Was macht Städte erfolgreich? Unser Ranking liefert verblüffende Einsichten – und Außenseiter werden zu Stars: Kassel und Oldenburg.
Die Stadt mit der höchsten wirtschaftlichen Dynamik seit 2005 ist – Kassel. Wie bitte – Kassel? Die Stadt, die man allenfalls als Anhängsel der Documenta kennt, weit hinten in der hessisch-sibirischen Problemzone gelegen? So ist das, wenn Wirklichkeit die Vorurteile überholt – an Kassel lässt sich ablesen, was Städte erfolgreich macht: Jede Stunde halten sieben ICE-Züge, das sind so viele wie Stuttgart S-Bahnlinien hat. Verbindung und Austausch sind Wachstumsfaktoren. Kassel hat eine Universität, und damit werden die traditionellen Industrien aufgemöbelt: Um die alten Kerne der Automobilzulieferung, Bahnindustrie und Maschinenbau liegt ein Ring neuer und junger Unternehmen, alt stützt neu und umgekehrt. Dieses Zusammenspiel aus Hochschulen und Unternehmen macht auch eine Stadt wie Oldenburg zum stillen Star.
Jammern verändert nichts, Machen dagegen alles. Das sieht man an der Aufholjagd der Städte aus dem Osten – während der Westen zurückfällt. Städte wie Dresden, Erfurt und Chemnitz rangieren jetzt auf einmal im Mittelfeld der Wirtschaftskraft. Nach dem Bevölkerungsverlust der Nach-Wendezeit wachsen Leipzig und Dresden wieder. Dresden liegt vor verdämmernden Weststädten wie Bremen oder Saarbrücken. Niederschmetternd ist die Lage in Nordrhein-Westfalen: Fast alle Städte im früheren Kraftwerk Deutschlands belegen nur letzte Plätze. Eine neue Deutschlandkarte entsteht – im Wettbewerb mit den prosperierenden Industriezentren des Südens und Südwestens fallen die Ruhrgebietsstädte immer noch weiter zurück und werden gleichzeitig von der neuen Konkurrenz aus dem Osten eingeholt. Die Traditionsstandorte Magdeburg und Chemnitz haben sich neu erfunden und überholen mittlerweile Duisburg und Dortmund. Zu lange haben sich Stadt und Land auf sozialverträglichen und damit langsamen Umbau verlassen, eine Kultur des Selbstmitleids gepflegt und Wachstum allenfalls bei der Zahl von Industriedenkmälern gefeiert. So liegt Nordrhein-Westfalen Westfalen zurück, was Forschung und Innovation betrifft. Seinen energieintensiven Industrien wie Stahl und Chemie droht der Kältetod wegen steigender Preise, wichtige Konzerne verkümmern. So brennt die größte Stadtlandschaft aus, aber statt sie endlich regionalpolitisch zu ordnen, zerfleischen sich die Städte gegenseitig mit kostenproduzierenden Doppel- und Dreifachstrukturen. Dabei gibt es ein Gegenbeispiel: Mülheim an der Ruhr war nach der Schließung der Zeche Rosenblumendelle 1966 die erste bergbaufreie Großstadt des Ruhrgebiets und gerade deshalb erfolgreich im Strukturwandel – weil sie ihn angepackt hat. Gäbe es nicht Münster, eine schwäbisch-tüchtige Stadt in Westfalen – Hannelore Kraft wäre die Ministerpräsidentin der roten Laternen.
Der Westen ist der neue Osten
Denn Städte wie Düsseldorf und Köln mögen sich weiterhin selbstverliebt als Hochburgen des karnevalistischen Frohsinns geben – das schnellere Wachstum findet andernorts statt. Denn der Süden hat die Export-Delle nach der Finanzkrise überwunden und trumpft mit seinem High-Tech-Netzwerk aus Industrien und Forschungseinrichtungen auf. München und Stuttgart sind die Leuchttürme. Sie sind umringt von kleineren, weniger spektakulären, aber nicht weniger dynamischen Städten, nennen wir Rosenheim, empten oder Ingolstadt rund um München. Sie verhindern, dass Menschen in das Zentrum flüchten. Es fällt auf, dass daher Stuttgart und München weniger soziale Probleme haben als Frankfurt, Düsseldorf oder Hamburg, geringere Kriminalität, niedrigere Schulabbrecherquoten und weniger Langzeitarbeitslose. Berlin beginnt sich endlich aufzurappeln – aber hier lässt das Wachstum Hartz-IV-Empfänger links liegen, und die hohe Quote der Schulabbrecher verlängert das Elend in die nächste Generation. Für deutsche Bürgermeister und Landespolitiker ist dieses Ranking damit so etwas wie ein Schulzeugnis. Es gibt gute Noten – aber auch viele Sitzenbleiber.
(Erschienen auf Wiwo.de am 09.12.2011)
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