Corona-Wirtschaft: „Genug Geld ist da“ – nur für wen?

Eine der wichtigsten Corona-Folgen ist im Bewusstsein noch nicht angekommen: Die europäische Schuldenunion. Es ist der endgültige Abschied von der Politik Ludwig Erhards, die da hieß: "Wohlstand für Alle".

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Das Gegenstück zum bösen „Impf-Nationalismus“ ist die gute Schuldenunion: Italien bekommt aus dem 750 Milliarden Euro schweren Pandemie-Fonds, in den Deutschland rund ein Viertel einzahlt, ca. 200 Milliarden Euro ausbezahlt. Doch von den 200 Milliarden Euro fließen einem Bericht der Welt zufolge nicht einmal „zehn Prozent in Medizin und in die Pflege“. Stattdessen gibt es Boni für die Anschaffung einer Heizung, bis zu 110 Prozent, für den Kauf von Neuwagen in Form von Zuschüssen von 2.000 bis 6.000 Euro, wobei in diesem Fall der Green Deal nicht gilt, denn die Antriebsart des Fahrzeugs, ob Benziner, Diesel oder E-Motor, ist völlig egal. Selbst die Anschaffung eines Fahrrads in Italien bezahlt der deutsche Steuerzahler mit. Neue Bürokratien werden entstehen und Staatsdiener noch besser besoldet werden.

Das hochverschuldete Italien kann sich das leisten, denn der linke Politiker Nicola Zingaretti, dessen postkommunistische Partei PD in Rom mitregiert, verkündet: „Genug Geld ist da.“ Geld ist da, nur für wen, wofür und wer zahlt am Ende? Die Antwort gibt die „New Monetär Policy“. Ihre Kernaussage: Einnahmen des Staates spielen keine Rolle mehr – mit von der Notenbank finanzierten Schulden ist alles möglich. Solche Staaten, wenn sie nur groß genug sind und ihre eigene Zentralbank vollständig unter der Fuchtel haben, können beliebig Geld ausgeben, besteuern und Kredite aufnehmen. Vereinfacht: Vergessen sie alles, wenn Sie sich Sorgen um die Staatsverschuldung machen – sie wächst halt. Das kostet den Staat nichts, weil die Zinsen ohnehin Null sind. Und wer mehr braucht, druckt halt mehr Geld, wie es altmodisch heißt.

Neuerdings wird dieses körperlose Kunstgeld nicht einmal mehr gedruckt. Es entsteht per Knopfdruck der Europäischen Zentralbank. Nach dieser Theorie sind wir in einer Art volkswirtschaftlichem Schlaraffenland angekommen. Alles geht. Und zwar europaweit. Leidet in Deutschland irgend jemand Hunger, wegen dieser 200 Milliarden für Italien? Kann man so nicht sagen. Stimmt irgendwas am Bundeshaushalt deswegen nicht, geht er aus den Fugen? Es wird nicht mitgezählt. Die neue Staatsverschuldung wird an den nationalen Haushalten vorbei geführt. Es sind EU-Schulden. Weit weg. In Brüssel. Unkontrollierbar, nicht beobachtet, ohne lästiges Parlament, denn das ist kein richtiges Parlament und ohnehin nur daran interessiert, mehr Macht für sich zu ergattern. Und da kommen Schulden gerade recht, für die im Zweifel … nun ja, die Nationalstaaten geradestehen. Und wenn die Schwierigkeiten haben? Umso mehr Macht für die EU und ihr Puppen-Parlament. So ist alles wohlgeregelt.

Auf nationaler Ebene explodieren die Schulden

Die Nationalstaaten haben damit genug zu tun. Die zusätzliche Neuverschuldung des Bundes wird nach den jüngsten Beschlüssen 2021 fast 180 Milliarden Euro betragen. Geplant waren 96 Milliarden, dazu kamen während der Haushaltsberatung weitere 84 Milliarden. Es sind unvorstellbare Zahlen. Grob umgerechnet besagen sie: Statt zusätzlicher 1.000 Euro Schulden je Kopf der Bevölkerung werden es 2.000 Euro, vom Baby bis zum Greis.

