Robert Habeck muss ohne Ludwig Erhard auskommen

Seit 2007 begrüßte in der Eingangshalle des Bundeswirtschaftsministeriums eine Bronze-Büste von Ludwig Erhard die Besucher. Jetzt ist die Büste verschwunden – der Leihgeber hat sie zurückgefordert. Zum 75. Jubiläum von Ludwig Erhards Entfesselung der Wirtschaft wird sie von Habeck an die Kette gelegt.

IMAGO Photothek / Wolf P. Prange - TE: Collage

Ludwig Erhard, der legendäre Wirtschaftsminister der Jahre 1949 bis 1963, ist aus Berlin nach Bonn zurückgekehrt. Seine Büste wurde aus der Eingangshalle des Bundeswirtschaftsministeriums entfernt und in die Privatwohnung des Leihgebers verschickt. Der hatte die Rückgabe verlangt.

Tatsächlich hat Habecks Politik wenig mit dem zu tun, wofür Ludwig Erhard steht: Statt dessen Losung „Wohlstand für Alle“ gilt jetzt die Forderung nach „De-Growth“ – einem generellen Schrumpfen der Wirtschaft, um so irgendwie den CO2-Ausstoß zu vermindern. Unter Habeck nehmen die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft rapide zu: Die ohnehin schon staatslastige Energiepolitik ist faktisch eine Beamtenwirtschaft, die Preise, Mengen und Technologien der Energieerzeugung bestimmen.

Bislang folgte Habeck dem Rat der umstrittenen Wirtschaftspublizistin Mariana Mazzucato. In Habecks eigenen Worten: „Ich hatte mich zuvor intensiv mit ihren Schriften beschäftigt, und sie gehören zu den besten.“ Da dürften schon Splitter des großen Spiegels ihm im Herzen und im Auge gesessen haben: „Im direkten Gespräch war die Frau eine Macht, eine Autorität.“ Es ist neuer Wein in alten Schläuchen oder ein ideengeschichtlicher Riesenrückschritt.

Der Titel ihres einflussreichen Buchs mit dem aktivistischen Titel: „Mission. Auf dem Weg zu einer Neuen Wirtschaft“ erinnert nicht nur an die historische Mission der Arbeiterklasse, er erinnert auch an das Neue Ökonomische System der Leitung und Planung, kurz NÖSPL genannt, also an den gescheiterten Versuch Anfang der sechziger Jahre, die stalinistische Kommandowirtschaft in der DDR zu reformieren und so etwas wie eine sozialistische Marktwirtschaft zu erschaffen – eine neue Wirtschaft zu erdenken, was von Mariana Mazzucato über Robert Habeck bis hin zu Luisa Neubauer momentan alle wollen, so Klaus-Rüdiger Mai in einer Analyse.

Ziel aller Politik – auch der Wirtschaftspolitik – war und ist sowohl für Mariana Mazzucato als auch für Robert Habeck, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Da Geld für Robert Habeck anscheinend keine Bedeutung besitzt, konnte er verkünden: „Es wird nicht am Geld scheitern, um Deutschland klimaneutral zu machen.“ Die Mehrkosten für die Klimawandelbekämpfungsindustrie bezifferte Habeck auf dem Parteitag freihändig auf 50 Milliarden Euro. „Es ist ja nur Geld“, gilt als Habecks wirtschaftspolitische Erkenntnis. Mittlerweile ist bereits die Rede von 500 Milliarden Euro pro Jahr für den Umbau der klimaneutralen Energieversorgung, so überschlagmäßig berechnet vom Energieexperten André Thess.

Das mögen irre Zahlen sein; Habecks Wärempumpenplan allein wird irgendwo zwischen 200 und 500 Milliarden Euro veranschlagt. Wie sein Vorbild spricht Habeck lieber nicht von Wirtschaft, sondern von einer „Mission“: „Missionsorientiertes Denken auf unsere Zeit anzuwenden, bedarf nicht nur der Anpassung, sondern einer institutionellen Innovation, die neue Märkte zu schaffen und bestehende neu zu gestalten vermag.“

Bei so viel Aufwand für eine Mission geht es nicht nur um Geld. Bei Habeck bleibt von der Marktwirtschaft nicht mehr viel übrig: Die freie Marktwirtschaft sei wichtig, aber nur wenn der Staat dafür sorgt, dass „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen – und dann brauchen wir alle die Freiheit der Märkte, die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer“. Der Wirtschaftsminister der Grünen glaubt wirklich, dass diese öffentlichen Investitionen einen „gigantischen Weg von weiteren privaten Investitionen“, so Habeck, „schieben“ werden, weil der Staat das allein nicht schafft. Man könnte Mazzucatos Wirtschaftslyrik in dem kurzen Satz zusammenfassen: Der Staat befiehlt, die Wirtschaft folgt.

