Krise macht Urlaub

Es ist, als ob die Deutschen nun erst mal Urlaub von der Krise nähmen, die das Land jetzt seit genau zwei Jahren im Griff hat: Der erste Schock über die gigantischen Schulden für Staat und Bankenschirme ist verarbeitet. Opel hortet für den Tag, an dem seine austro-russischen Fahrer übernehmen, ein paar Hundert Millionen Euro Staatshilfe als Morgengabe. Porsche wartet auf einen reichen Scheich und Quelle auf Stütze von Horst Seehofer für den Katalog. Viele warten darauf, dass es im Herbst besser wird. Dass bei dauerhaften Auftragseinbrüchen von 30, 40 oder 50 Prozent ganze Fabriken, Branchen und Industriestandorte geschlossen werden müssten, dass 1,3 Millionen Kurzarbeiter im eigentlichen Sinne arbeitslos und all die netten Wahlversprechen für den Bundestagswahlkampf Makulatur sind – diese Vorstellung ist unerträglich, denn sie würde das Ende unseres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells bedeuten. Auf Strukturbrüche ist das Land nicht eingestellt, eher auf Abfedern, Auffangen, Sozialkuscheln und Schönreden.

Daher hoffen Manager, dass spätestens ab September wieder Aufträge hereintrudeln, die Chinesen bestellen, die Amerikaner einkaufen, gerne auch wieder auf Pump. Es gibt ja erste Hoffnungszeichen – die wachstumshungrigen Menschen in Asien brauchen Investitionsgüter, und das treibt die Auftragseingänge der Industrie. Die Stahlindustrie erhöht wieder den Ausstoß und gleich auch die Preise. In den Fußgängerzonen drängeln sich die Konsumenten. Sie nehmen die Krise als Schnäppchenparadies mit sinkenden Preisen wahr. Die Stimmung ist nicht so fiebrig wie die wirtschaftliche Lage; jetzt kommt eben erst mal der Urlaub dran.

Hoffentlich täuschen wir uns nicht wieder. Im Juli 2007 haben die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB und kurz darauf die Sachsen LB den Weg ins Reich der verlorenen Fantastilliarden angetreten; und immer neue Banken mussten immer riesigere Bilanzlöcher eingestehen. Seither hat die Wirtschafts‧Woche die Wendepunkte der Krise in 40 Titelgeschichten und Hunderten Artikeln beschrieben.

Über ein Jahr lang haben Wirtschaftsforschungsinstitute die Augen fest zugedrückt und so getan, als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Als im vorigen Sommer der Geldverkehr zwischen den globalen Banken in eine eisige Schockstarre fiel, haben Unternehmen wie Schaeffler und Porsche noch ihre waghalsigen Übernahmeangriffe gestartet, die, wenn überhaupt, nur bei bester Konjunktur und höchster Bereitwilligkeit zur Kreditvergabe hätten funktionieren können. Noch nach dem Donnerschlag der Lehman-Pleite sonnte sich die Bundesregierung im weichen Abendlicht sinkender Arbeitslosenzahlen und steigender Steuereinnahmen.

Dann kam im Spätherbst der Abriss der wirtschaftlichen Aktivität. Hilfspakete, Sparprogramme in den Unternehmen, Kurzarbeit, Pleiten und Konkurse bestimmen seither die Schlagzeilen.

Kommt nach dem Urlaub das Wachstum zurück? Selbst die allergrößten Optimisten erwarten allenfalls eine langsame Erholung. Für neue Jobs wird es nicht reichen. Ohne Wachstum werden wir die Staatsverschuldung niemals finanzieren, die wachsenden Lasten einer alternden Gesellschaft nicht schultern können. Wann auch immer die Krise vorbei ist – die Welt wird danach anders aussehen: mit mehr Schulden, mehr Protektionismus, niedrigerem Wachstum. Langsamer noch als solide Bankbilanzen lässt sich Vertrauen zurückgewinnen – aber gerade Vertrauen ist der wichtigste Wachstumsfaktor: Vertrauen in die Stabilität der Märkte, der Zukunft, der Solidität der Marktpartner. Auch während des Urlaubs wird die Welt nicht besser – allenfalls erscheint sie erträglicher.

(Erschienen am 11.7.2009 auf Wiwo.de)

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