Und es reicht immer noch nicht. Deshalb werden die Bürger mit neuen und höheren Steuern belastet. Zum 1. Januar stieg die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte auf 19 Prozent. Krankenkassenbeiträge steigen teilweise zweistellig. Das Klimapaket verteuert Treibstoffe, Gas und Heizung  – für ein Einfamilienhaus fallen im Jahr 2021 dann Mehrkosten von rund 120 Euro an; 2025 werden es bereits rund 264 Euro sein. Es kassiert sich leicht und flott im Corona-Jahr. Verständnisvoll nicken alle Kommentatoren und Parlamentarier. Der Staat braucht mehr Geld – soll es der Bürger bezahlen! Wer sonst.

Angesichts solcher Zahlen werde ihm „schwummrig“, mahnte der frühere Ifo-Chef Hans-Werner Sinn bereits im Frühjahr. Müssen wir uns wirklich um die steigenden Schulden sorgen? Ein Blick zurück zeigt: Die höchste Neuverschuldung in der Phase der Wiedervereinigung betrug 1996 gerade 40 Milliarden Euro; etwa ein Fünftel der heutigen Zahlen. Damals gab es noch Zinsen.

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Von den heutigen Nullzinsen „konnte ich nur träumen“, sagt Wiedervereinigungsfinanzminister Theo Waigel. Vieles hat sich seitdem zum Vorteil des Staates geändert. Heute werden die Staaten durch die Europäische Zentralbank (EZB) finanziert: Sie hat die Zinsen auf null gedrückt, sodass sich der Staat zinsfrei verschulden kann. Damals reagierte man mit Sparmaßnahmen; heute erklären Wirtschaftsprofessoren, dass Staatsschulden nie mehr zurückbezahlt werden müssten. Der größte Unterschied aber: Alle Schulden, die Deutschland nicht macht, macht eben die EU oder ein anderes Mitgliedsland. Die Frage ist nur noch: Wer macht die Schulden und profitiert davon? Die Sozialleistungen des einen sind die Schulden des andern.

Willkommen in der EU-WG

Im Zuge der Corona-Politik hat die EU ihren Charakter grundsätzlich verändert: Sie funktioniert nun quasi als Zentralstaat mit zentralen Einnahmen und Schuldenaufnahme. Der EU-Haushalt umfasst insgesamt 1,8 Billionen Euro. Das sind 1.800 Milliarden; dagegen spielt Olaf Scholz nur mit Peanuts. Die Entscheidungen über die richtig großen Schulden treffen andere. Die EU ist eine Wohngemeinschaft, in der alle Bewohner den Kühlschrank leeren, aber keiner einkauft. Oder gar putzt.

Für den Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro passen wirklich Worte wie „neu“ und „historisch“, denn genau das ist der Fall: Erstmals in ihrer Geschichte setzt die EU ein schuldenfinanziertes Konjunkturpaket auf. Die Kommission wird ermächtigt, an den Finanzmärkten Anleihen zu begeben und ein Vielfaches an Schulden aufzunehmen, sie mit Finanzprodukten zu „hebeln“, also zu vervielfachen. Das wird wunderbar klappen. Die jeweiligen Nationalstaaten haften für die Gemeinschaftsschulden entsprechend ihrem Anteil am EU-Haushalt.

Jahrelang wehrten die Deutschen sich gegen sogenannte Eurobonds, also gemeinsame Schuldverschreibungen der EU-Mitglieder. Jetzt sind diese
Bonds da, auch wenn sie nicht so heißen. Und Deutschland haftet für die Schulden der EU und ihrer Mitgliedsländer (mit). Berlin ist damit nicht mehr Herr des Haushalts, der Bundestag hat sein Königsrecht der Budgethoheit an die Kommission in Brüssel abgegeben.

Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen zwar im Mai Einspruch eingelegt, aber der wurde von Berlin und Brüssel weggewischt: Die Haushaltshoheit liegt seither bei Kommission und EZB. Zuletzt wurden im November die angeblich „temporären“ Notmaßnahmen aus der Zeit der Finanzkrise auf Dauerbetrieb umgeschaltet. Damit schwimmen Deutschlands Einnahmen im Suppentopf des gemeinsamen EU-Haushalts. Entscheidend ist, wer beim Rausholen die größte Kelle hat.

Absturz
2021: Merkels katastrophale Wirtschaftspolitik
Schon heute fallen Sozialleistungen innerhalb der EU unterschiedlich hoch aus. 2019 streikten die Franzosen die von Staatspräsident Emmanuel Macron geforderte Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre einfach weg. Deutschland aber hat das Renteneintrittsalter längst auf 67 Jahre erhöht, mit dem Ergebnis, dass in Frankreich 15 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Rente fließen, in Deutschland nur zehn. Die Eckrente beträgt in Deutschland 1264 Euro, in Frankreich 1638 Euro, und Italien gönnt seinen Alten 1724 Euro. Deutschland hat beim Füllen des Topfs die größte, beim Abschöpfen aber die kleinste Kelle.

Vor der Corona-Aufblähung der Staatsschulden betrug die deutsche Schuldenquote, gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP), 71 Prozent; in Italien lag sie bei 132 Prozent und in Griechenland trotz immer neuer Schuldenschnitte schon wieder bei 176 Prozent. Dafür erhalten Studenten in Athen kostenlos drei Mahlzeiten am Tag, während deutsche Studenten in der Mensa bezahlen. Und Griechenlands Gläubiger wissen: Im Zweifel zahlen die Deutschen. So lässt sich gut leben. Dumm für Deutschland: Auch nach der gigantischen Neuverschuldung im Zuge der Corona-Krise ist Deutschlands Schuldenstand noch in einem Bereich, der auch bei nur geringem Wirtschaftswachstum als tragfähig gilt. Doch die Mithaftung für die Schulden Frankreichs und Italiens zerstört genau diese Sicherheit: Gefährlich für Deutschland sind nicht die Schulden, die in Berlin gemacht werden, sondern die der Regierungen in Paris und Rom, für die Deutschland haftet. Schlimmer noch: Weil das Politiker in Paris und Rom sehr genau wissen, steigern sie die Schuldenlast noch. Haftung und Verantwortung, in der Wirtschaftspolitik ohnehin nur entfernt verwandt, sind komplette Fremde in dieser Art von Finanzunverfassung.

Warum sollte Frankreich den Rentenbeginn von 59 Jahren auf 67 Jahren erhöhen wie in Deutschland, wenn doch Deutschland das Sozialbudget finanziert? Dem Krach mit den kampfeswilligen Gewerkschaften geht jeder Präsident gern aus dem Weg, wenn nur Deutschland die Renten mitfinanziert. Warum den Krach mit den Gelbwesten risieren? Warum sollte Italien seine miserable Steuerverwaltung modernisieren, wenn doch Deutschland den Ärger mit frischen Krediten überspielt? Mit der Haftungsunion habe sich Merkel endgültig in das Buch der Geschichte eingeschrieben, tönte ein Kommentar der ARD. Er meinte unbewusst das Schuldbuch.

Inflation: Das Gespenst ist schon da

Wenn aber Budgetdisziplin und Wirtschaftsreformen, die zu mehr Wirtschaftswachstum führen, ausfallen – was dann? In der Tradition vieler Länder ist der Ausweg schlicht Inflation; in Deutschland verblasst endgültig die Angst vor der Hyperinflation, die dazu beigetragen hat, die Weimarer Republik zu zerstören. Die EZB bejubelt jede Erhöhung der Inflation als Sieg und zerstört damit das historische Bewusstsein für die Folgen: Inflation lässt die Schulden der Regierungen schrumpfen und enteignet die Bürger wie eine zusätzliche Steuer auf Einkommen und Geldbesitz. Noch sind die offiziellen Inflationsraten gering. Nach dem letzten verfügbaren Verbraucherpreisindex November 2020 sanken die Preise für Verbraucher im November um 0,7 Prozent zum Vorjahresmonat und 1,0 Prozent zum Oktober. Alles in Ordnung, oder haben Sie zufällig etwas anderes bemerkt?