Im Grunde zitiert Habeck, ohne dass er es vermutlich weiß, nur J.W. Stalin, wenn er meint, dass die Freiheit der Märkte erst dann gefragt ist, wenn die Politik den Unternehmen die richtige Richtung gewiesen hat. Stalin bemerkte seinerzeit: Wenn die Richtung klar ist, entscheiden die Kader alles. Unternehmer, denen die Richtung gewiesen wurde, sind dann nur noch Kader einer grünen Kommandowirtschaft. „So bauen wir“, begeistert sich Habeck, „von der Mission aus, vom Ziel her aus eine klimaneutrale Gesellschaft. Wir brauchen dafür die freien Märkte, das freie Unternehmertum, aber es muss eine Richtung bekommen, es muss sich dem gesellschaftlichen Ziel anschließen und die Richtung bekommt es, wenn die öffentliche Hand mit ihrer Finanzierung vorangeht.“

Das steht nun im krassen Gegensatz zu Ludwig Erhard. Der kämpfte für Wettbewerb und gegen staatliche und private Kartelle, um so für die Konsumenten mehr Produkte zu niedrigeren Preisen zu ermöglichen. Habeck zentralisiert jetzt, was Ludwig Erhard geschaffen hat: die Freisetzung der wirtschaftlichen Dynamik. Zeitgleich zur Währungsreform, die das zerrüttete Geldwesen durch Einführung der Deutschen Mark sanierte, ließ Erhard das „Leitsätzegesetz“ formulieren und anlässlich des Wirtschaftsrats der damaligen Bizone (einer Art Wirtschaftsregierung der amerikanisch und britisch besetzten Zone) am 18. Juni 1948 um 4.53 Uhr morgens beschließen.

Am Abend vor dem Tag der Währungsreform, also am 19. Juni 1948, ließ er seinen Pressesprecher Kuno Ockhardt die Aufhebung von Bewirtschaftung und Preisbindung über den Rundfunk ankündigen, obwohl dieses Gesetz noch gar nicht genehmigt war. Am 20. Juni wurde Ludwig Erhard in das Frankfurter Hauptquartier der Alliierten zum amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay persönlich zitiert. Der herrschte ihn, als der den großen Raum betrat, an: Was sei ihm eingefallen, die Besatzungsvorschriften zu missachten! Wie habe er die eigenmächtig abändern können? Ludwig Erhard, der diese Szene gelegentlich zum Besten gab, pflegte dann mit vergnügtem Schmunzeln fortzufahren, wie er den Vorwurf parierte: „Herr General, ich habe die Vorschriften nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.“

Der Coup zeigte ungeahnte Wirkung

Die folgenden Tage waren erfüllt von geradezu euphorischer Hektik in allen deutschen Städten, ja auch in den Dörfern. Es war, als hätte Erhard irgendwo ein geheimes Ventil der Wirtschaft aufgedreht. Schaufenster und Regale waren am Montag nach dem 20. Juni 1948 plötzlich mit Waren gefüllt, die es zuvor allenfalls auf dem Schwarzmarkt gegeben hatte. Erhards Entscheidung, die dann mit dem „Leitsätzegesetz“ vom 21. Juni 1948 bestätigt wurde, ist ein wesentlicher Beitrag – wenn nicht der wesentlichste überhaupt – zum „deutschen Wirtschaftswunder“. Die Menschen hatten nicht nur neues Geld, sie hatten auch die Waren, die sie damit kaufen können. Der Kreislauf der Marktwirtschaft begann quasi sofort, sich zu entwickeln. Man könnte das 75-jährige Jubiläum feiern – die Entfesselung der Wirtschaft, die Begeisterung der Menschen für eigene Leistung und der Stolz auf eigenes Können; der Beginn einer Phase, in der Erhards Programm „Wohlstand für Alle“ Realität wurde. Es wird nicht gefeiert. Gar nicht.

Genau davon will Habeck nichts wissen. Das grüne Wirtschaftswunder soll nicht von unten, von Unternehmern und Konsumenten veranstaltet werden, sondern auf Geheiß der Politik. Nicht der wirtschaftliche Nutzen zählt, sondern Befehl und Anordnung, die dann nur noch im Detail variiert werden können, wenn überhaupt. Es ist die verordnete Einheitslösung von oben, nicht die Kreativität der Menschen, auf die Habeck setzt – gewissermaßen ein Anti-Erhard.

Wenn Habeck jetzt sein „Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz“ umfirmiertes Ministerium betritt, muss er sich nicht mehr von Ludwig Erhards Büste begrüßen lassen. Vermutlich reicht ihm schon die ebenfalls dort befindliche Büste Karl Schillers, die dort seit der Amtszeit von Sigmar Gabriel (SPD) steht. Karl Schiller, von 1966 bis 1972 erster Bundesminister für Wirtschaft der SPD und von 1971 bis 1972 zusätzlich Bundesminister der Finanzen, galt lange als Gegenspieler Ludwig Erhards. Tatsächlich hat er das „Stabilitätsgesetz“, das Ludwig Erhard 1966 noch als Bundeskanzler in die parlamentarische Beratung einbrachte, modifiziert und in sein Gegenteil verkehrt. Während Ludwig Erhard mit dem Gesetz die öffentlichen Haushalte vor wachsender Staatsverschuldung schützen und den Geldwert sichern wollte, baute Schiller darüber ein „Wachstumsgesetz“, das immerwährendes Wirtschaftswachstum durch staatlichen, schuldenfinanzierten Interventionismus schaffen sollte.

