Italien hat für Europa die Spar- und Stabilitätspolitik abgewählt. Kurzfristig hilft das Deutschland sogar – aber gefährdet den Euro.
Bestimmen jetzt Clowns die Politik unseres Lieblingsnachbarn Italien, wie SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück poltert? Das ist zu einfach. Es handelt sich vielmehr um ein kühl kalkuliertes Konzept: Es ist die Aufkündigung des von Angela Merkel und dem damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy durchgesetzten Reformrezepts „Cash gegen Austerity“ – europäische Rettungskredite nur gegen Reformen und Sparen. Es ist das Ende der von Deutschland dominierten Euro-Rettung und der Beginn einer lateinischen, der italienischen und französischen Tradition der Geldpolitik verschriebenen Währungsunion. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Euro zerbricht. Silvio Berlusconi ist kein Betriebsunfall, sondern Teil des europäischen Systems: Zu unpopulär sind Kürzungen in den Sozialhaushalten, nicht nur in Italien.
Denn krachend abgewählt wurde ja nicht nur die Regierung Monti. Seine Gegner, von denen Berlusconi nur der bekannteste ist, kämpften wortgewaltig gegen den aus Berlin erzwungenen Sparkurs. Italien steht damit nicht alleine: Auch Frankreich, Spanien und Portugal werden die vereinbarten Schuldengrenzen sprengen, die versprochenen Reformen werden verschleppt und verschludert. Frankreich und Italien, nach Wirtschaftskraft im Euro-Raum die Nummern zwei und drei, verlieren weiter an Wettbewerbsfähigkeit, ihre Schulden steigen noch schneller als Arbeitslosigkeit und Fabrikschließungen. Die Krise ist endgültig aus der Peripherie der Union im Herzen Europas angekommen.
Dabei ist die Aufweichung der Stabilitätspolitik der Euro-Zone bereits sehr viel weiter fortgeschritten, als wahrgenommen wird. Bekanntlich hat ja Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), versprochen, die EZB werde unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen, um übermäßige Zinssteigerungen für die wuchernde Staatsverschuldung zu verhindern – ein eklatanter Bruch mit der bisherigen Stabilitätspolitik, wie sie von der Deutschen Bundesbank geprägt und verteidigt wurde.
Genau das ist der Grund, warum es nach der Abwahl Mario Montis in Italien und in Frankreich trotz der fragwürdigen Verschuldungspolitik der linken Regierung nicht zu einem dramatischen Anstieg der Zinsen für Staatsanleihen dieser Länder gekommen ist: Die Investoren verlassen sich noch darauf, dass die EZB beliebig viel Geld drucken wird, um die Staatsanleihen in jeder Größenordnung aufzukaufen. Damit ist eingetreten, was Kritiker dieser EZB-Politik wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchten: Die Disziplinierung der ausgabewütigen Politik durch steigende Zinssätze findet nicht mehr statt; unbegrenzt sind Schulden machbar. Ihre Begrenzung erfolgt allenfalls über politische Kontrollen und Absprachen. Die aber sind allemal, wie Italien zeigt, zu schwach und zerbrechen spätestens bei Wahlen.
Die Folgen für Deutschland sind paradox: Über die längere Frist wird Inflation unweigerlich Einkommen und Erspartes auffressen, weil zu viel Geld durch die Wirtschaft gurgelt. Aber kurzfristig gewinnt die deutsche Wirtschaft. Denn Teil des lateinischen Kalküls ist ja auch, dass aus der Kombination von Inflation und Schulden der Euro abwertet und damit die Exporte für die angeschlagene Wirtschaft Italiens und Frankreichs steigen. Durch Abwertung konnten sich die Industrien dieser Länder seit den Sechzigerjahren gegen die schon damals übermächtige deutsche Industrie halten. Innerhalb der gemeinsamen Währung aber fällt dieser Mechanismus, der die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit und Reformnotwendigkeiten gnädig verschleiert, weg, und die Dominanz des jeweils Stärksten wächst.
Der Euro aber funktioniert nur, wenn sich die Wirtschaftskraft der Teilnehmer annähert – nicht, wenn sie immer weiter auseinanderfällt. Damit spitzt sich die Euro-Krise erneut zu, auch wenn die Symptome kurzfristig nicht sichtbar werden. Aber Berlusconis Rezept ist ja auch nicht, Europa zu retten – sondern das Maximale für sich und Italien herauszuholen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 02.03.2013)
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