Hat Angela Merkel den Mut zur Kurskorrektur?

Nach Merkels Auftritt bei Anne Will wissen wir: Merkel hat diesen Mut nicht. Das Fragezeichen, das hier vergangene Woche stand, muss gelöscht werden. Merkel hat aufgehört, als Kanzlerin noch zu existieren, obwohl sie noch im Amt ist.

Findet Angela Merkel den Mut zum Kurswechsel oder hinterlässt sie das Feuer, das sie angefacht hat, anderen zum Löschen? Wer der Debatte in Berlin zuschaut, fragt sich, wissen die Akteure wirklich nicht, was unausweichlich vor ihnen liegt. Glauben sie wirklich, die sich von täglich 10.000 zur Millionengröße summierende Zahl von Ankommenden kann wie bisher ohne einschneidende Maßnahmen verkraften lassen? Je später die Verantwortlich aufwachen, desto unnachsichtiger werden die Bürger sie zur Verantwortung ziehen.

1. Merkels Fehler verstehen

Auch Politiker wollen geliebt werden. Wer Politiker wird, beginnt meist mit viel Idealismus. Doch nirgendwo sonst sind die Machtkämpfe so brutal – es geht ja immer um Macht, Inhalte rangieren danach. Die Öffentlichkeit ist gehässig, Journalisten lauern und sind notorisch unfair. Je weiter man aufsteigt, um so ungemütlicher wird das Leben des Politikers.

Manager und Unternehmer können sich weitgehend zurückziehen; sich von Anwälten und PR-Abteilungen bewachen und behüten lassen; zumindest als Privatmenschen oder im Urlaub; für gegnerische Journalisten gibt es Presseanwälte. Politiker leben auf de Präsentierteller; jedem Angriff ausgesetzt. Aber auch Politiker wollen geliebt werden, und sie haben sogar ein Recht darauf.

Das muss man berücksichtigen, will man Angela Merkels gravierenden Flüchtlingsfehler beurteilen. Bei ihren Besuchen in den Lagern wurde sie umjubelt, beklatscht; sie erhielt das, wonach sich ein Politiker sehnt wie ein Top-Manager nach der Tantieme: Das warme Bad in der Menge. Endlich keine Nörgler, keine Kritiker, und selbst die stets hämische Presse bejubelt sie. Sie ist nicht mehr die kalte Machtpolitikerin wie im Gespräch mit dem Mädchen Reem Sawihl, sondern warm, herzlich, menschlich.

Und draußen stehen Rechtsradikale oder solche, die denen applaudieren: Fratzen, Hassgesichter, Steinewerfer, kurz: „Pack“, wie Sigmar Gabriel diesen Teil von „Dunkeldeutschland“ (Bundespräsident Gauck) nennt. Ihre empathische Politik ist Folge der unvermeidlichen Deformation professionelle, jener Veränderung der Wahrnehmung und Persönlichkeit im Stahlgewitter der gehässigen Massenmediendemokratie. Aber seit Bismarck wissen wir, dass das Motiv nicht die Wirkung verändert. Seit dem Auftritt bei Anne Will wissen wir: Sie hat nicht den Mut zum Handeln. Es gibt keine Korrektur der offensichtlichen Fehler.

2. Realität anerkennen, politisches Versagen eingestehen

Die Wirkung der Merkel`schen Politik ist eine Staatskrise: Vermutlich 1,2 Millionen Flüchtlinge allein in diesem Jahr; die völlige Überforderung einer Verwaltung, die bereits im Sommer auf 180 Prozent ihrer Kapazitäten arbeitete und viel leistet, unendlich viel Organisationstalent und Einsatzbereitschaft bewiesen hat. 290.000 sollen Illegal durchs Land ziehen; genaue Zahlen weiß keiner. Die Nachzugsregelung, wonach jeder anerkannte erwachsene Asylberechtigte seine Familie und jeder Minderjährige seine Eltern nachholen kann, bedeutet: Im kommenden Jahr kann Deutschland wegen dieses Asyl-Mutliplikators buchstäblich ein Millionenheer völlig legaler Zuzügler erwarten; alle mit vollem Anspruch auf Wohnung, Schule und Hartz IV. Deutschland ist aus den Fugen geraten. Der Staat hat die Kontrolle über sein Staatsgebiet verloren. Merkel muss jetzt erneut Mut aufbringen: Den Mut zur harten Kontroverse, den Mut zu unschönen Bildern, den Mut, von der Königin der Herzen zur nackten Machtpolitikerin zurückzukehren. Diesen Mut hat sie nicht. Die Kanzlerin akzeptiert brutale Auseinandersetzungen und Notsituationen in Deutschland.