Wir sollen einer Statistik glauben, nach der sich im Durchschnitt alle Waren um 1,8 Prozent infolge niedriger Energiepreise verbilligt haben. Dummerweise werden allerdings gerade mit Merkels CO2-Steuer die Energiepreise angehoben. Und schon im Herbst waren Fleisch und Wurst um 3,9 Prozent teurer und Obst um satte 3,7 Prozent. Deutlich günstiger waren zwar Handys (-6,7 Prozent) und Unterhaltungselektronik (-4,5 Prozent). Die Frage stellt sich nun, wieviele Handys Sie gekauft haben und wieviele Äpfel. Sollten Sie Fleisch schätzen, wäre es besser gewesen, einen neuen Fernseher zu kaufen und davon abzubeißen, und schon ist man Inflationsgewinner.

Wohnen sollte man allerdings lieber nicht, denn die Mietpreise folgen früher als später den Immobilienpreisen: Im 2. Quartal kletterten die Immobilienpreise laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zum Vorjahr um 6,6 Prozent. Selbst in den sieben größten deutschen Städten, in denen das Preisniveau 2020 ausgereizt schien, ging es noch einmal nach oben: bei Eigentumswohnungen um 6,1 – bei Häusern um 6,5 Prozent. Aber Inflation? Keine Spur, glaubt man den offiziellen Statistiken und den gebräuchlichen Bescheinigungen. Aber zugegeben: Noch ist es nicht schlimm, sagt der Blick in den Rückspiegel. Es sei denn, man ist Neueinsteiger auf dem Wohungsmarkt, will etwa ein familiengerechtes Haus kaufen, nach dem Studium eine größere Wohnung beziehen oder ist im Zuge der Karriere gezwungen umzuziehen. Die Inflationserfahrung kehrt für die Generation zurück, die sie glaubte vergessen zu können.

Das böse Ende der Roaring Twenties

Aber was passiert, wenn der Lockdown endet, und irgendwann muss er enden? Die Investmentbanker von Goldman Sachs träumen vom Wiederaufleben der Roaring Twenties: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe tobte das Leben; Lebenshunger, aber auch Wissenschaft und unternehmerische Dynamik sorgten für einen Rausch an Nachfrage und Dynamik. So könnte es sein, wenn die Käfigtüren geöffnet, die Bankkonten geleert werden und die Menschen nachholen, was an Konsum, Reisen und Schönheit zu kurz kam. Dann könnten auch Konzerte, Events und Kultur wieder aufblühen. Könnte so sein. Aber „ob eine teilweise eingefrorene Weltwirtschaft wieder aufgetaut und wieder angekurbelt werden kann, wird sich erst zeigen. An diesem Punkt stand die Menschheit noch nie“, schreibt Christopher Clark in seiner jüngsten Geschichtsbetrachtung „Gefangene der Zeit“.

Wenn wir aber Gefangene der Zeit sind, dann sind die Roaring Twenties keine Glücksverheißung. Sie waren nicht vom allgemeinen Wohlstand geprägt, sondern in Deutschland von einer Hyperinflation. Geldscheine eigneten sich noch zum Anzünden, aber nicht als Wertspeicher. Auslöser für die Hyperinflation wurden und werden gerne beim Feind gesucht: Der Weltkrieg verloren, nach dem Friedensvertrag von Versailles waren erhebliche Reparationsleistungen zu leisten. Das waren ungeheure Belastungen, sie erklären aber nicht das Anspringen der Inflation. Die sind eher in der damaligen Politik zu suchen. Die ersten demokratisch gewählten Reichsregierungen, zunächst von der SPD geführt, dann von anderen, auch damals schon sozialdemokratisierten Parteien fortgesetzt, verstanden sich vor dem Hintergrund drohender Aufstände und bolschewistischer Revolution als besonders sozial und arbeitnehmerfreundlich. Der Acht-Stundentag wurde eingeführt, die Gewerkschaften erhielten Mitbestimmungsrechte, Sozialleistungen wurden eingeführt und ausgebaut, eine massive Umverteilungspolitik über die Steuerpolitik in die Wege geleitet, Kriegsabgaben auf Einkommen und Vermögen sowie eine Erbschaftssteuer erhoben, ein Reichsnotopfer in Form einer einmaligen Vermögensabgabe durchgesetzt.