So gegensätzlich Erhard und Schiller zunächst dachten – nachdem beide aus der aktiven Politik ausgeschieden waren, verständigten sie sich im Protest gegen die ausufernde Verschuldung des Staates unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt und traten gemeinsam im Wahlkampf auf.

Jetzt sind die Büsten von Erhard und Schiller getrennt. Angesichts der rapiden Zunahme der Staatsverschuldung und dem Verstoß gegen die Schuldenbegrenzungsregeln des Maastrichter Vertrags müsste eigentlich auch Schiller bald aus dem Wirtschaftsministerium verschwinden. Robert Habeck erfindet eben Wirtschaft gänzlich neu als „Mission“.

Und Erhards Soziale Marktwirtschaft? Um mit Habecks Kalauer zu antworten: Wohlstand für alle gibt es weiter. Nur nicht in Deutschland.


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Kommentare ( 55 )

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55 Comments
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alter weisser Mann
1 Jahr her

Das hat der Leihgeber gut gemacht.

Der Ketzer
1 Jahr her

Am Rande bemerkt: Es gibt keine „Beamtenwirtschaft“! Beamte setzen lediglich Gesetze um, die ein Parlament beschließt, das von den Bürgern gewählt wurde. Wenn die Gesetze gut sind und von gut ausgebildeten Beamten umgesetzt werden, kann das Land blühen und gedeihen. Wenn aus dem Parlament nur Bockmist kommt, ist es halt umgekehrt. Dafür wird man Beamte – in einer Demokratie – nicht verantwortlich machen können. Die Verantwortung dafür trägt allein der Wähler.

Proll27
1 Jahr her

Ludwig Erhard hat da nichts mehr zu suchen. Dort gibt es jetzt andere Leitbilder: Lenin, Marx, Stalin u.ä. Mit Erhard ist dieser „Minister“ sowieso überfordert

sunnyliese
1 Jahr her

Die Grünen wissen doch gar nicht, wer Ludwig Erhard ist. Frau Baerbock meinte doch, die SPD hätte in den sechziger Jahren die soziale Marktwirtschaft „erfunden“.

Vau8
1 Jahr her

„Robert Habeck muss ohne Ludwig Erhard auskommen“
Ludwig Erhard darf ohne Robert Habeck auskommen.

Endlich Frei
1 Jahr her

Es muss Erhard wie eine Beleidigung seines Andenkens vorgekommen sein, in der Vorhalle zu Habeck WM-Büro fungieren zu müssen. Gottlob nimmt der Leihgeber nun die Schande von Ludwig Erhard, der sich vermutlich zuletzt nur noch im Grabe umgedreht hat.

RHU
1 Jahr her

Entschuldigung! Aber woher soll der grüne Trottel wissen, wer Ludwig Erhard war? Er mag ein Diplom in Phobosophie haben aber wohin das führt, sieht man ja.

Last edited 1 Jahr her by RHU
F. Hoffmann
1 Jahr her

Also bitte! Woher und warum soll der Robert denn wissen wer dieser Erhard war! Wahrscheinlich auch nur so ein Bismarck oder so.

Kappes
1 Jahr her

Es war gut, dass der Eigentümer die Büste zurück gefordert hat. Spätestens seit Habeck dort residiert, hat das Ministerium nicht mehr die notwendige Würde, um diese Büste aufzunehmen.

Phil
1 Jahr her

Deutschland müsste, um auf eine fiktive „Null“ in Sachen CO2 zu kommen, bis 2045 eine halbe Milliarde Tonnen CO2 einsparen, was einem wirtschaftlichen Totalverlust gleichkommt. China, welches für die gesamte Welt bereits 80% der Windräder und PV-Anlagen baut, wird alleine in diesem Jahr pro Woche zwei weitere Kohlekraftwerke fertigstellen und in Betrieb nehmen. Die gesamten CO2-Einsparungs-Anstrengungen welche Deutschland in den nächsten 22 Jahren, unter ungeheuren finanziellen Aufwendungen, einer noch nie dagewesenen Deindustrialisierung und einer kompletten Verarmung der Bevölkerung realisieren möchte, werden innerhalb von einem halben Jahr von China, einzig was die Kohlestromerzeugung anbelangt, zunichte gemacht. Ein Kohlekraftwerk erzeugt 10 Millionen… Mehr

pcn
1 Jahr her
Antworten an  Phil

Alles richtig, was Sie schreiben. Aber wie wir wissen, geht es den Grünen nicht ums Klima, sondern genau um das, was Roland Tichy in seinem Beitrag schreibt:
Um Deindustrialisierung und systematische Verarmung, was einer Enteignung gleichkommt.