3. Die Verweigerung der Politik aufbrechen

Eine Reihe von Korrekturen sollen mit dem Asyl-Paket im Zuge der Gesetzgebung angebracht werden. Aber das Gesetz wurde bereits so entschärft, dass noch am Tage der Debatte im Bundestag der Innenminister eine Weiterung neu einbrachte. Die Grünen fordern eine pauschale Regelung für Altfälle, wobei darunter „Anerkennung“ gemeint ist. Allein diese Fälle mitsamt verbundenem Asyl-Multiplikator addieren sich auf ca. 1,5 bis 2 Mio. Neu-Deutsche, die vollen Zugang zu Soziallleistungen, Wohnung, Schule, Krankenversicherung usw. erhalten.

Aber auch die Abschwächung des ursprünglichen Gesetzesentwurfes und seine Neueinbringung, also die Reform einer Reform noch vor ihrer Verabschiedung zeigt: Die Politik ist im Kern handlungsunwillig.

Dem Innenminister  geht es um die Flughafen-Regelung; so dass offensichtlich unbegründete Asylanträge noch an den Grenzen abgelehnt und die Antragsteller an der Einreise gehindert werden können. Das zeigt: In den kommenden Wochen wird der Flüchtlingsstrom ungebremst weiter gehen. Er wird sich sogar verstärkten, denn jetzt werden viele Flüchtlinge versuchen, noch schnell vor belastenden Reformen einzureisen. Die Verweigerung des Gesetzgebers zwingt die Verwaltung der Länder zu eigenständigen Maßnahmen. Auch grüne und sozialdemokratische Landespolitiker beklagen hinter vorgehaltener Hand die Weltfremdheit der Berliner Parteispitzen. Diese Weltfremdheit ist nur durch massiven Bürgerprotest aufzubrechen. Sigmar Gabriel mit seiner Witterung für Populäres beginnt von der Überforderung zu sprechen. Auch in der Politik schläft die Konkurrenz nicht. Allerdings wird das noch lange dauern. Die CDU ist zediert; die CSU ängstlich, die SPD gespalten in Realisten vor Ort und solche, die im fernen Berlin herumeiern. Doch Wahlen sind in weiter Ferne.

4. Die Grenzen dicht machen

Deutschland muss wegen der Verweigerungshaltung der Politik seine Grenzen schließen. Bayern sollte den Anfang machen. Wenn Ministerpräsident Horst Seehofer Mumm hat, dann weist er die Polizei an, die dem Innenminister untersteht, Einreisende ohne gültiges Einreisedokument abzuweisen oder sofort zu verhaften.  Wenn der Katastrophenfall ausgerufen wird, und er kann angesichts der unhaltbaren Zustände vom Landesinnenminister ausgerufen werden, erhalten die Behörden weitgehende Vollmachten. Die Reservisten der Bundeswehr können einberufen, die Grenzen abgeriegelt, der Zuzug blockiert werden. Schauen wir der Sache in`s Auge: Das ist nicht lustig, wenn der Notstand exekutiert wird.

Das ist der grausamste Teil der Korrektur der bisherigen Merkel-Fehler. Das produziert keine netten Selfies, wie sie Merkel so liebt; sondern in Freilassing marschieren an der Saalachbrücke Polizisten mit Wasserwerfern und Blendgranaten auf; und Asylbewerber halten den Reizgasschwaden und körperverletzenden Wasserstrahlen Babys entgegen. Ungarn hat diese Bilder produziert; und die Gefühlsjournalisten werden diese Bilder durch Ausschnitte in ihrer Wirkung potenzieren und um die Welt transportieren.