DAX auf Rekordhoch
Die Geldpolitik als Umverteilungspolitik am Ende des Wachstumszeitalters
In den meisten historischen und damit meist wenig wirtschaftlich fundierten Analysen findet sich der Satz, dass leider die Inflation nicht habe begrenzt werden können. Eher selten findet sich in populären Darstellungen die Erkenntnis, dass die Inflation zusätzlich stimuliert wurde, da das staatliche Ausgabenniveau wegen der Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit auf hohem Stand verharrte und Unternehmen die höheren Steuern auf die Verbraucher abwälzten. Die Folge war eine gigantische Kapitalflucht und eine Radikalisierung des um seinen Wohlstand fürchtenden Bürgertums wie andererseits der ärmeren Schichten, deren Löhne durch die Inflation entwertet wurden. Es war auch eine Zeit der ungeheuren Vermögenszusammenballung in Händen weniger Konzerne, die die Infation für sich nutzen konnten: Mit Stinnes, Siemens, AEG entstanden Konzerne riesenhaften Ausmaßes. Es begannen gleichzeitig die blutigen und blutrünstigen Jahre der radikalisierten innenpolitischen Auseinandersetzung, deren vorläufiger Endpunkt die Machtübernahme durch Adolf Hitler war. Nein, Weimar liegt weit zurück. Geschichte folgte nicht einer Ursache, sondern vielen. Die Verelendung und Verarmung breiter Bevölkerungsschichten war sicherlich eine.

Viel Vergnügen bei der Vermögensabgabe

Sollte Sie das an aktuelle Forderungen nach Vermögensabgabe und Umverteilung erinnern, dann ist das sicherlich nur eine Wiederholung der Geschichte, die bekanntlich als Farce endet. Oder doch nicht? Lassen sich Parallelen entdecken und Schlüsse aus ähnlichen Faktoren ziehen, auch wenn es andere sein mögen als ursprünglich gedacht? Waren es in den 20er-Jahren Kriegsschulden und Reparationen, die die Wirtschaft und Gesellschaft belasteten, so ist es derzeit der radikal vorangetriebene klimapolitische Umbau. Das Tempo soll verschärft werden: So will Grünen-Chef Robert Habeck das deutsche Ziel zur Treibhausgas-Reduktion weiter erhöhen: „Das deutsche Ziel müsste auf mindestens 65 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 angehoben werden“, fordert er. Die CSU folgt dem mittlerweile. Die Landesgruppe der Partei setzt sich für 60 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030 ein. Klar ist: Schon das bisherige Ziel von 55 Prozent ist ambitioniert und hat einen Abzug der Industrie und weitere Rücknahme von Investitionen ausgelöst. Das neue Ziel würde Deutschland zu einer auf Verzicht, Arbeitslosigkeit und Mangelversorgung ausgerichteten Politik zwingen. Konsequent fordern die Grünen eine staatliche, wesentlich aktivere Industriepolitik und den Willen zur wachsenden Staatsverschuldung, sowie eine Steuerpolitik, die nach ideologischen Prinzipien auch wirklich „steuern“ will und die Wohlhabenden stärker belastet.

Es klingt ziemlich ambitioniert. Auf die Coronabelastung wird mit zusätzlicher Klimabelastung reagiert, und auf die Finanzierungsdefizite durch Europa, Corona und Klima mit Steuer- und Abgabenerhebung und staatlicher Planung und Lenkung.
Ja, die Zeiten aber haben sich geändert. Allerdings reagieren die besonders Fixen und Schlauen wie schon vor Hundert Jahren auf ihre Weise – durch Flucht in Gold, Immobilien, Aktien und andere tatsächlich oder vermeintlich wertbeständige Anlagen jenseits der staatlichen Währung.

