Klappriges Gespenst

Die Linke in Deutschland wärmt sich an einem abgebrannten Feuerchen: Hat sie nicht immer schon recht gehabt mit ihrer Fundamentalkritik am globalen Kapitalismus, dem Neoliberalismus und Finanzmarktkapitalismus?

Die Heiligsprechung der Linken durch die “FAZ”, dem früheren Zentralorgan der deutschen Bürgerlichkeit, lässt die orientierungslosen Roten wohlig erschauern.

Halten wir “FAZ”-Herausgeber Frank Schirrmacher und seinem britischen Vordenker Charles Moore zugute, dass sie bestimmt nicht die Partei Die Linke von Gesine Lötzsch und Gregor Gysi gemeint haben, die Fidel Castro, den kommunistischen Gewaltherrscher über das verarmte Volksgefängnis Kuba, als “Vorbild” für die Völker der Welt feiert. Aber wen meint Schirrmacher dann? Die Sozialdemokratie? Es war doch gerade die linke Politik des Keynesianismus, die mit immer neuen Wohlfahrtsversprechen auf Pump die dramatische Überschuldung herbeigeführt hat, die jetzt den Euro und Europa bedroht. Dabei ist es ausgerechnet der bürgerlichen Politik des Sozialdemokraten Gerhard Schröder zu verdanken, dass Deutschland durch die Agenda 2010 wenigstens so viel Flexibilität wiedererlangt hat, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, die sich bis dahin durch die linke Politik zugunsten gewerkschaftlich organisierter Arbeitsplatzbesitzer ständig erhöht hat. Ohne den dafür von seiner Partei geächteten Schröder wären wir sicherlich wie Spanien, Italien und Frankreich bei einer obszön hohen Jugendarbeitslosigkeit gelandet – und bei einer Industrie, die gegen die Wettbewerber aus Asien chancenlos wäre. Das zeigt, wie viel ein bisschen mehr Markt zu leisten vermag. Die wunderbare Welt der Sechziger, in der die technologische Überlegenheit des Westens die eine Hälfte der Welt reich machte und sozialistische Selbstzerstörung die andere Hälfte in graugesichtiger Armut hielt – diese Zeit ist vorbei. Die Menschen in China und Indien entwickeln gerade viel Spaß am Kapitalismus und nehmen auf die beschützten Werkstätten in Alteuropa nicht viel Rücksicht. Für Pekings “Volkszeitung” ist die Überschuldung der europäischen Staaten “die Pest”; sie kommt damit dem Kern der derzeitigen Euro-Probleme näher als der Feuilletonjournalismus hierzulande.

Man muss die Finanzkrise seit 2007 nicht dadurch relativieren, dass die Politik in den USA sie durch Ninja-Kredite an Schuldner mit No Income, No Job, No Assets mitverursachte – und dass hauptsächlich öffentliche Banken den Giftmüll in Deutschland verteilten. Zur Zähmung der Finanzmärkte braucht es keine sozialistische Internationale, sondern Ordnungspolitik – auf die gerade Deutschland stolz sein kann, weil es gezeigt hat, wie man Rahmenbedingungen setzt, um den gefährlichen Keim der Selbstzerstörung in Märkten zu bändigen. Kapitalismus ist eine menschliche und fehlerhafte Veranstaltung. Die linke Politik dagegen verspricht den Himmel auf Erden und liefert die Hölle. Man muss ja nicht gleich auf Stalin zurückgreifen, aber doch fragen: Was ist denn das Projekt der demokratischen Linken? Noch mehr Staatsschulden für Gefälligkeitssozialpolitik? Die Rückkehr in die Stagnation vor der Agenda 2010? Ausstieg aus der Globalisierung? Eine Finanzmarkttransaktionssteuer und Mindestlöhne, Rente wieder mit 65 und andere längst als untauglich erkannte Programme? Im Augenblick ist das einzig erkennbare linke Projekt die Zentralisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik in Brüssel und ihre Finanzierung durch Euro-Bonds zulasten deutscher Arbeitnehmer und Unternehmen. Irgendwie hofft man wohl auf diese Weise die immer noch effizienten Deutschen mit ihren Restbeständen an Marktwirtschaft und den lästigen, jede Extra-Belastung brav ertragenden Mittelstand der Fleißigen und Pfiffigen an die Kandare der Bürokratie zu legen, bis der letzte Euro verteilt ist, ehe er erwirtschaftet werden konnte. Das müsste mit europäischer Solidarität doch zu schaffen sein! Und diese intellektuell ausgebrannte Linke also hat die Antwort? Das klingt eher nach Anrufung eines ziemlich klapprigen Gespenstes.

(Erschienen auf Wiwo.de am 27.08.2011)

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