In der CDU revoltiert es ein wenig, aber nicht zu laut

Täglich wird das Chaos in der CDU größer: Mut und Personen für einen Neuanfang fehlen. Zu bestaunen ist der Niedergang einer einst großen Partei, die nicht mehr aus ihrem Dauerschlaf erwachen kann.

IMAGO / Karina Hessland

Die CDU bietet ein merkwürdiges Schauspiel: Alle haben mitgemacht – keiner ist dabei gewesen. Diese seltsame Trennung von tatsächlicher An- bei gleichzeitiger geistiger Abwesenheit setzt sich fort: Immer neue Aufrufe zur Erneuerung an Haupt und Gliedern werden laut und jeden Tag lauter. Das ist gut so. Bloß: Die Hände haben sie immer gehoben, die Erneuerer – im Deutschen Bundestag und auf diversen Parteitagen. Wie glaubwürdig ist die Erneuerung an Haupt und Gliedern, wenn die Hände doch immer wieder hochfahren bei den alten Parolen? Und dann auch noch applaudieren?

Viele CDU-Politiker – zu viele – haben die Jahre ihrer demonstrativen inneren Emigration, in der sie verborgen gehalten haben, was sie wirklich denken, gut überstanden. Fälle von medikamentöser und ärztlicher Behandlung politischer Schizophrenie sind nicht bekannt geworden; die Diäten-Pflaster haben gut gehalten.

Nur scheint es neuerdings so, als seien sie befreit worden. Die Befreier sind allerdings SPD, Grüne und FDP, die der CDU die Last des Fortsetzens einer merkelartigen Regierung ersparen, dadurch, dass sie selbst regieren wollen wie Merkel. Würden die anderen nicht merkeln, dann würden die CDU-Politiker es selbst so merkelig weitertreiben, vermutlich allerdings unter lautstarkem inneren Protest. 

Auch im Wahlkampf hat man kein Wort von den heutigen Helden der Kritik dazu vernommen, dass Einwanderungs-, EU- und Energiepolitik katastrophal für dieses Land sind. Nur weil sie selbst nicht gewählt wurden, gibt es jetzt da und dort Kritik, während die noch im Amt befindliche Merkel-Regierung – mit ihrem Innenminister Horst Seehofer von der ebenfalls so kritischen CSU – schon wieder Zelte aufbauen lässt für ihre grenzenlose Migration; und so nebenbei verschärfen sie die Energiekrise und die damit befeuerte Inflation jeden Tag. 

An die Spitze der CDU-Erneuerer stellt sich Friedrich Merz. Er hat allerdings gute Gründe dafür. Denn es war Merkel selbst, die ihn vom schönen Posten des Oppositionsführers und Fraktionsvorsitzenden abgelöst hat, weil sie, wie es üblich ist, als Parteichefin damals dieses Amt beanspruchte. Diese Ego-Kränkung hat er zum politischen Programm erhoben und ist seither die sehr beleidigte Leberwurst der CDU. Er ist zweimal angetreten für das Amt des Parteivorsitzenden; allerdings waren seine Reden keine Aufrufe zur dringenden Erneuerung, sondern der Lobhudelei: brav im Rahmen dessen, was Merkel gerade noch hinzunehmen bereit war. Aber keinesfalls darüber hinaus.

Dem Gestus der großen Veränderungsnotwendigkeit folgten so jeweils Reden der Merkelbestätigung; nur besondere Feinschmecker mit geschulter Zunge vermochten im Abgang feine Noten zart harziger Kritik herauszuschmecken. Ansonsten entfalteten Merz‘ Reden das volle Geschmacksbouquet der Merkel-Apologetik. Seine Anhänger rechtfertigten das allerdings mit dem Hinweis darauf, dass er schon anders können wollen würde, wenn er sich trauen dürfte. Es sei nur noch nicht die Zeit dafür da.

Dieselben Sprüche hören wir jetzt wieder. Jetzt ist die Zeit da, aber noch immer nicht reif; und so welken Merz und seine Anhänger dahin und warten und warten, und sagen kalkuliert unbotmäßige Dinge im Rahmen des Genehmen – von Zeit zu Zeit. Allerdings schauen sie zunehmend öfter und frecher unter dem Tisch hervor, seit sie wissen, dass die Zeit der Angela Merkel dabei ist abzulaufen, aber eben noch nicht ganz abgelaufen ist. Kommt Zeit, kommt Merz. Nur die Zeit dehnt sich. Und dehnt sich.

Man muss ihm allerdings insoweit Recht geben, dass die Bereitschaft, ihn auf Händen ins Konrad-Adenauer-Haus zu tragen, noch nicht da ist. Merkel hat ja Zeitbomben hinterlassen; nicht nur im Ergebnis ihrer Politik, sondern auch in Person ihrer Anhänger. Mögliche Kritiker wurden allenfalls als Direktkandidaten zugelassen; und es ist wie eine späte Rache von Merkel, dass fast alle ihre Gegner in der Wahlniederlage ihre Mandate einbüßten und ihre Freunde auf sicheren Listenplätzen ins Schlaraffenland des Deutschen Bundestages hineingleiten konnten, um ihr Werk zu bewahren, indem sie mit ihren Stimmen jetzt die Ampel unterstützen. Die CDU im Bundestag wird also nicht die große Oppositionspartei sein mit den alternativen Entwürfen und der Abkehr von der eigenen Linie, sondern eine etwas vergrößerte grüne Fraktion. Die Grünen haben ja in der abgelaufenen Koalition nur Opposition simuliert und sich ansonsten als Stichwortgeber für die CDU hergegeben.

So wird in der kommenden Legislaturperiode die CDU die parlamentarische Freiwilligen-Kampftruppe der Ampel abgeben und die AfD mit Feuer und Schwert bekämpfen, gemäß der Devise, dass der Feind immer rechts sitzt. Und wenn die AfD schlau ist, dann formuliert sie behaglich konservative Positionen der Mitte, die dann von der CDU angegriffen werden, weil nicht wahr sein darf, was von dort her gerufen wird.

In den Ländern sieht es nicht wirklich besser aus: In Hessen wird Helge Braun, die Ulknudel aus dem Kanzleramt, als Ministerpräsident antreten; unser aller Mitleid sei mit ihm. Und was in Schleswig-Holstein der Günther ist, ist im Saarland ein Hänschen.

Nein, Merkel kann beruhigt in den Ruhestand gehen. Ihr Werk hat Bestand, und die CDU ist Geschichte. Sollte man da der FDP vorwerfen, dass sie sich zum Fundamentbauer für eine strukturelle linke Mehrheit hergibt? Das wäre böse. Jeder rettet sich, so gut er kann.

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Kommentare ( 104 )

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elubitsch
3 Jahre her

Nach einer desaströsen Wahlniederlage habe ich den Eindruck, daß die CDU nichts begriffen hat und auch nicht bereit ist, echte Konsequenzen zu ziehen. Die Kanonenschüsse des 26. September sind noch nicht verhallt und schon wieder möchte sie den Willen der Basis ignorieren, indem sie ein eindeutiges Votum für Friedrich Merz mit fragwürdigen Präsidiumsentscheidungen übertünchen will. Regeln kann man ändern und wenn eine Berücksichtigung der Meinung der breiten Parteimehrheit gewünscht ist, kann man das auch durchführen. Mir scheint allerdings, daß die Starre der Bequemlichkeit über viele Jahrzehnte so stark geworden ist, daß die Union zu einer echten Erneuerung gar nicht mehr… Mehr

Regenpfeifer
3 Jahre her

Es hat ja in DE die schlechte Tradition, dass im Nachhinein angeblich immer schon alle dagegen gewesen waren (und im allerschlimmsten Falle war man halt maximal mal ein „Mitläufer“). Das war nach dem Ende Hitlers im Westen so, es war nach dem Fall der Mauer im Osten so -und so wird es nach dem Ende Merkels in der gesamtdeutschen CDU auch sein. Aber weil man als CDU’ler noch nicht so ganz genau weiß, ob der Merkelismus mit dem Abgang der „klobigen Frau mit der zuversichtlichen Ausstrahlung einer Trauerweide“ (Timur Verdes) jetzt auch wirklich tot ist, oder die Merkelzombies nicht dann… Mehr

Endlich Frei
3 Jahre her

Sie kleben halt alle gemeinsam am Stuhl – und die Aufblähung des Deutschen Bundestag auf rund 900 Deligierten-Stühle hat die schlimmsten Folgen der Wahl fast komplett abgemildert. Wenn verlorene Wahlen aber keine Folgen mehr haben, gibt es keinen Lenkungseffekt mehr durch sie. Auch einen Weg, die Demokratie abzuschaffen.

Radebeul
3 Jahre her

Ich denke, die CDU braucht kein Mensch mehr, weil sie zu einer echten konservativen Opposition inhaltlich und personell gar nicht mehr in der Lage ist. Und die Opposition zusammen mit der AFD wird für die CDU zur Hölle. Welche Inhalte will sie denn dort noch verkaufen ? Oder die CDU müsste zugeben, dass die meisten Positionen der AFD aus konservativer Sicht berechtigt sind. Das wäre dann aber das endgültige Ende der CDU. Also bleibt ihr nur die Alternative sich in der Opposition den Ampelparteien anzudienen…….Was letztendlich auch zu einer weiteren Ausblutung der CDU führen wird. Das war’s !!!

Gerro Medicus
3 Jahre her

Man hört jetzt immer wioeder die Befürchtungen, dass die CDU nach rechts driftet. Aber was würde das schon machen, wenn man eh in der ganz falschen Richtung unterwegs ist? Da hilft auch die Kurskorrektur ein wenig mehr nach rechts nicht.

Peter Silie
3 Jahre her

Das größte Problem der CDU ist derzeit doch die Frauenquote.
Wer so sehr den Schuß nicht hört, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

flo
3 Jahre her
Antworten an  Peter Silie

Ja. Im gesellschaftspolitischen Bereich müssten die linkeren CDUler erst mal jüngere Entwicklungen hinterfragen, ggf. zurückdrehen: zum Beispiel den sehr teuren Kampf gegen rechts, das geplante Demokratiefördergesetz, das viele rigorose NGOs langfristig mit Geld ausstattet, Frauen- und Migranten- und XXX-Quoten. Das heißt aber, die Union müsste sich in Teilen selbst neu erfinden, anstatt grün-linken Positionen hinterherzurennen.

andreask90
3 Jahre her

Ich kann mir nicht helfen, aber Merkel entpuppt sich immer mehr als ein Trojanisches Pferd. Nach außen die edle Figur, im Innern die Feinde der Demokratie versteckt. Wo kommt es her? Gibt das Studium in Donezk Anhaltspunkte?

Gerro Medicus
3 Jahre her
Antworten an  andreask90

Wieso „entpuppt“? Ein trojanisches Pferd war sie schon immer, von Anfang an. Immerhin wollte sie zu Anfang bei der SPD einsteigen, die ihr wohl ideologisch sehr nahe war.Die wollten sie aber damals nicht, freuten sich aber, dass dieser Spaltpilz dann bei der CDU unterkam. Und machen wir uns nichts vor: sie war und ist eine Königsmörderin, die Kohl kaltblütig gemeuchelt hat. Das konnte sie sich nur trauen, indem sie wohl einige einflussreiche Leute auf ihrer Seite hatte. Ob diese in ihr die Chance sahen, eine gute Marionette zu bekommen oder ob sie die vielleicht selber mit brisanten Details in der… Mehr

Aqvamare
3 Jahre her
Antworten an  Gerro Medicus

Leider, Wendehals, ist und war die Dame. Aber im Herzen ist sie der Partei treu geblieben.

Es spricht Bände, dass bis heute nicht ein Bürgerrechtler Ministerpräsident geworden ist, während Staatsdiener wie Merkel durch alle Instanzen der BRD kamen.

mitis
3 Jahre her

Meine Frage seit langem: Hat Frau Dr. Merkel, als sie 2015 dem Flüchtlingsstrom die Grenzen öffnete, die Wiederauferstehung der AfD nur billigend in Kauf genommen oder bewusst geplant, um die anderen zu einem „Bündnis gegen Rechts“ an sich zu binden? Wie auch immer: die Wähler der AfD, zum weitaus größten Teil enttäuschte CDU-Wähler, fehlen nun.

Orlando M.
3 Jahre her

Altmaier und AKK haben sich zurückgezogen und verzichten auf ihr Bundestagsmandat. Bei AKK kann ich keine triftigen Gründe dafür ausmachen, bis auf das KSK hat sie keinen schlechten Job bei der Bundeswehr gemacht und wollte die Parteibasis stärken, was ihr die Partei übel genommen hat. Diese Kindsgemüter brauchen eine klare und eindeutige Anleitung. Aber ausgerechnet Laschet bleibt sitzen, wenn der Bundestagsabgeordneter wird und auf die Partei Einfluss nimmt, dann wird die CDU weiter absacken und hat keine Chance, sich zu reformieren. Laschet ist der personifizierte Untergang der Partei. Das ist Laschets Methode, einfach sitzen bleiben, wenn die anderen sich längst… Mehr

Der Michel
3 Jahre her

So geht’s halt, wenn jeder meint, der Nebensitzer könne doch die Kohlen aus’m Feuer holen: Alle waren sie dagegen, alle waren skeptisch und konnten sich nur mit äußerster Disziplin zurückhalten, nicht stante pede ihr Mandat unter Protest niederzulegen, alle saßen sie auf ihrer Zunge und betrachteten ihre Diäten als Schmerzens- oder Schweigegeld – und keiner traute sich, das zu tun, wofür er gewählt war: Das Maul aufzumachen, seinem Gewissen (und NUR dem Gewissen) entsprechend zu handeln. Es hätte funktionieren können, hätten auch nur ein paar wirklich den Mumm dazu gehabt. Hatten wir auch schon mal. Und hinterher war’s auch damals… Mehr