Am heftigsten bewegte sich der Preis für die wichtigste Kryptowährung nach oben, den Bitcoin. Zum Jahresbeginn lag die Marke noch unter 5.000 Euro. Im Dezember war eine Einheit der elektronischen Währung mehr als 25.000 Euro wert. Das ist auch Inflation, wenn auch in einem noch unbedeutenden Sektor. Das Futter für Inflation ist da – die ungeheure Geldmenge, die die EZB in die Wirtschaft pumpt. Noch lagert sie weitgehend auf Bankkonten. Aber ein kleiner Zündfunke reicht für Inflationsängste. Dann wird Bargeld abgebaut, massiv und schnell, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nimmt rasant zu. Wer Euros hat, tauscht sie ein: in Dollar, Gold, Bitcoin, Franken oder auch die am Horizont erscheinende chinesische Währung.

Das Zerplatzen der New Monetary Policy

Der Euro wird dann abgewertet, Europas Bürger verarmen, seine Produkte und Unternehmen global verramscht, seine Sozialleistungen nicht länger finanzierbar. Die Inflation beginnt zu traben. Damit aber verfällt auch die „New Monetary Policy“. Die Menschen fliehen aus dem dahinterstehenden Kunstgeld. Plötzlich sind Staatsschulden wieder Schulden, für die niemand geradestehen will. Bis die Steuern in den Staatskassen angekommen sind, hat die Inflation sie schon entwertet. Auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 stammten schließlich die Staatsausgaben zu 95 Prozent aus der damals schnell laufenden Druckerpresse.

Die New Monetary Theory enttarnt sich letztendlich als gigantisches Täuschungsmanöver: So lange alle daran glauben, klappt es mit Theorie und Wirklichkeit. Allein, fehlt der Glaube, kippt die Theorie zusammen. Es ist nicht so, dass die Autoren dies nicht wüssten. Ihre Theorie verlangt daher die totale Kontrolle über das Geldgeschehen. Letztlich geht es hier um die Abschaffung des Bargelds und die Schaffung eines einheitlichen elektronischen Euro-Geldes. Nur wer dies per Knopfdruck beherrscht und wirklich jede Transaktion kontrollieren kann, kann auch die Flucht aus dem Geld verhindern. Das ist der Hintergrund des Drangs nach Bargeldabschaffung und elektronischen Zahlungsfunktionen: Es geht um die Totalkontrolle. Diese muss schneller sein als die kleinen Fluchten der Bürger, mit denen sie ihren Wohlstand retten wollen.

Das Ende der Merkel-Ära

Gegen Ende ihrer Amtszeit hinterlässt Angela Merkel ein wirtschaftspolitisches Desaster mit Langzeitfolgen. Sie traf auf ein Land und eine Wirtschaft mit stabilem Ordnungsrahmen und hoher Zustimmung der Bevölkerung; Wohlstand für Alle war der Kitt, der viele Brüche der Nachkriegszeit reparierte: Der Ordnungsrahmen zerbrochen, der Wohlstand auf Pump, die Währung fragwürdig und die Verschuldung gigantisch. Das sind die ökonomischen Daten. Aber Demokratie und Wohlstand sind nach deutscher Erfahrung zwei Seiten einer Medaille. Hyperinflation und Arbeitslosigkeit haben mit dazu beigetragen, dass die Weimarer Republik im Nazi-Regime untergegangen ist.


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Kommentare ( 93 )

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Thrym
3 Jahre her

Geld kann gar nicht knapp werden, wenn es die EZB einfach nach Belieben produzieren kann. 1923 war auch für alle genug Geld da, das wird kaum jemand ernsthaft bestreiten. Kürzlich schwamm Venezuela so im Geld, dass das als Müll auf der Straße lag.
Für die Vorsichtigen Gold, physisch und anonym! Für die Mutigen Bitcoin. Wer das Geld auf dem Sparbuch lässt, kann es genauso gut verbrennen. FIAT-Geld ist bei der momentanen Lage eine viel zu riskante Anlage!

