Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas einen Tornado in Texas auslösen?
An dieses Bild des Begründers der Chaostheorie, Edward Lorenz, fühlt man sich erinnert, nachdem eine klitzekleine Veränderung einen Wirbelsturm an den Weltbörsen ausgelöst hat. Statt “absolut risikolos” sind die Staatsschulden der USA von einer Ratingagentur auf „fast risikolos“ umbenannt worden. Ein verlorenes A im Rating und ein kleiner rhetorischer Flügelschlag haben an den Börsen schon am ersten Tag so viel Kapital vernichtet, wie Spanien in einem ganzen Jahr erwirtschaftet. Die Chaostheorie untersucht, wie kleine Veränderungen sich zu gewaltigen Folgen auswachsen – bei Edwards Ursprungsanalyse der Wetterveränderung war es eine Rundung an der dritten Stelle hinter dem Komma seiner Ausgangsgleichung.
Der kleine Unterschied und das Börsengewitter sind nicht die Folge von ein paar mehr oder weniger eingesparten Milliarden im Haushalt von Barack Obama, sondern eine veränderte Risikowahrnehmung: Die letzte existierende Großmacht der Welt hat größten Ärger mit ihrem Kreditberater, und es ist keineswegs sicher, dass große und scheinbar mächtige Staaten noch ihre Staatsschulden bedienen können, die sie für immer neue Sozialausgaben und letztlich Stimmenkauf ausgegeben haben.
Das stellt aber das gesamte Geschäftsmodell der Staaten, auch in Europa, infrage: Bislang haben wir doch immer geglaubt, dass Staaten nicht verschwinden können wie Privatunternehmen, weil sie den Bürgern immer genug Steuern abpressen können, um die nächste Zinszahlung zu leisten. Man lese sich nur die Begründungen durch, mit denen im Deutschen Bundestag Ausgaben gerechtfertigt werden oder mit welcher Ignoranz in den Ländern gerade Milliarden verpulvert werden: Die 180 neuen Stellen für grün-rote Parteigänger in den Stuttgarter Ministerien sind danach ebenso “Investitionen” wie etwa die Beitragsfreiheit des dritten Kita-Jahrs in NRW.
Es ist der unerschütterliche Glaube, dass Geld, das der Staat für angeblich herzensgute Freundschaftsdienste ausgibt, vermehrt zurückfließt. Dieser Glaube ging spätestens in der vergangenen Woche verloren. Es ist die Woche, in der John Maynard Keynes ein zweites Mal zu Grabe getragen wurde: Seine Jünger predigen und predigen, dass, wer sich mehr Geld pumpt und als Staatsknete ausgibt, noch mehr zurückbekommt. Aber die Konjunkturprogramme, die weltweit nach der Finanzkrise wirkten, müssten jetzt durch noch gigantischere Summen ersetzt werden – dummerweise sind die Kassen schon nach der ersten Runde ratzeputz leer und die Kasse selbst verpfändet.
Deutschland, dessen Staatsverschuldung gerade noch tragbar ist, wird durch einen weiteren Folgefehler getroffen: Der Euro und die Bereitschaft der Bundesregierung, als Bürge einzuspringen, haben die Schulden Griechenlands, Portugals, Irlands und womöglich des lahmenden Italiens zu unseren gemacht. Der Bundeshaushalt spiegelt uns noch eine Solidität vor, die in Wirklichkeit nur groteske Schuldenlöcher tarnt. Die Leistung der deutschen Industrie und ihre Exporterfolge könnten sich in der Finanzierungsfalle verfangen, die von den verschuldeten Staaten ausgelöst wird. Die Hoffnung auf einen wenigstens mittelfristig glatten Konjunkturverlauf zerschlägt sich, war immer nur eine (schöne) Illusion. Unternehmen und Private müssen mit Krisen leben lernen – es gibt eben doch zu viele schwarze Schmetterlinge am Amazonas.
(Erschienen auf Wiwo.de am 13.08.2011)
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein