Angela Merkel hat unumstößliche Gesetze der Politik außer Kraft gesetzt: Eine Frau aus dem Osten als Bundeskanzlerin – das schien unmöglich. Demnächst könnte sie eine weitere Wahrheit umstoßen: „Im Schlafwagen kommt man nicht an die Macht“, hat einstmals der Abgeordnete Jürgen Todenhöfer dem CDU-Chef Helmut Kohl zugerufen, der erst durch eine härtere Gangart zum Kanzlerkandidaten wurde. Diesmal führt Merkel einen Wahlkampf nach dem Motto „Stell dir vor es ist Wahlkampf und keiner geht hin“. Sie macht einfach nicht mit bei den Rempeleien der Jungs. Da wirkt einer wie Krümmel-Gabriel, der einen kaputten Trafo zum Tschernobyl-GAU hochschwätzt, so erbarmungswürdig wie ein kleiner Junge, dem sie im Sandkasten das Förmchen weggenommen haben. Ulla Schmidt mit ihren Angriffen auf Ärzte und Privatversicherte kommt so übrig geblieben daher wie eine rheinische Karnevalsprinzessin am Aschermittwoch. Merkel verspricht dadurch, dass sie nichts verspricht, Sicherheit, Ruhe und seltsamerweise Kompetenz – denn dass uns Frank-Walter Steinmeiers Elektroautos aus der Krise fahren, glaubt eben auch kein Mensch. Auch die FDP sagt lieber nichts, und dieses kluge Maß an Selbstbeschränkung wird als Ausweis der Regierungsfähigkeit wahrgenommen. Und so gleitet Guido Westerwelle als blinder Passagier im Kanzlerinnen-Schlafwagen mit ins Regierungsviertel.
Aber wenn sie dort tatsächlich ankommen sollten – dann wird es vorbei sein mit der Ruhe. Im Herbst wird deutlich, dass an deutschen Autos, Maschinen und Anlagen zwar die Welt genesen kann, aber die industriellen Kapazitäten, gemessen an der Nachfrage, deutlich zu hoch sind. Keine Regierung kann so viele Autos abwracken, wie wir bauen können. Diese Überkapazitäten sind die deutsche Abart der kreditgeblähten globalen Blasen-Ökonomie. Die Entlassungswelle trifft die Stammbelegschaften der Automobilwerke in Süddeutschland und der Chemie im Westen.
Bundeshaushalt und Sozialkassen können dann nicht mehr mit Mehreinnahmen saniert werden – es wird den explodierenden Mehrausgaben hinterhergespart werden müssen. Spätestens dann wird sich der bisherige sozialdemokratische Grundkonsens in der großen CDU/CSU-SPD-Koalition, wonach mit allerlei kleinen Wohltaten die Schmerzen der Agenda-2010-Politik gelindert werden, zum ständigen Koalitionskrach mit der FDP verwandeln.
Innen- und gesellschaftspolitisch wirkte die große Koalition einschläfernd wie ein überdosierter gesamtgesellschaftlicher Dämmerschoppen: Die Oppositionsparteien wurden im Parlament an den Rand gedrängt und in den Medien kaum mehr wahrgenommen. Ist die SPD erst wieder in der Opposition, wird sie eine viel lautstärkere Mobilisierungskraft beweisen als derzeit die Linke oder die ergrauten Grünen. Mit einer Wahlniederlage von Steinmeier treten die letzten Agenda-Reformer in der SPD und Merkel-Schmuser ab – dann wird eine junge Garde die Mikrofone übernehmen, der die Linke näher, sehr viel näher ist als die Union. Flieht auch noch Oskar Lafontaine wieder in die Feinschmeckerrestaurants des Saarlands, steht einer sozialistischen Neo-Bruderschaft ohnehin nichts mehr im Weg.
Bisher waren Wahlkämpfe die Zeit der harten Auseinandersetzung, während eine gewählte Regierung vergleichsweise friedlich arbeiten konnte. Diesmal wird das anders sein. Der Wahlkampf ist so still wie eine Wanderung durch die Mark Brandenburg. Dafür wird’s laut, wenn der Schlafwagen am Zielbahnhof Berlin-Mitte einrollt. Dann muss Merkel zeigen, ob sie nur eine große Koalition moderieren oder wirklich das Land führen kann.
Für die politische Klasse gilt: Genießt den Wahlkampf, das Regieren wird fürchterlich.
(Erschienen auf 08.08.2009 auf Wiwo.de)
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