Liebe Schweizer Nachbarn, an dieser Stelle möchte ich mich für die ruppige und beleidigende Sprache unseres Bundesfinanzministers Peer Steinbrück entschuldigen. Europäische Nachbarvölker mit der Peitsche züchtigen und wie die Indianer mit der Kavallerie niederreiten – das ist der Ton des deutschen Herrenreiters. Ich schäme mich für diese rhetorische Untat.
Aber sehen Sie es mal anders. SIE müssen sich gelegentlich über ihn ärgern. WIR müssen seine Politik ertragen. Besuchen Sie einmal eine deutsche Buchhandlung. Die beste Verkaufsfläche gilt Steuerratgebern. Sie tragen Titel wie „1000 ganz legale Steuertricks“ oder „Sparbuch“. Das deutsche Steuerrecht ist ein Dschungel, voller rechtlicher Grauzonen, böser Fallen, räuberischer Abgabenordnungen und tückischer Giftschlangen. Eine ganze Branche lebt gut von Ratschlägen, wie wenigstens ein paar Groschen am Fiskus vorbei zu retten sind. Nun ist es nicht so, dass der Steuerspartrieb eine besondere genetische Veranlagung der Deutschen ist. Auch wir geben dem Kaiser, was des Kaisers ist.
Aber die Evolution hat uns zu Steuertricksern gemacht – anders wäre dieser blutsaugerische Staat nicht zu ertragen. Allein die Auflistung aller Überschriften der Steuerrechtsänderungen seit der Amtsübernahme durch Peer Steinbrück umfasst 18 Seiten. Besser ist das Steuerrecht dadurch nicht geworden – nur noch bürokratischer, noch undurchdringlicher, noch bedrückender. Steinbrück hat hier keine Abhilfe geschafft, im Gegenteil. Seine Steuerpolitik hat die Probleme dramatisch verschärft. Die Unternehmenssteuerreform, eines der Glanzstücke dieses Finanzministers, treibt in diesen Wochen Tausende von Unternehmen in die Pleite, weil sie ihnen liquide Mittel entzieht. Die Erbschaftsteuerreform Steinbrücks ist etwas, was einen dazu veranlassen könnte, alles zu verjuxen, aber bloß nichts zu vererben. Unter Steinbrück leiden aber weniger die Reichen, wie er es in seiner gespielten Robin-Hood-Nummer vortäuscht. Schon wer im Jahr etwas mehr als 50.000 Euro verdient (im Jahr, nicht im Monat!), wird mit über 40 Prozent zur Kasse gebeten.
Es sind die deutschen Facharbeiter und Angestellten, die ausgenommen werden wie die Gänse am Martinstag. Die deutsche Arbeitnehmerfamilie zahlt im Durchschnitt etwa doppelt so hohe Abgaben wie die Schweizer Nachbarn. Das ist ja auch der Grund, warum in Ihren Kliniken der sächsische und thüringische Jargon das Schwyzerdütsch unter Ärzten verdrängt und deutsche Köche und Kellner die Schweizer Gastronomie übernehmen: Wer von seiner Hände oder seines Kopfes Arbeit anständig leben will, läuft davon. Wenn er kann. Die Schwarzarbeit ist daher unsere einzige, wirkliche Wachstumsbranche.
Vielleicht haben Sie schon etwas vom Datenschutz in Deutschland gehört. Wir tun uns schwer damit, al-Qaida-Terroristen zu verfolgen, weil ihre Computer respektvoll vor Zugriffen der Polizei geschützt werden sollen. Für Bankkunden und Steuerzahler gilt diese Unschuldsvermutung nicht. Deutsche Beamte haben jederzeit Einblick in alle Konten. Dazu braucht es nicht einmal eines Anfangsverdachts – es genügt eine nach „allgemeiner Erfahrung getroffene Prognose-Entscheidung“. So umschreibt man im Amtsdeutsch das, was nach Ihrem Sprachverständnis heißt: behördliche Willkür. Nun sind wir Deutsche ja schon immer ein technisch versiertes Volk. Deshalb können unsere Behörden in einem automatisierten Verfahren unsere Verhältnisse abfragen. Genosse Computer deckt jedes Konto auf. Und wenn nicht? Notfalls setzen wir dann unseren Geheimdienst in Gang. Ein irgendwie geartetes Bankgeheimnis gibt es nicht.
Sie ärgern sich über Peer Steinbrück. Zu Recht. Wir müssen mit ihm leben. Ich bin ein deutscher Patriot. Aber lieber wäre ich Indianer.
(Erschienen am 28.03.2009 auf Wiwo.de)
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