noch große Fabriken? „Local Motors“ druckt bereits auf 3D-Druckern in Kleinst-Fabriken, die auf einen großen Messestand passen, ganze Auto-Karrosserien, die dann mit Elektromotoren zu fertigen Autos zusammengestöpselt werden. Mehrere Hundert Geländerfahrzeuge „Rally Fighter“ und Zweisitzer „Strati“ sind so schon aus dem Drucker gepurzelt. Die Fahrzeuge sind teuer, kosten bis zu 99.000 Dollar – aber (angeblich) schon profitabel! Das wäre ein sensationelles Ergebnis, das zeigt: Großserien schmelzen zu immer kleineren gewinnbringenden Einheiten, weil es die moderne Fertigungstechnik möglich macht. BMW ist Kooperationspartner – am radikalsten unter den deutschen Autokonzernen denken die Münchner in die Zukunft und erregen mit ihrem i8 Aufsehen. Es geht um viel mehr als das Auto: Nicht mehr lange Fließbänder für ein Produkt – sondern Werkstätten vor Ort für alles, was herstellbar ist. Die Baupläne dazu kommen per Crowdsourcing aus dem Internet. Ein Momentum der modernen Welt – der Kunde bastelt mit. Eine Fabrik für alles – bald will Local Motors eine solche Alles-Könner-Mikro-Fabrik in der Nähe von Berlin eröffnen. Chef John Rogers verspricht: Während heute zwischen Konzept und Verkaufsstart 5 Jahre liegen, sollen es bald nur noch Monate sein: Das Auto wird zum schnelllebigen Modeartikel. Dieses Konzept läßt Wolfsburg wie einen Dinosaurier aussehen. Ein kurzes Video sehen Sie hier dazu. Noch ist es eine Vision, die gerne verdrängt wird. Aber hier sei an ein Wort des damals mächtigen Heinz Nixdorf erinnert, Gründer und Chef eines damals bedeutenden Computerherstellers: Man baue keine PC, sagte Nixdorf, „wir liefern schließlich Lastwagen für die Industrie und nicht Motorroller für Private“. Heute ist die noch immer architektonisch elegante Nixdorf-Hauptverwaltung in Paderborn ein Computermuseum.
Die Dynamik der Digitalisierung wird unterschätzt – sie ist mehr als Fabrikautomation. Sie hat längst auch begonnen, das Wertesystem zu verändern. Der schlimmste Feind der deutschen Autobauer ist die Kombination von Digitalisierung, Umweltschutz und technischer Faszination. E-Autos gelten als sauber – herkömmliche Autos als Umweltsünder. Technik begeistert – aber sie entwickelt sich mit anderen Konzepten. Die Jungs von heute drücken sich daher oft nicht mehr vor dem Porsche-Showroom die Nasen platt, sondern bestaunen E-Autos wie den Tesla oder auch den i8 von BMW. Deutsche Autos könnten damit den Kältetod in der emotionalen Beziehung zu den Käufern sterben. Mal ehrlich: Wer wird in 10 Jahren mehr Begeisterung auslösen – ein Mercedes oder VW mit Hut-Image oder ein Apple-Auto?
VW-Chef Winterkorn ist nach Piëch ohne Zweifel ein genialer Konstrukteur für das Auto von heute. Er hat ein quer- und längs-Baukastensystem entwickelt, das in allen über 100 VW-Werken gilt und Kosten spart, weil es unterschiedliche Modelle quasi frei variiert zu immer neuen Modellen. Aber vielleicht weil er darauf so konzentriert war, hat er die neuere Entwicklung verschlafen. Von VW gibt es kein I-Auto. Piëch dagegen stand immer mit einem Bein in der Zukunft, manchmal zu früh: Der Audi A2 mit Miniverbrauch und der 1-Liter-VW-Polo waren ihrer Zeit voraus, wirtschaftliche Flops. Was haben sie darüber gelacht in Wolfsburg! Aber ein wahrer Visionär ist geradezu dazu veruteilt zu scheitern, bis sich seine Ideen durchsetzen – anders als gedacht, aber eben doch. Piëch hat sich des Professors Winterkorn nur bedient: Der war zunächst für Qualitätssicherung zuständig: Ein wichtiger Job, aber ohne Vision.
Und nun also will Piëch seinem Top-Manager den Stuhl vor die Tür setzen. Dazu kommt der Machtkampf darum, wer denn die Anteile der Familie Porsche und Piëch in Zukunft vertritt. VW ist einerseits zu 50,7 % in der Hand dieser Familien – zu 20,1 % allerdings gehört der Konzern dem Land Niedersachsen. Eine besonders starke Stellung haben die Gewerkschaften und die IG Metall. Das ist ein direktes Erbe der NS-Zeit und der damaligen Gewerkschaftseigentümer, der nationalsozialistischen „Deutschen Arbeiterfront“, die auf die heutigen Gewerkschaften übergingen. Wer wird Piëchs Nachfolger als Aufsichtsratsvorsitzender – Winterkorn, wie ursprünglich geplant oder ein Familienmitglied?
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