Kuno.2
3 Jahre her

Das ist alles richtig. Nur darf man nicht vergessen, dass Merkel zu keinem Zeitpunkt allein handelte.
Die EU Politkommisare in Brüssel und die Obama Regierung waren stets derselben Meinung.

Lizzard04
3 Jahre her

Da die meisten Bürger entweder zu blöde sind oder aber es ihnen völlig egal ist, kann/konnte die Alte schalten und walten wie sie wollte. Die Gewissenlosigkeit dieser Person und ihrer Paladine in Politik und Medien scheint grenzenlos, solange nur irgendwie die eigene Macht erhalten bleibt. Frei nach dem Motto, „nach mir die Sinnflut“ nehmen diese Leute noch jede Form des Niedergangs der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des eigenen Landes billigend inkauf. Wer im Herbst noch Grün oder CDU wählt, verabschiedet sich freiwillig von Wohlstand und dem Rest an Demokratie hierzulande!

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3 Jahre her

Würde ich magische Kräfte besitzen würde ich allen Tichy Lesern hust und *Innen und den Autoren natürlich gerne 1 Tonne Goldbarren in den Keller wünschen.

Weil wenn es dann kracht liebe Gemeinde, hocken wir wie die Eliten an unserem Sektglas und sind unbeschwert da wir dann alle sehr wohlhabend sind und unser Gold schön in die neue Währung eintauschen können.

Während der Rest der Schlafmichels Hust *Innen, dann 3/4 Ihres Geldes abgeben müssen, damit sich der Staat auf deren Kosten entschulden kann.

Entenhuegel
3 Jahre her

Der Artikel entlarvt die BRD und die EU als das, was sie sind: Eine Abzockerbude, in der sich jeder bedienen kann – und der deutsche Michel zahlt. Dass Deutschland größter Profiteur der EU sei, ist eines der Mythen der Merkel-Ära. Von der EU profitieren v.a. große Agrar- und Pharmakonzerne über Agrarsubventionen sowie die Großunternehmen der Exportbranchen, die sich ihre Profite meist durch den Michel absichern und im Zweifel bezahlen lassen, z.B. durch Target-Salden oder Export-Bürgschaften. Die Steuern in Deutschland zahlt aber dank zahlreicher Steuersparmodelle und – Oasen vor allem der Mittelstand, der nun durch Lock-Downs systematisch zugrunde gerichtet wird. Dazu… Mehr

heinrich-behrens
3 Jahre her
Antworten an  Entenhuegel

na na, so schlimm ist es nicht. Immerhin bekommt man z.b. in Rümänien und Bulgarien noch weniger Rente als in DE.
Gerade mal 20 von 28 Staaten geben ihren Rentnern mehr.
Es könnte schlimmer sein. Bisher bekommen gerademal ein paar hundertausend deutsche rentner weniger taschengeld als Asylanten. Bald bekommen dann alle deutschen rentner so „viel“ und können sich nebenbei noch etwas verdienen in dem sie bei flüchtlingen sauber machen. Was ja jetzt schon unzählige tun.

Alles gut!

Entenhuegel
3 Jahre her
Antworten an  heinrich-behrens

Leider wahr ….

Aber nach dem Great Reset werden bestimmt alle gleich … arm – zumindest in den Teilnehmerstaaten…

RandolfderZweite
3 Jahre her

Lieber Herr Tichy,
Ihren Artikel finde ich überaus verständlich und nachvollziehbar, er klingt logisch und gleichzeitig beängstigend.
Doch, was bleibt hier letztendlich zu tun? Schön wäre es einmal zu hören, welche Lösungsansätze Sie anbieten können oder könnten! Das „Kreuz“ an der richtigen Stelle scheint mir in dieser „Parteiendemokratie“ ausgeschlossen, Auswanderung oder die paar Piepen in Kryptowährung anzulegen nicht zielführend…

Sonny
3 Jahre her

Und wenn alles wirklich ganz schlimm geworden ist, dann, ja dann wird (wieder) jemand kommen, der den Deutschen verspricht, die Katastrophen umzukehren und den Deutschen ihr Recht zurück zu geben. Und er wird den Finger in die Wunden legen und Millionen Menschen werden ihm folgen. Egal, wohin. Das glauben Sie nicht?
Warten wir es ab.
Könnte schneller passieren, als manch einer denkt. Warum wohl erstarren die Berliner Politiker in Angst und wollen einen Burggraben um ihre Arbeitsstätte bauen?

HavemannmitMerkelBesuch
3 Jahre her

Die Preissteigerungen im letzten Quartal im Immobiliensektor sind der sozialistischen Planwirtschaft geschuldet, einerseits mit genau der berichteten Finanzpolitik heftige Betongoldanlagepreissteigerungen auszulösen, die Mieter nicht mehr bezahlen können, die man wiederrum mit sozialistischen planwirtschaftlichen Phantomeingriffen in anderenfalls funktionierende Marktwirtschaft wie Miezpreisbremsen oder Zwangsteilung der Maklerprovisionen vollkommen unmöglich versucht, wieder aufzufangen. Auch hier gilt – Sozialismus eben. Nicht der Markt wirkt und gestaltet sondern ideologische Konstrukteure, wie in jedem geselsch. und politischen Bereich. Insbesondere die Provisionen haben gezeigt wie dumm Ideologie immer wieder versucht, die selbst verursachten Mißstände auszugleichen. Um Mieter und Käufer zu schützen zahlt ab 1.1. Jeder Verkäufer oder Vermieter… Mehr

Thorsten
3 Jahre her

Vermutlich trägt der deutsche Zuwachs an „geschenkten Menschen“ dazu bei. Die Sozialämter sollen höhere als „marktübliche“ Mieten dafür zahlen. (um das Risiko der Vermieter zu decken)

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3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Ein bisschen Zuzug, ein bisschen Mietpreisbremse ein bisschen mehr grüne Bauverordnungen es kommt alles zusammen, einig sind wir uns glaube ich dass es alles aus dem eher linkem polt. Spektrum kommt 😉

heinrich-behrens
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

was heisst die sollen mehr zahlen. Die tuns sowieso.

und wenn so manche wohnungsgenossenschaft/privatisierte städtische wohnungsbau merkelgäste aufnimmt, bekommen die von anfang an 3000,- bis 5000,- auf die hand.

elly
3 Jahre her

Ganz ehrlich: sowohl die Italiener, als auch die Franzosen gehen für ihre soziale Absicherung auf die Straße, auf die Barrikaden. Die Deutschen aber retten den Juchtenkäfer, die seltene Grasnelke und verraten ihr eigenes Sozialsystem. Die Franzosen gehen gegen Steuererhöhungen auf die Straße, die Deutschen lassen ihre Kinder Freitags Schule schwänzen, damit diese laut nach Steuererhöhungen plärren. Es ist schon die Bevölkerung, die Merkel und ihre Entourage agieren lassen, wie sie es taten und weiter tun. Es ist dieser tiefe Neid gegenüber den Mitmenschen im Charakter der Deutschen, die das alles ermöglichen. Seit Jahren geht regelmäßig ein Aufschrei durchs Land, wenn… Mehr

Westried
3 Jahre her

Hallo Herr Tichy,
derlei Sorgen mache ich mir auch schon länger. Allerdings schmerzt es nochmal, das Ganze so komprimiert zu lesen.
Frau Lagarde hatte sogar vor der Coronazeit vermeldet, dass der Anleihenankauf nicht ewig währen kann, ist aber damals schon zurückgepfiffen worden.
Nach Corona ist das Kind endgültig in den Brunnen gefallen.

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Westried

Das ist Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Corona verdeckt dies nun. Deshalb hat die Politik auch kein Interesse die Krise SCHNELL zu beenden …