Merkel wird zu hässlichsten Politikerin des Planeten. Es ist keine Frage der Notwendigkeit, sondern eine Frage, ob sie noch den Mut hat. Vielleicht tritt sie vorher zurück; vielleicht macht Thomas de Maizière den Job. Der Volksbeauftrage Gustav Noske von der SPD hat 1919 den Novemberaufstand des Spartakusbundes niedergeschlagen; die Frage ist nicht ob, sondern wer den Noske macht. In der Konsequenz werden dann auch Österreich und die anderen Staaten ihre Grenzen schließen. Riesige Flüchtlingslager werden die unvermeidliche Folge sein; allerdings nicht nach deutschen Maßgaben, sondern nach denen des UNO-Flüchtlingswerks: Und das ist nicht zimperlich.

5. Identität prüfen

Jeder Flüchtling verfügt über ein Smartphone, kaum ein Flüchtling hat Dokumente; die wurden – den Anweisungen der Menschenhändler folgend – oft weggeworfen, um die Behörden zu täuschen. Wer kein Paßdokument vorweisen kann, verliert seinen Status als Asylbewerber, wird nur noch mit Lebensmitteln versorgt und verliert Bleibe- und Sozialansprüche. Erfahrungsgemäß geht dann die Wiederbeschaffung der Domumente ziemlich flott. Das Asylrecht wird so geändert, wie es sich der Bundestag auf Druck der SPD nicht traut: Das Flughafenverfahren wird an den Außengrenzen angewandt: Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, und dazu werden fast alle afrikanischen und alle Balkanstaaten gehören, wird an der Grenze abgewiesen.

6. Wiedereinreisesperren für abgewiesene Asylbewerber

Um das Balkan-Karussel zu stoppen – wiederholte Einreise, Antragsstellung, Taschengeld-Kassieren, Abschieben und dann wieder von vorne – , wird ein striktes Einreiseverbot für abgelehnte Asylbewerber eingeführt. Das allein stoppt mehrere Hunderttausend Fälle.

7. Anträge vor Ort bearbeiten, Wahrheiten aussprechen

Anträge auf Asyl können zukünftig auch in den deutschen Botschaften gestellt und dort beschieden werden. Das hilft tatsächlich Bedrohten und vermeidet lebensgefährliche Schleuserwege.

Und es gilt eine Wahrheit auszusprechen: Deutschland wird weiter Flüchtlinge aufnehmen müssen. Aber ohne das bisherige Versprechen, bis ans Lebensende den Lebensunterhalt zu garantieren. Auch er Familiennachzug, der das Problem ja vervielfältigt, kann nur noch stattfinden, wenn es zu einer Versorgung aus eigener Kraft kommt. Es wird Zeltstädte geben, kein Taschengeld und keine Gesundheitskarte, weil zumindest vorübergehend die Grenzen des Leistbaren erreicht sind. Das wird stärker wirken als Zäune. Denn es ist ja kein Zufall, dass Deutschland das Ziel ist und nicht Polen oder Frankreich.

8. Druck auf die Türkei

Die Türkei schickt syrische Flüchtlinge Richtung Europa auf den Weg. Auf die Türkei ist Druck auszuüben, damit dies gestoppt wird. Übrigens erhält die Türkei von der EU 7 Jahre lang 4,9 Milliarden zur Vorbereitung des EU-Beitritts. Dieser jährliche Betrag von 700 Mio. ist sofort zu stoppen, sollte die Türkei nicht kooperativ sein. Der Betrag kann zur Flüchtlingsversorgung in der Türkei aber auch massiv erhöht werden.

9. Hat Merkel den Mut zur Wende?

Wenn Merkel den Mut hat, den Noske zu geben, kann sie ihr Amt retten und wird unbeliebt, aber wird als eiserne Lady II in die Geschichtsbücher eingehen. Noske ist bis heute eine Haßfigur in der SPD, aber er hat Deutschland vor einem Bürgerkrieg russischen Ausmasses gerettet. Wenn Merkel an ihren Selfies klebt wird sie peinlich verschwinden als Kanzlerin, die sich nicht getraut hat. Die Kanzler vor ihr haben sich ihren jeweilige Herausforderungen gestellt. Adenauer und Erhard zeitgemäß jeder denkbaren Krise der Republik-Gründung; Schmidt ist den Killern der RAF entgegengetreten und den Friedensfreunden im Hofgarten; Kohl hat die Wiedervereinigung durchgestanden und Gerhard Schröder die Hartz-IV-Reformern. Wofür will Merkel stehen? Sie hat sich entschieden: Ihr Name wird für eine der größten und schlimmsten, weil selbst verursachten Krisen dieses Landes stehen.

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