Es ist ja wahr, der Börsengang von Facebook sieht ziemlich nach einer Blase aus. Aber hätten die Buchhalter Amerika entdeckt?
Facebook lässt sich nüchtern eigentlich gar nicht verstehen: 3,7 Milliarden Dollar Umsatz, eine Milliarde Gewinn, aber gleich 98 Milliarden Dollar Börsenkapitalisierung. Um daraus eine Kaufempfehlung abzuleiten, muss sich schon die schwarze Magie mit Größenwahn zu einem phantasmagorischen Gesamtkunstwerk verbinden. Gegen die Blase aus Spargroschen, die ein gigantischer Geldstaubsauger aufwölbt, sieht der längst vergangene Hype um die Deutsche Telekom aus wie eine mündelsichere Geldanlage. Die faulen Börsenblasen von EM.TV bis Intershop vom legendären Neuen Markt nehmen sich daneben aus, als hätten ein paar halbstarke Mopedjungs einen Kaugummiautomaten geknackt – während Profis einen randvollen Geldschrank sprengen wie im Krimiklassiker “Rififi”.
Aber man kann die Geschichte auch anders lesen: Da traut sich einer was. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, 28 Jahre jung, tritt mit den Milliarden aus dem Börsengang ein in die Schlacht um die Vorherrschaft im Internet. Statt zu kleckern, klotzt er. Er munitioniert sich mit diesen zig Milliarden, um mit Google, Amazon und Apple gleichzuziehen. Es ist ein hochriskantes Spiel: Mit dem Geld aus dem Börsengang wird er neue Unternehmen aufkaufen mit noch weniger Umsatz, ganz ohne Gewinn und ungefährem Geschäftsmodell. Eine Blase bleibt selten allein, die eine große bläst viele kleine auf, mit denen man auch viel Kapital verlieren kann. Mit diesen Zeilen habe ich Sie in vergleichbar großen Buchstaben auf die Risiken und Nebenwirkungen hingewiesen, die Sie mit einem Kauf von Facebook-Aktien eingehen. Finger weg!
Denken Sie daran: Wir leben in einem Land, in dem ein 28-Jähriger allenfalls eine Riester-Rente erhält oder vielleicht ein paar Peanuts aus dem Existenzgründerprogramm der KfW Bankengruppe, falls er sich dem Wahn hingibt, auch mal eine Internet-Idee verwirklichen zu wollen.
Ein deutsches Facebook werden wir mit dieser Methode ebenso wenig erleben wie ein Apple, Amazon und Google. Darauf sind wir sogar noch stolz. Denn während die USA sich längst schon wieder auf ihre ganz eigene Art von den Tiefschlägen der Immobilienkrise erholen und mit neuen Riesenkonzernen ihre weltweit beherrschende Führungsrolle der Zukunftstechnologien zurückerobern, falls sie die jemals verloren haben sollten, basteln wir an den Erfindungen des vorvergangenen Jahrhunderts herum und freuen uns, wenn wir dem Benzinmotor noch ein Tröpfchen eingespartes Benzin abringen. Aber reicht das für die Zukunft? Brauchen wir nicht doch eine neue Generation von High-Tech-Unternehmen?
Wobei viele deutsche Unternehmen ohne Zweifel Weltspitze sind. Aber wir vertrauen ihnen nicht unser Kapital an. Das ist der Grund, dass 54 Prozent aller von den Dax-Konzernen ausgegebenen Aktien in ausländischem Eigentum liegen. Wir arbeiten, die anderen finanzieren und kassieren. Am Ende hoffen wir auf die Sozialrente. Man kann es auch so lesen: Die anderen trauen uns mehr zu als wir uns selbst. Das ständige Gerede einer zukunftsscheuen, im Wohlstand träge gewordenen Gesellschaftspolitik hält einen Bausparvertrag schon für eine Hochrisikoanlage und den Kauf einer Aktie für einen Anschlag auf die Stabilität des weltweiten Finanzsystems. Spekulation ist das am häufigsten ge- und missbrauchte Schimpfwort für jede Transaktion, die an Komplexität einen Ratenkauf überschreitet; weswegen unbedingt eine Börsentransaktionssteuer eingeführt werden muss. Dass sie so wirksam ist wie Weihrauch gegen die Pest, wagen wir nicht mehr auszusprechen; das stört die Ruhe im Altersheim, der Sozialwart könnte schimpfen. Christoph Kolumbus wäre bei uns als Irrer weggesperrt worden. Dabei hat er eine neue Welt entdeckt.
Facebook mag fragwürdig sein. Aber der unternehmerische Wagemut, die Größe des Denkens und die Bereitschaft, dies zu finanzieren, beeindruckt – und fehlt uns.
(Erschienen auf Wiwo.de am 12.05.2012)
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