Das Bundesverfassungsgericht bremst die Euro-Retterei der Regierung Merkel – und stärkt gerade dadurch Merkel den Rücken.
Es ist immer ein großer Tag für die Demokratie, wenn die Bundesregierung in Person eines Ministers vor dem Bundesverfassungsgericht aussagt wie sonst ein Mietnomade vor dem Amtsgericht. Politik ist nicht allmächtig, so lernen wir, sondern muss sich überprüfen lassen. Und schon ist etwas Ruhe eingekehrt: Das Gericht prüft erst mal drei Monate lang, was die Bundesregierung in nächtlichen Krisensitzungen so zusammenverhandelt hat und was die Abgeordneten des Deutschen Bundestages husch, husch in einem Tempo durchs Parlament paukten, wie sonst nur eine Maggi-Minutenterrine garen muss. Die hektische Euro-Retterei wurde damit schon an einem entscheidenden Punkt korrigiert: Am Tag, nachdem das Gericht erst mal den neuesten Rettungsschirm zusammengeklappt hat, sind die Märkte nicht in Panik verfallen, und die Krise hat sich nicht verschärft. Wir erleben ja seit nunmehr über zwei Jahren, dass mit immer neuen Horrorszenarien immer noch mehr Milliarden lockergemacht werden, ehe mit dem nächsten Drohgebrüll noch weitere Milliarden aus uns herausgepresst werden – immer sind die Aufklärung, das christliche Abendland und der Friede in Europa in Gefahr, wenn die Griechen zum Grillen die Kohle mal selber mitbringen sollen.
Nun ist das Bundesverfassungsgericht der Regierung noch nie direkt in den Arm gefallen. Aber in den kommenden Wochen werden sie doch ein paar Hintertüren zusperren, die in den Rettungspaketen bisher gewollt oder versehentlich offen stehen: Die geholfenen Länder stellen ihre Reformen ja ziemlich schnell ein, sobald Geld fließt und jedes neue Rettungspaket noch mehr Manipulationsmöglichkeiten zu ihren Gunsten ermöglicht. Weil das Bundesverfassungsgericht jetzt genau die Hilfsbedingungen prüft, stärkt es der Kanzlerin den Rücken, statt sie zu schwächen. Denn es ist leicht, ihr vorzuwerfen, sie habe sich über den Tisch ziehen lassen, sei eingeknickt oder verrate gar deutsche Interessen. Tatsächlich ist der globale Druck enorm, und dem widersteht sie wie ein gusseisernes Fürst-Bismarck-Denkmal, das nur millimeterweise verrückt werden kann. Es ist eher die deutsche Politikpraxis, die dem Land schadet: Der einzige Gegendruck stammt von den deutschen Wählern, die nicht mitmachen, wenn sie unbegrenzt zur Kasse gebeten werden. Dieser Gegendruck kommt nicht von den Regierungsfraktionen: Abgeordnete der Regierungsfraktion sind machtlos, weil sie mit einem Nein zur Regierungsvorlage gleich die gesamte Regierung gefährden. Deutsche Parlamentarier werden gehalten wie eine Schafherde: Wer brav ist, darf auf Pöstchen hoffen. Wer ausbricht, wird vom Hirtenhund verbellt und muss um die Wiederwahl fürchten.
Tatsächlich erlebt Deutschland neben dem Parlaments- ein Oppositionsversagen. SPD und Grüne konnten bislang keine Alternativposition zu Merkels Kurs aufbauen. Ihr Widerspruch beschränkt sich darauf, die Kanzlerin zu drängen, noch mehr Milliarden und diese noch schneller rauszuhauen: immer Griechenland, heute Zypern, morgen Spaniens Banken, übermorgen Italien? Wer noch nicht hat, der darf mal. Das ist in der Geschichte des Parlamentarismus einzigartig. Seit der Magna Charta im bankrotten England des 13. Jahrhunderts versuchen die Oppositionen immer, die Regierungen am Geldausgeben zu hindern. Nur deutsche Sozialdemokraten fahren nach Paris, um François Hollande Hilfe dabei anzubieten, die Altersrente auf 60 zu senken, die sie bei ihren eigenen Wählern auf 67 erhöht haben. Dummerweise registrieren SPD-Wähler, dass nicht Banken über eine Finanzmarktsteuer zur Finanzierung beitragen, sondern ihre Pensionen und Lebensversicherungen schmelzen und die Steuern steigen werden.
So wird Angela Merkel bald die nörgeligen Bundesverfassungsrichter lieben lernen: Weil die Richter ihr helfen, gegen die immer neuen und maßlosen Euro-Forderungen ein Nein entgegenzusetzen und wenigstens teilweise zu halten.
(Erschienen auf Wiwo.de am 14.07.2012)
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein