Mit Jean-Claude Juncker kriegen wir nun doch die Sparausgabe eines Europapräsidenten. Wann kommt ein Euro-Fußballteam?
Geht es nach den Regeln, die für das Direktorium der Europäischen Zentralbank gelten, dann würden alle Länder Spieler in die Nationalmannschaft entsenden, auch Fußballzwerge wie Zypern und Malta. Damit die Euro-Mannschaft nicht zu groß wird und der Länderproporz erhalten bleibt, müssten alle Nationalmannschaften, auch die Torschützen aus Deutschland, alle fünf Monate pausieren. Über die Aufstellung würden die Staats- und Regierungschefs entscheiden; vermutlich nach einer Nachtsitzung käme als Kompromiss für den holländischen Tormann der Kapitän aus Luxemburg – oder doch ein Pole?
So ist Europa – der Kopf bekennt sich dazu. Es ist gut, dass ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich schon deshalb unmöglich geworden ist, weil alles, was fliegt und schießt, in Frankreich zentriert ist und demnächst durch die Fusion der Panzerbauer auch das, was fährt und trifft. Europa ohne Grenzen ist eine grandiose Errungenschaft; Europa kann gemeinsame Interessen in einer Welt durchsetzen, in der andere immer größer werden und Europa immer kleiner. Das Beste, was man über die gemeinsame Währung sagen kann, ist: Sie existiert noch. Überlebensfähigkeit ist allerdings ein Qualitätsmerkmal.
Aber trotz Pseudo-Präsident, Hymne und Fahne – die Herzen erreicht Europa nicht. Keiner kommt auf die Idee, sich blaue Farbe mit Sternchen ins Gesicht zu schmieren, um für eine Europamannschaft zu jubeln. Brüssel mit seinen Räten und Nachtsitzungen und Kommissaren stößt ab, das Parlament debattiert babylonisch und vor allem: Es ist weit weg vom Lebensgefühl. Das muss es sogar sein, wegen der Größe des vereinten Europas: Es gibt keine europäische Nation. Zwar behauptet der postmoderne Dekonstruktivismus, dass Nationen nur „imagined communities“ seien, Spuk und Erfindung, wie der Politikwissenschaftler Benedict Anderson formuliert. Aber diese Einbildungen funktionieren eben doch ganz gut, auch wenn es lange gedauert hat, bis der Berchtesgadener den Pommern zu verstehen lernte. In Sachen Nation Building hat Europa versagt wie einst Jugoslawien. Bei Sonnenschein leuchtet Europa; aber Konflikte werden nur noch mühsam kaschiert. In der Euro-Krise etwa laufen die Interessen konträr.
Dabei bleibt dann immer wieder die wirtschaftliche Effizienz, eine der Grundideen der Einigung, auf der Strecke. Nur Deutschland besitze die „Größe und ökonomischen Mittel, um Europa in seiner gegenwärtigen Form zusammenzuhalten“, schreibt der niederländische Publizist Ian Buruma. Aber die Opferbereitschaft der Deutschen ist arg strapaziert, auch wenn sich die Folgen erst dann zeigen werden, wenn die derzeitige Wohlfühlblase platzt – wie hoch ist die Verzichtbereitschaft, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und das Geldvermögen eurokonform ausradiert wurde? Immer noch werden die Nationalstaaten als die wahren Interessenvertreter gegen Brüssel und als Kristallisationskerne von Engagement und Zivilgesellschaft wahrgenommen, so wie die Nationalmannschaften Leidenschaft wie Zusammengehörigkeitsgefühl hervorkitzeln. Die Energiewende, die Deutschland gegen Europa und den Geist der Verträge beschließt, ist das aktuelle Beispiel: Von Brüssel lassen wir uns diese nationale Marotte jedenfalls nicht kaputt machen.
Gleichzeitig muss sich Europa erweitern, auf dem Balkan und in Osteuropa. Damit verschärfen sich die inneren Widersprüche. Statt dass Nationalstaaten überflüssig werden, werden sie paradoxerweise eher gestärkt – weil sie als transparentere Einheiten, als emotionalere Bindungskerne und Interessenvertretungen gegen den Moloch Brüssel daherkommen.
Wer Europa liebt, will daher weniger, um mehr zu erhalten: weniger Vertiefung, keine eitlen Präsidenten-Spielchen, aber eine faire Kooperation. Weniger Regeln en détail, aber Konzentration auf Wichtiges statt Gezänk im Kleinen. Das wäre ein tolles Team. Und irgendwann würde man doch zujubeln, statt nur zu meckern.
(Erschienen auf Wiwo.de am 12.07.2014)
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